Die Geschichten aus 1001 Nacht - Teil 6

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Die Geschichte Ali's Ibn Bekkar und der Schems Annahar

 

Es gab einst in der Stadt Bagdad einen Spezereihändler, mit Namen Abul Hasan, Sohn Tahers, der sehr reich und vornehm war; dabei führte er einen reinen Lebenswandel, war ein aufrichtiger und guter Gesellschafter, und deshalb überall gut aufgenommen, wo er sich zeigte. Er ging oft in das Schloss des Kalifen, und die meisten Frauen und Sklavinnen des Kalifen Harun Arraschid ließen sich von ihm ihre Geschäfte besorgen, wie sie es eben nötig hatten. Auch saßen oft die Söhne der Fürsten und der Großen bei ihm. Unter diesen war auch ein junger, persischer Prinz, mit Namen Ali, Sohn des Bekkar. In der Person dieses Prinzen hatte Gott alle trefflichen Eigenschaften vereint; er war ausgezeichnet schön und anmutig, seine Beredsamkeit war bezaubernd, sein Verstand, sein Mut, seine Freigebigkeit, seine Keuschheit, sein Ernst und seine Tapferkeit unübertroffen! Dieser lebte oft in Gesellschaft Abul Hasans; er konnte sich zuletzt keinen Augenblick mehr von ihm trennen. Als einst der junge Prinz bei ihm saß, sahen sie zehn junge Sklavinnen, schön wie der Mond, vom Markt herkommend; aus ihrer Mitte strahlte ein Mädchen, das den Vollmond beschämte. Diese ritt auf einem grauen Maultier, sie trug einen roten, seidenen, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gürtel. Ihre Schönheit überstrahlte, wie schon gesagt, die der übrigen zehn Mädchen, die bei ihr waren; sie war, wie ein Dichter sagt:

»Sie ist ein vollkommenes Muster der Schönheit, dass man sie nicht anders geschaffen wünschen könnte; sie hat weder zu viel, noch zu wenig, es ist, als wäre sie von Perlenwasser gebildet; ein Mond leuchtet aus allen ihren Gliedern hervor; ihre Stirne ist der Vollmond, ihr Wuchs der Zweig eines Baumes, ihr Atem ist Moschus: kein Mensch gleicht ihr.«

Ihre schönen Augen und die übrigen Reize fesselten alle, die sie sahen. Als sie an den Laden des Abul Hasan kam, stand dieser vor ihr auf, küsste die Erde und ließ sie auf ein seidenes, mit Gold gesticktes Kissen sitzen; er blieb, um sie zu bedienen, vor ihr stehen. Sie befahl ihm, sich zu ihr zu setzen, und als er gehorchte, verlangte sie von ihm, was sie bedurfte. Inzwischen hatte der junge Ali schon seinen Verstand verloren; er war außer sich, war bald rot, bald blass, und wollte vor Liebe vergehen. Er wollte aus Ehrfurcht vor ihr aufstehen, aber sie winkte mit ihren Narzissenaugen und Zuckerlippen, und sagte: »Mein Herr! wir sind zu dir gekommen und du willst, weil wir dir nicht gefallen, vor uns entfliehen?« Ali küsste die Erde und entgegnete: »O meine Gebieterin! Sobald ich dich gesehen, habe ich meinen Verstand verloren, ich weiß nichts anderes zu sagen, als was schon ein Dichter gesagt:

»Sie ist die Sonne, ihre Wohnung ist im Himmel; tröste dein Herz mit dem schönsten Trost, denn du kannst nicht zu ihr hinauf und sie nicht zu dir herunter steigen.«

Sie lächelte, und heller als ein Blitz leuchteten ihre Zähne, dann sagte sie: »O Abul Hasan! woher kennst du diesen Jüngling, und welches ist sein Rang?« Abul Hasan antwortete: »Er heißt Ali, Sohn Bekkars, und ist ein Prinz von Persien.« Sie sagte ihm dann, wenn meine Sklavin zu dir kommt, so bemühe dich mit ihm zu uns, dass wir ihn in unserem Hause bewirten, damit er sich nicht über uns beklagen und sagen kann: unter den Bewohnern Bagdads herrscht keine Gastfreundschaft; denn der Geiz ist das schlechteste Gewand eines Menschen. Hörtest du, was ich dir gesagt? Wenn du nicht gehorchst, so trifft dich mein Zorn, und ich werde dich nie mehr grüßen.« Abul Hasan antwortete: »Gott bewahre, - o Königin aller Sklaven! - Gott bewahre mich vor deinem Zorn!« Sie verließ hierauf den Laden und ritt davon, nachdem sie sich schon aller Herzen bemeistert und jeden Verstand geraubt hatte. Ali blieb sitzen, er wusste nicht, ob er auf der Erde oder im Himmel wandle. Doch ehe noch der Tag verflossen war, kam eine Sklavin zu Abul Hasan und sagte: »Mein Herr Abul Hasan! Im Namen Gottes komme du mit deinem Freund Ali zu meiner Gebieterin Schems Annahar, der Freundin des Fürsten der Gläubigen, Harun Arraschid.« Abul Hasan stand auf und sagte zu Ali: »Im Namen Gottes, mein Herr!« Sie folgten dann der Sklavin, die weit voranging und welche sie in den Palast des Kalifen führte. Hier zeigte sie ihnen die Wohnung Schems Annahars. Der Jüngling sah eine Wohnung, als wäre sie von Genien gewohnt; er fand darin die mannigfaltigsten Teppiche, Kissen und Divans, wie er solche noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Als er und Abul Hasan daselbst Platz genommen, brachte man ihnen einen Tisch mit den köstlichsten Speisen, und eine schwarze Sklavin blieb zu ihrer Bedienung vor ihnen stehen. Es wurde aufgetragen, was nur laufen und fliegen konnte: von säugenden Schafen, gestopften Hähnen, Tauben und Wachteln, nebst anderen süßen und sauren Speisen. Der junge Mann aß und war vor Erstaunen ganz außer sich; sie verzehrten die besten Speisen und tranken die köstlichsten Weine. Als sie satt waren, brachte man ihnen zwei goldene Waschbecken, sie wuschen ihre Hände; dann brachte man Weihrauch, sie beräucherten sich; dann brachte man ihnen in Goldgefäßen kristallene Becher, welche mit Edelsteinen besetzt waren, und gefüllt mit Ambra, Moschus und Rosenwasser; sie parfümierten sich damit und setzten sich nieder. In einer kurzen Weile hieß sie die Sklavin aufstehen und führte sie in einen anderen Saal, dessen Kuppel von hundert Säulen getragen wurde; die Füße der Säulen waren mit vergoldeten Tieren und Vögeln verziert, der Boden war mit seidenen Teppichen belegt. Als die beiden sich setzten und den Saal näher betrachteten, fanden sie, dass der ganze Grund von Gold war, auf welchem weiße und rote Rosen gestickt waren; aus demselben Stoff war die Decke der Kuppel. Auch waren allerlei Gemälde und chinesische Gefäße aus Gold und Kristall mit prachtvollen Edelsteinen besetzt, im Saale. Am oberen Ende desselben waren viele Fenster, und vor einem jeden stand ein Divan mit der feinsten Stickerei überzogen und jeder von einer anderen Farbe; diese Fenster gingen in einen Garten, dessen Boden dem Grund der Teppiche glich. Rings umher floss Wasser aus einem großen Teich in einen kleineren; die Ufer des Teichs waren mit Narzissen, Basiliken und anderen seltenen Pflanzen, in goldenen, mit Edelsteinen verzierten Vasen besetzt.

Die Bäume in diesem Garten waren dicht ineinander geschlungen, die Früchte auf ihnen waren so reif, dass sie bei jedem Säuseln des Windes auf die Oberfläche des Wassers fielen. Eine Menge Vögel ließ sich auf dem Garten nieder, sie schlugen ihre Flügel zusammen und unterhielten sich miteinander durch ihr Gezwitscher, das in allen möglichen Tönen erschallte. An beiden Seiten des Teiches waren Stühle von Ebenholz, mit Silber ausgelegt, aufgestellt; auf jedem Stuhl saß ein Mädchen, das glänzender war als die Sonne, kostbar gekleidet, mit einer Laute oder einem anderen Instrument vor sich; es vereinte sich so der Gesang der Mädchen mit dem der Vögel und das Säuseln des Windes mit dem Plätschern des Wassers. Bald blies der Wind eine Rose auf, bald warf er eine Frucht herunter.

Während Ali und Abul Hasan ihre Augen und ihre Gedanken an dieser Pracht und Schönheit weideten und sie halb nach dem Saal und auf den Tisch richteten, ja ganz hingerissen von der Anmut und Lieblichkeit, wie von der großartigen Zusammenstellung aller dieser Gegenstände, in das höchste Erstaunen versetzt waren, wendete sich Ali, Sohn des Bekkar, zu Abul Hasan und sagte zu ihm: »Wisse, mein Freund, der größte Weise und der Verständigste, der nur gesunde Sinne hat, muss alles dies auch schön finden und davon entzückt und hingerissen werden; wieviel mehr ein Mensch in meiner Lage, dessen Herz von Liebe überfließen will; doch beraubt mich alles, was ich gesehen nicht des Wortes, und noch bleibt mir Kraft zu fragen übrig: Wie hoch muss wohl der Rang dessen sein, der ein so herrliches Gut und so große Macht besitzt?«

Als Abul Hasan dies aus dem Munde Alis hörte, antwortete er ihm: »Wisse, dass auch mir die ganze Sache ein Geheimnis ist; doch werden wir bald die Wahrheit entdecken. Es wird nicht lange dauern, so sind wir am Ziel und das Geheimnis wird sich dir lösen.« Während sie so das Schönste und Üppigste sahen und besprachen, erschien eine Sklavin und befahl den Mädchen, welche auf den Stühlen saßen, zu singen; eine von ihnen stimmte ihre Laute und sang:

»Ehe ich noch die Liebe kannte, ward ich unversehens an ihn gefesselt, und das Feuer der Trennung glühte mir in meiner Brust und in meinem Herzen; auch gegen meinen Willen enthüllten meine Tränen jedermann mein Geheimnis.«

Ali rief aus: »Sehr schön!« Die Sklavin sang weiter:

»Mit der entferntesten Hoffnung neige ich mich liebend zu dir. Doch was helfen den Liebenden Sehnsuchtsseufzer, deren kältester ein Feuerbrand ist?«

Der Jüngling seufzte tief und sagte: »O Mädchen, du hast ausgezeichnet wahr und schön gesungen!« Er wiederholte dann die Verse und bat sie, weiter zu singen. Da sprach sie:

»O du, zu dem meine Liebe immer wächst, bemächtige dich meines Herzens, wie du willst; lösche durch deine Nähe die Flamme eines Herzens, das Entfernung und Trennung zerfließen machte. Nimm, was du willst, an Schuld und Lohn: mir bleibt doch kein anderer Lohn, als der Märtyrertod.«

Ali weinte aufs neue und wiederholte die Verse. Auf einmal erhoben sich alle Mädchen, stimmten ihre Instrumente und sangen im Chor folgende Verse:

»Gott ist groß! Nun ist der Vollmond aufgegangen und vereint ist die Geliebte mit dem sie so innig Liebenden. Wer hat je die Sonne und den leuchtenden Vollmond im Garten der Ewigkeit oder in der Welt beisammen gesehen?«

Ali und Abul Hasan blickten überrascht auf die Mädchen, doch vergrößerte sich ihre Überraschung, als sie die Sklavin, die bei Abul Hasan im Laden war, und sie hierher gebracht hatte, an dem Ende des Gartens erblickten; ihr folgten zehn Sklavinnen, welche einen großen, aus gediegenem Silber gegossenen Thron trugen, diesen stellten sie zwischen die Bäume und sich selbst hinter ihn. Nach ihnen kamen 20 Mädchen wie der Vollmond, mit mancherlei Instrumenten in den Händen, und in Kleidern, die von Juwelen und Perlen strahlten; sie sangen alle zusammen, als hätten sie nur eine Stimme, bis sie den Thron erreichten; hier stellten sie sich zu beiden Seiten auf, ohne das Spiel zu unterbrechen.

Sie waren so ausgezeichnet in ihrer Kunst, dass es Ali und Abul Hasan vorkam, als wenn sich der ganze Palast mit ihnen bewege. Es kamen dann noch andere zehn Mädchen, deren Schönheit unmöglich zu beschreiben ist; ihre Kleider und Juwelen wetteiferten mit ihrer Schönheit. Diese blieben an der Tür stehen, dann kamen noch zehn, die den vorigen ganz ähnlich waren, und in ihrer Mitte Schems Annahar.

Diese strahlte unter anderen Mädchen wie die Sonne unter den Wolken hervor. Sie trug lange Locken und hatte einen blauen, goldgestickten Mantel umgeworfen, der wohl erraten ließ, welche kostbaren Kleider und Juwelen darunter verborgen sein müssten; sie ging langsamen Schrittes majestätisch einher, bis sie den Thron erreichte, auf den sie sich setzte.

Ali konnte sie nun näher betrachten, sah dann den Spezereihändler an, biss sich auf die Finger, dass sie beinahe vom Gelenk fielen, und sagte: »Nachdem man so etwas gesehen, hilft alles Erzählen nichts mehr, und wenn man Überzeugung hat, schwindet der Zweifel!« Er sprach dann folgende Verse:

»Hier ist der Anfang meines Elends, hier beginnt mein langdauernder Gram und mein Liebesschmerz. Nach diesem Anblick kann mein Herz keinen Augenblick mehr seine frühere Ruhe behaupten. O Seele, beim allmächtigen Gott! sage diesem durch Liebespein geschwächten Körper Lebewohl und verlasse mich in Frieden!«

Er sagte dann zu dem Spezereihändler: »Du hast mir keine Wohltat erzeigt: hättest du mir vorher etwas von diesen Herrlichkeiten gesagt, ich würde mein Herz darauf vorbereitet und gestärkt haben, dass es die Geduld nicht verliere.« Er fing dann an zu weinen; seine Augen füllten sich mit Tränen wie ein See, und er blieb wie ein Wahnsinniger vor ihm stehen. Da sagte der Spezereihändler zu ihm: »Ich habe nur Gutes mit dir beabsichtigt; ich fürchtete, dir die Wahrheit zu sagen, weil du sonst vor allzu großer Liebe und Sehnsucht verhindert werden konntest, dich mit ihr zu vereinigen und sie zu sehen, Sei aber standhaft, mache dir Mut, sei frohen Herzens und nicht verzagt, sie wird dir bald entgegenkommen.« Ali fragte dann: »Nun, wer ist sie denn?« Der Spezereihändler antwortete: »Es ist Schems Annahar, die Sklavin des Raschid, und der Ort, in dem du dich aufhältst, ist sein neuer Palast, der unter dem Namen »Palast der ewigen Freuden« bekannt ist. Ich habe viel List anwenden müssen, bis ich euch hier vereinigte. Nun möge Gott ein gutes Ende herbeiführen!« Ali blieb ganz betroffen, dann sagte er zu Abul Hasan: »Wisse, dass die Vorsicht vor allem gebietet, sein Leben zu schonen und die Erhaltung desselben im Auge zu haben. Du hast mir nun mein Leben geraubt, sei es durch eine gewaltsame Liebe oder durch die Hand des mächtigen Sultans.« Er schwieg dann, das Mädchen aber blickte zu ihm nach dem Fenster der Kuppel hinauf, und in ihren Blicken lag Liebe und Schmerz; auch er drückte mit seinen Augen und Mienen seine Liebe aus, und so sprach die Zunge der Liebe zwischen ihnen, obschon sie beide schwiegen, und enthüllte ihnen gegenseitig das Innerste ihres Herzens. Nachdem sie so einander eine Weile betrachtet hatten, befahl Schems Annahar der ersten Mädchenreihe, welche die Laute spielte, sich auf ihre Stühle zu setzen. Sie ließ dann durch Sklavinnen Stühle unter die Fenster der Kuppel, an denen Ali und der Spezereihändler sich befanden, bringen und befahl den Mädchen, die mit ihr herauskamen, sich auf diese Stühle zu setzen. Als sie saßen, winkte sie einer derselben und befahl ihr zu singen; diese stimmte ihre Laute und sang folgende Verse:

»Der Geliebte neigte sich zur Geliebten hin, und die Liebe machte aus beiden Herzen ein Einziges.«

»Sie stehen am Meer der Liebe, es ist ein süßes Meer, darum mache reichen Vorrat. Als sie da standen und Tränen über ihre Wangen flossen, sagten sie: die Schuld liegt nicht am Geschick, sondern an dem, der an diesem Meer vorübergeht.«

Sie sangen dabei auf eine Weise, dass er Gefühlvolle entzückt und der Kranke geheilt werden musste. Ali war tief gerührt, wandte sich zu einem der Mädchen und bat sie, folgende Verse zu singen:

»Wegen der großen Entfernung, o Geliebte! haben meine Augen nur Tränen geerbt. O Freude und Glück meiner Augen! o du Ziel meiner Wünsche und meines Glaubens! habe Mitleid mit dem Betrübten und Verzweifelten, dessen Augen in seinen Tränen untergehen, dessen Liebe sein Innerstes füllt, so lang es Sehnsucht und Seufzer gibt.«

Als das Mädchen nach Ali's Wunsche diese Verse in einem zärtlichen Ton gesungen, wandte sich Schems Annahar zu einer anderen und hieß diese folgende Verse singen:

»Ich seufze nach dem, der gewiss auch seufzen würde, wenn er, wie ich, liebeskrank wäre; nach dem, den ein Teil meiner Sehnsucht schon seines Verstandes berauben würde. Dem barmherzigen Gott will ich klagen und keinem andern, dass mein Herz nicht besitzen kann, was es allein wünscht. Kein Mensch und kein Engel würde meine Leiden ertragen können.«

Das Mädchen sang diese Verse sehr schön mit einer zarten Stimme. Der junge Mann bat dann wieder eine andere, folgende Verse zu singen:

»Er sah deine beiden Augen und seufzte; es drückte ihn die schöne Geduld, er schmachtete und wurde liebeskrank; unter allen Menschen verlangt er nur nach dir.«

Als das Mädchen diese Verse mit vieler Kunst gesungen, seufzte Schems Annahar und sagte dem ihr am nächsten sitzenden Mädchen: Singe folgende Verse:

»Wenn du meine Seufzer nicht hörst, so weißt du nicht, was Mitleid ist. Bei deiner Liebe, bald ist meine Geduld zu Ende, und wie lang werde ich wohl noch Geduld haben müssen.«

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Das Mädchen sang, und die beiden Liebenden schwammen in Entzücken und bewiesen sich gegenseitig die heißeste Liebe. Ali bat zuletzt noch einmal ein Mädchen, das in seiner Nähe saß, folgende Verse zu singen:

»Die Zeit der Vereinigung wird zu eng nach dieser Verstellung (Verheimlichung der Liebe in der Tat). Ihr seid ja so schön, und Schönheiten pflegen doch nicht, sich lange entfernt zu halten.«

Während das Mädchen dies sang, vergoss er viele Tränen und seufzte ununterbrochen. Als Schems Annahar diese Verse hörte und seine Tränen sah, konnte sie sich nicht mehr länger zurückhalten; sie stand auf, um nach dem Saal zu gehen. Ali ging ihr bis zur Tür entgegen und streckte seine Arme nach ihr aus: sie umarmten sich an der Tür: wer noch niemals sah, wie die Sonne den Mond umarmte, sah nie zwei schönere Menschen beisammen, als diese beiden! Ihre Kraft verließ sie endlich, sie fingen an zu wanken; alle Mädchen umgaben sie und legten sie auf die Polster im Saal, sie brachten Rosenwasser und Moschuspulver und bespritzten sie damit, bis sie wieder zu sich kamen und so schön und blühend waren, wie zuvor. Schems Annahar wandte sich dann zur Rechten und zur Linken, und suchte den Spezereihändler, der sich hinter den Mädchen verborgen hatte. Als sie nach ihm fragte und er hervortrat, grüßte sie ihn und hieß ihn willkommen und dankte vielmal und sagte ihm: »Deine Güte gegen mich hat den höchsten Gipfel erreicht, ich weiß nicht, wie ich dich belohnen soll; du stehst niemand nach, wenn es sich darum handelt, als Mann eine schöne Tat zu vollbringen.« Er ward so schamrot, dass er den Kopf zur Erde neigte. Sie sagte dann zu Ali: »Mein Herr, wenn auch deine Liebe den höchsten Gipfel erreicht hat, so ist doch gewiss die meinige nicht geringer! Es bleibt nichts übrig, als auf Gottes Ratschlüsse zu vertrauen und bei seinen Versuchungen standhaft zu bleiben.« Ali antwortete: »O meine Gebieterin! meine Vereinigung mit dir und dein Anblick können das Feuer der Sehnsucht in mir nicht löschen und das, was ich empfinde, nicht vertreiben; ich wiederhole, was ich schon gesagt habe: dass ich nur mit dem Tode aufhören werde, dich zu lieben; nur wenn mein Herz vergeht, wird auch meine Liebe vergehen.« So weinten dann beide und es flossen die Tränen wie zerstreute Perlen über ihre Wangen, die dadurch einer mit Regentropfen behängten Rose glichen. Abul Hasan sagte dann: »Eure Lage ist zart und euer Zustand wunderbar; wenn ihr in der Nähe schon so seid, was wollt ihr in der Entfernung beginnen? Seid munter und verscheucht den Kummer! Liebende müssen ihre Zeit, wie eine Beute, schnell benützen.« Sie hörten auf zu weinen, und Schems Annahar machte der ersten Sklavin ein Zeichen: diese ging schnell weg und kam mit zwei Sklavinnen wieder, die ein silbernes Tischchen trugen, das sie vor Ali und den Spezereihändler setzten. Schems Annahar ging auf sie zu und sagte: »Nach einer solchen Unterredung darf man wohl durch fröhlichen Scherz sich erheitern.« Sie setzten sich dann zu Tische, und Schems Annahar fing an zu essen und dem Ali Speisen vorzulegen, während er ihr manchen Bissen in den Mund schob. Als sie genug gegessen hatten, ward der Tisch weggetragen; man brachte dann ein silbernes Waschbecken mit einer goldenen Kanne, sie wuschen ihre Hände und gingen wieder auf ihren Platz. Schems Annahar winkte wieder einer Sklavin; diese blieb eine Weile weg, kam dann mit drei Sklaven zurück, welche drei goldene Platten brachten; auf jeder derselben war ein Trinkgefäß aus Kristall, mit Gold verziert und mit köstlichem Wein gefüllt. Es war jedem eine Platte vorgestellt. Hierauf befahl Schems Annahar zehn Sklavinnen, sich an unsere Seite zu stellen, auch ließ sie zehn Sängerinnen kommen; alle übrigen mussten sich entfernen. Sie nahm dann einen Becher, füllte ihn und ließ ein Mädchen folgende Verse singen:

»Ich gebe mein Leben hin für den, der meinen Gruß lachend erwidert, und nach der Verzweiflung mir wieder Luft zur Vereinigung gegeben. Sobald er erscheint, entdeckt die Sehnsucht meine Geheimnisse, und zeigt denen, die mich tadeln, was ich im Herzen trage; die Tränen meiner Augen bilden eine Scheidewand zwischen mir und dem Geliebten, als wenn die Tränen ihn eben so liebten, wie ich!«

Sie trank den Becher aus, füllte einen anderen mit Wein und reichte ihn ihrem geliebten Ali. Er nahm ihn und bat eine Sklavin, folgende Verse zu singen:

»Wie dieser Wein, fließen auch meine Tränen; was meine Augen vergießen (blutige Tränen) gleicht dem, was der Kelch enthält. Ich weiß wirklich nicht, ob meine Augen Wein vergießen, oder ob ich meine Tränen getrunken.«

Der junge Mann trank, und Schems Annahar füllte einen dritten Becher und reichte ihn Abul Hasan; dieser nahm ihn an, und sie ergriff eine Laute von einem der Mädchen und sagte: »Ich werde zu diesem Becher singen; es ist das wenigste, was ich für dich tun kann.« Sie sang dann folgende Verse:

»Die wunderbaren Tränen zittern auf seinen Wangen und das Feuer der Liebe brennt in seiner Brust. Wenn die Freunde nahe sind, weint er aus Furcht vor ihrer Entfernung, so dass Tränen fließen, sie mögen nahe oder ferne sein.«

Die zwei Liebenden schwebten in Entzücken. Sie sang mit so vieler Kunst und mit solch himmlischer Stimme, dass Ali einem Vogel glich, dem man seine Flügel geraubt, so schön harmonierte ihr Gesang mit ihrem Spiele. Als sie so eine Weile beisammen waren, kam eine Sklavin gleich einer Biene herbeigeflogen, zitterte dabei wie die Spitze eines Dattelbaums und rief: »O meine Gebieterin! die Diener des Fürsten der Gläubigen sind an der Tür mit Masrur, Afif und Wasif.« Alle sanken fast in den Boden vor Schrecken und vor Furcht; der Mond ihrer Freuden verdüsterte sich und die Sterne ihrer Wonne gingen unter; sie fürchteten, es möchte schon alles entdeckt sein.

Schems Annahar lachte über die Furcht Alis und Hasans, und sagte zu ihrer Sklavin: »Halte sie ein wenig zurück, dass sie nichts merken!« Wiewohl ungern stand sie auf, ließ die Kuppel und den Saal schließen und die Vorhänge an den Fenstern herunterrollen, ging hinunter in den Garten, und die beiden, Ali und der Spezereihändler, blieben, wo sie bisher waren. Schems Annahar ließ die Stühle wegbringen, setzte sich auf ihren Stuhl und ließ sich durch eine Sklavin ihre Füße kneifen und gab endlich die Erlaubnis, die Angemeldeten näherkommen zu lassen. Diese erschienen, von zwanzig Dienern begleitet, im schönsten Aufzug, die Schwerter an einem goldenen Gürtel an ihrer Seite, sie brachten ihr den schuldigen Gruß, sie erwiderte ihn und kam ihnen freundlich und ehrerbietig entgegen. Sie fragte dann Masrur, was er neues bringe, und dieser antwortete: »Der Fürst der Gläubigen grüßt dich, lässt sich nach deinem Wohl erkundigen und dir seine Sehnsucht anzeigen. Er wird heute einen fröhlichen Tag zubringen und wünscht ihn diese Nacht mit dir zu beschließen; bereite dich daher zu seiner Ankunft vor und lass deinen Palast ausschmücken.« Sie antwortete: »Ich gehorche Gott und dem Fürsten der Gläubigen!« Sie ließ dann durch ein Mädchen ihre Haussklavinnen rufen, und als diese kamen, verteilte sie solche in den Garten und den Palast, um den Leuten zu zeigen, dass sie, wie ihr befohlen, Vorkehrungen treffen lasse. Im Palast fehlte nichts an Teppichen und an anderen Ausschmückungen. Sie sagte dann den Dienern: »Geht nun mit Gottes Schutz und Vertrauen! Berichtet dem Fürsten der Gläubigen, was ihr gesehen, und sagt ihm, er solle nur ein wenig verziehen, bis sein Zimmer und sein Lager in Ordnung gebracht seien.« Die Diener gingen fort, Schems Annahar aber kehrte zu ihrem Geliebten und seinem Freunde zurück, die wie Vögelchen vor Angst zitterten. Sie drückte Ali fest an sich, weinte dabei heftig und sagte: »O mein Herr, dieser Abschied wird meinen Tod herbeiführen! Gott gebe mir Geduld, bis ich dich wiedersehe, oder er nehme mir das Leben nach deiner Entfernung!« Sie setzte hinzu: »Was dich betrifft, so wirst du unversehrt und ungesehen von hier wegkommen; du kannst leicht deinen Liebesgram verbergen, so dass dich niemand durchschaut! Aber ich gehe meinem Unheil und meinem bösen Geschick entgegen. Der Kalif wird wohl merken, dass ich, aus Gram über deine Trennung, nicht wie sonst gegen ihn bin. Mit welcher Stimme soll ich vor ihm singen, mit welchem Herzen bei ihm sein, mit welcher Kraft ihn bedienen, mit welchem Witze ihn und die, welche er mitbringt, unterhalten und zufriedenstellen?« Abul Hasan sagte ihr:

»Ich beschwöre dich, dich in Geduld zu fassen und dir diese Nacht so viel Mut als möglich zu machen, Gott wird in seiner Güte euch wieder vereinen.« Während sie so sprachen, kam eine Sklavin und fragte: »O meine Gebieterin, die Diener sind schon wieder zurück und du bist noch hier?« Sie sagte: »Wehe dir! eile und bringe diese beiden schnell in das Sommerhaus, das in den Garten geht, und wenn es dunkel wird, so sorge dafür, dass sie wegkommen!« Die Sklavin sprach: »Ich werde pünktlich gehorchen.« Schems Annahar sagte ihnen dann Lebewohl und verließ sie in Verzweiflung. Die Sklavin nahm hierauf die beiden, brachte sie in das Sommerhaus, das von der einen Seite in den Garten und von der anderen nach dem Tigris hinausgeht, ließ sie dort niedersitzen, schloss die Tür und ging fort.

Schehersad erzählte weiter: Als die Sklavin sie in das Sommerhaus gebracht, ging sie weg. Abul Hasan und Ali blieben allein; es ward schon Nacht und sie wussten nicht, was aus ihnen werden sollte und wie sie gerettet werden könnten. Als sie nach dem Garten hinabblickten, sahen sie mehr als hundert Diener, wie Hochzeiter in den schönsten Farben gekleidet, jeden mit einem goldenen Gürtel, an dem ein Schwert hing. Ihnen folgten mehr als hundert Sklaven, mit weißen Wachskerzen in der Hand. In ihrer Mitte war der Kalif Raschid zwischen Masrur und Wafif, vor Trunkenheit hin und her schwankend. Hinter ihm kamen zwanzig Sklavinnen mit Wachskerzen, kostbar gekleidet; Juwelen glänzten an ihrem Hals und bedeckten ihren Kopfputz. Andere auf ihren Lauten spielende Sklavinnen, an deren Spitze Schems Annahar ging, kamen diesen zwischen den Bäumen entgegen. Schems Annahar küsste die Erde vor dem Kalifen Raschid, und dieser hieß sie willkommen, indem er ihr ein angenehmes Leben und ein freudiges Herz wünschte; er stützte sich auf ihren Arm und ging bis zum silbernen Thron, auf den er sich setzte. Schems Annahar ließ dann die Stühle an der Seite des Teichs aufstellen, und der Kalif befahl den Sklavinnen, welche mit ihm gekommen waren, sich darauf zu setzen. Als alle Platz genommen, setzte sich Schems Annahar ihm gegenüber. Er sah sich eine Weile im Garten um und ließ dann die Fenster der Kuppel öffnen. Er war zur Rechten und zur Linken von so vielen Lichtern umgeben, dass die Nacht zum Tag und die Finsternis in Glanz verwandelt ward. Die Diener holten dann die Trinkgefäße herbei. Ich erblickte hier eine Pracht von Edelsteinen, erzählt uns Abul Hasan, der Spezereihändler, was mir nie die glühendste Phantasie gezeigt hatte. Mir war's, als wenn ich träumte. Ali war ganz verwirrt von dem Glanz, den er sah. Seine Bewegungen waren matt, er schaute mit gebrochenen Augen umher, sein Herz war krank und zerrissen. Abul Hasan sagte zu ihm: »Siehst du den König?« Er antwortete: »Ja, und damit unser Unglück! Uns rettet nichts mehr vom Untergang. Doch mich töten vor allem die Liebe, die sich meiner bemächtigt, die Trennung nach der Vereinigung, die Furcht, die Gefahr unseres Aufenthalts, die Schwierigkeit der Rettung. Gott allein muss ich um Hilfe anflehen in meinem Zustand.« Abul Hasan antwortete: »Nur Geduld kann helfen, bis Gott deinen Kummer mildert.« Er sah dann wieder nach dem Kalifen hin, wie dieser sich eben zu einer der Sklavinnen von seinem Gefolge wandte und ihr zu singen befahl. Diese spielte auf ihrer Laute und sang dabei folgende Verse:

»Hätte man je Wangen gesehen, die von den herunterrieselnden Tränen grünten, so würden die meinigen Grünes hervorbringen. Obschon ich nur Tränen weine, ist es mir doch, als ob mit ihnen alle meine Lebensgeister schwänden! Und weil ich nirgends mehr Ruhe finden kann, rief ich schon dem Tode: sei mir willkommen.«

Die beiden im Sommerhaus sahen auf Schems Annahar, die bei diesen Versen zu zittern begann und auf ihrem Stuhl im Ohnmacht fiel. Die Sklavinnen sprangen ihr bei und trugen sie weg. Ali wandte kein Auge von ihr ab. Als der Spezereihändler ihn ansah, lag auch er in Ohnmacht auf seinem Gesicht, mit starren Gliedern. Abul Hasan sagte dann: »Das Schicksal hat gut gegen diese beiden gehandelt, indem es sie gleichgestellt hat.« Es überfiel ihn aber bald darauf eine große Angst; auch kam jetzt eine Sklavin und rief: »Steht auf, die Welt wird uns zu eng; ich fürchte, die heutige Nacht wird unsere Auferstehungsnacht werden!« Der Spezereihändler erwiderte ihr: »Wie kann man mit dem jungen Manne in diesem Zustand aufstehen?« Sie begoss Ali hierauf mit Rosenwasser und rieb ihm seine Hände, bis er zu sich kam. Sein Freund, der Spezereihändler, sagte zu ihm: »Erwache schnell, ehe du untergehst, und auch uns mit ins Verderben stürzest!« Sie trugen ihn dann vom Sommerhäuschen weg; die Sklavin öffnete eine kleine eiserne Tür, die auf einen Kanal führte, dann klatschte sie in die Hände, und es kam ein Boot mit einem Ruderer herbei; dieses bestiegen Ali und der Spezereihändler nebst der Sklavin. Der liebende Jüngling streckte die eine Hand nach dem Schlosse aus, legte die andere auf sein Herz und sprach mit schwacher Stimme folgende Verse:

»Ich strecke zum Abschied eine schwache Hand aus, und legte die andere auf die Glut, die in meinem Herzen brennt. Möge doch diese Zusammenkunft mit euch nicht die letzte sein, und dieser Genuss eurer Reize nicht der einzige bleiben!«

Der Schiffer ruderte mit den dreien rasch davon.

Als sie über den Strom gesetzt und ans Land gestiegen waren, sagte die Sklavin zu den anderen: »Ich kann nicht länger mit euch gehen und muss euch jetzt verlassen.« Ali war also Hasan allein überlassen, jener war noch so schwach, dass er sich kaum bewegen konnte. Dieser wiederholte immer: »Wir werden verderben, wir sind hier nicht sicher vor den Vorüberwandelnden, welche uns bemerken werden.« Er peinigte mit solchen Vorwürfen noch lange den Jüngling; endlich ermannte er sich, doch gelang es ihm kaum, weiter zu schreiten. Der Spezereihändler hatte aber in jener Gegend mehrere Freunde; zu einem von diesen, dem er vertrauen konnte und bei dem er sich sicher fühlte, lenkte er seine Schritte. Er klopfte an einer Türe, der Herr des Hauses erschien sogleich und freute sich, wie er Abul Hasan erkannte. Er brachte die beiden in seine Wohnung, und als sie auf den Polstern ruhten, fragte er sie, woher sie in so später Stunde kämen. Der Spezereihändler antwortete: »Ich hatte mit jemanden ein Geschäft, von dem ich gehört hatte, dass er nach meinem Vermögen lüstern wäre. Da ich in der Nacht zu ihm gehen musste, nahm ich diesen Herren - er deutete dabei auf Ali - mit mir, aus Furcht vor Überlistung. Da wurde diesem Herren unwohl, und ich wusste im Augenblick nicht wohin mit ihm: wir nahmen daher unsern Weg zu dir, um uns bei dir zu erholen.« Der Mann erzeigte ihnen hierauf alle Ehre und ließ sie trefflich bedienen. Sie blieben die ganze Nacht bei ihm. Als der Morgen anbrach, verließen sie das gastliche Haus und gingen an den Fluss; sie mieteten ein Boot, um über den Strom zu setzen und sich nach Hause zu begeben. Ali folgte dem Spezereihändler in sein Haus; hier warf ihn Liebe, Verdruss und Mattigkeit danieder. Nach einer guten Weile erwachte er; inzwischen ließ jener das Haus in Ordnung bringen, um Ali zu ergötzen und aufzuheitern; denn er sagte zu sich: Ich weiß ja alles, was mit ihm und seiner Geliebten vorgeht, und wie sehr diese Trennung ihn schmerzt! Dann lobte er Gott für seine Rettung aus der Gefahr, in der er geschwebt hatte, und gab Almosen für diese Huld. Zu dem erwachten Ali sagte er aber: »Sei guten Muts!« Ali antwortete: »Tu, was du für gut findest, ich widersetze mich dir nicht.« Der Spezereihändler ließ dann seine Knaben und Freunde kommen, auch bestellte er Sängerinnen; so kam der Abend heran, da wurden Wachskerzen angezündet und man lebte lustig und guter Dinge. Als aber die Sängerinnen Verse sangen, fiel Ali aufs neue in Ohnmacht, bis die Morgenröte heranbrach; da kam er wieder zu sich, nachdem alle die Hoffnung verloren hatten, ihn wieder am Leben zu sehen. Ali wünschte dann nach Hause zu gehen, und der Spezereihändler wollte seinen Wünschen nicht widersprechen, aus Furcht von den unglücklichen Folgen. Seine Knaben brachten ihm sein Maultier, das er bestieg, und sein Freund folgte ihm. Als dieser ihn ruhig in seinem Hause sah, lobte er den erhabenen Gott und pries seinen Namen! Er fuhr dann fort, Ali zu trösten, aber dieser war seiner selbst nicht mehr Herr: er wandte ihm weder Herz noch Ohren zu. Dann nahm Abul Hasan Abschied von ihm.

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Als er weggehen wollte, sagte Ali zu ihm: »O mein Freund! hast du keine Nachricht von meiner Geliebten? Du hast gesehen, in welchem Zustand sie war, als wir den Garten verließen, wir müssen uns doch nach ihr erkundigen.« Abul Hasan antwortete: »Ihre Sklavin wird gewiss zu uns kommen und Nachricht von ihr bringen.« Er verließ endlich Ali und ging in seinen Laden, wo er auf eine Botschaft wartete; aber die Sklavin kam nicht. Er brachte die Nacht zu Hause zu. Nach der Morgenabwaschung ging er in die Wohnung Alis, den er in seinem Bette fand; viele Leute besuchten diesen und umringten sein Lager; auch Ärzte waren darunter, von denen jeder ein anderes Mittel zur Heilung anordnete. Als Ali Abul Hasan sah, neigte er sich zu ihm, hieß ihn willkommen und lächelte ein wenig. Abul Hasan näherte sich ihm ehrerbietig und erkundigte sich nach seinem Befinden, fragte ihn, wie er die Nacht zugebracht, und setzte sich zu ihm, bis die vielen Leute sich entfernt hatten. Da frug er ihn, was dieser Zustand bedeute? Ali antwortete: »Meine Diener haben ausgesagt, ich wäre krank und kraftlos; da ich, wie du wohl siehst, zu Hause blieb, kamen die Leute, mich zu besuchen, und ich konnte sie doch nicht fortschaffen. Jetzt sage mir, hast du die Sklavin gesehen?« Abul Hasan verneinte, doch machte er ihm Hoffnung, im Laufe des Tages sie noch zu sehen. Ali fing heftig zu weinen an, und sprach folgende Verse:

»Ich habe meine Liebe verborgen, bis sie zur höchsten Flamme entglüht; nun haben meine Tränen offenbart, was ich sorgfältig verheimlicht. Als ich aber sah, wie meine Tränen meine Liebe laut verkündet haben, gab auch ich jede Scham auf, denn Offenheit ist noch das Beste. Nun enthülle ich vollends, was meine Tränen verborgen ließen, und doch ist das, was ich gar nicht aussprechen kann, das Größte und Höchste.«

Er sagte dann: »Mein Schicksal hat mich in ein Unglück gestürzt, das ich wohl hätte umgehen können; ich sehe nicht, wie ich dem Tode entrinnen kann; ich finde keine Ruhe mehr, um die Todesschmerzen zu mildern, keine Freude mehr, meinen Kummer zu lindern.« Abul Hasan sagte ihm: »Vertraue Gott, er wird dich heilen! Du bist nicht der erste noch der einzige, dem so etwas widerfährt.« So unterhielten sie sich noch eine Weile, dann verließ ihn Abul Hasan, um auf den Bazar zu gehen und seinen Laden zu öffnen; ehe er noch recht fertig damit war, kam die Sklavin und grüßte ihn; aber ihre Schönheit war verschwunden und ihr Herz gebrochen. Er fragte sie nach ihrer Herrin, nachdem er sie bei sich willkommen geheißen und ihr erzählt hatte, wie es ihm und seinem Freunde bis jetzt gegangen. Die Sklavin hörte ihn mit Erstaunen an und sagte: »Meine Herrin befindet sich auch in dem schrecklichsten Zustand. Sobald ihr weggegangen wart, und ich mit pochendem Herzen an eurer Rettung zweifelte, kehrte ich wieder in die Kuppel zurück, wo ich meine Herrin auf dem Boden liegend fand, ohne dass sie jemand erkannte, noch auf das hörte, was man zu ihr sprach. Der Fürst der Gläubigen saß ihr zu Häupten, doch konnte niemand Nachricht von dem geben, was sie so peinigte; und so wusste er nicht, was er daraus machen sollte. Sie blieb bis Mitternacht in diesem Zustand. Die Diener umgaben sie von allen Seiten; die einen freuten sich, die anderen weinten über sie. Endlich erwachte sie und stand auf. Arraschid fragte sie, was ihr fehle, als sie seine Stimme vernahm, küsste sie seine Füße und sagte: O Fürst der Gläubigen! Gott nehme mein Leben für das deinige hin! Mir ist infolge einer Indigestion unwohl geworden, und mir war, als brenne ein Feuer in meinem Körper; ich fiel vor Schmerzen in Ohnmacht und wusste nicht mehr, wo ich war. Der Kalif fragte sie dann: Was hast du den Tag über getan? Sie erzählte ihm gerade das Gegenteil von dem, was sie getan, stellte sich wieder krank, forderte Wein und trank ihn; dann bat sie den Fürsten der Gläubigen, dass die unterbrochenen Lustbarkeiten wieder beginnen sollten. Als er wieder seinen Platz eingenommen und ihr befohlen hatte, sich in der Kuppel niederzulassen und keine Unruhe mehr zeigte, ging ich zu ihr hinein; sie fragte mich nach euch, und ich erzählte ihr, was aus euch geworden, und wiederholte ihr die Verse Alis; sie weinte, und eine Sklavin mit Namen Lihazuluschak (Blick der Liebenden) sang folgende Verse:

»Bei meinem Leben! nach der Trennung von euch ist das Leben mir nicht mehr süß. O wüsste ich doch, wie ihr nach mir leben werdet! Es ziemt mir wohl, nach eurem Verlust Blut zu weinen, wenn ihr meinetwillen Tränen geweint.

Sie verfiel dann wieder in ihren früheren Zustand; vergebens rüttelte ich sie hin und her. Ich zog sie an den Füßen und spritzte Rosenwasser auf ihr Gesicht, bis sie erwachte. Ich sagte ihr: Du wirst dich diese Nacht in das Verderben stürzen, samt allen, die in deinem Hause sind. Bei dem Leben deines Geliebten! sei mutig und fasse Geduld, und stündest du auch auf den Kohlen des Ghadha. Sie antwortete: Kann ich dabei mehr als sterben? Nur im Tode finde ich bei diesem Zustand Ruhe.« Während wir so sprachen, sang ein anderes Mädchen, mit Namen Falakulmahdjur (die Morgenröte des Getrennten) folgende Verse:

»Man sagt: vielleicht bringt Geduld zuletzt Ruhe; aber ich erwidere: wie ist nach der Trennung von ihm Geduld möglich? Er hat bei der letzten Umarmung ein festes Bündnis mit mir geschlossen, die Bande der Geduld zu zerreißen.«

Sie fiel wieder in Ohnmacht. Der Fürst der Gläubigen lief erschrocken auf sie zu; als er sie sah, bemerkte er, dass ihre Seele sich von ihr trennen wolle; er ließ den Wein wegtragen und befahl den Mädchen, in ihren Harem zurückzukehren, er aber blieb die ganze Nacht bei ihr. Am Morgen kam sie erst wieder zu sich; da ließ der Fürst der Gläubigen Ärzte rufen und befahl ihnen, sie zu pflegen, und merkte nicht, dass sie liebeskrank ist. Er blieb bei ihr, bis er sie wieder für gestärkter hielt, und kehrte dann mit beunruhigtem Herzen wegen ihrer Krankheit in seinen Palast zurück, ließ aber viele Diener bei ihr. Sie war jedoch kaum allein, so befahl sie mir zu dir zu gehen, um mich nach meinem Herrn Ali, Sohn des Bekar, zu erkundigen.«

Als Abul Hasan die Rede der Sklavin hörte, sagte er ihr: »Ich habe dir schon erzählt, wie es ihm geht; grüße sie also, bemühe dich, sie zu überreden, ihren Zustand zu verbergen; ich aber werde Ali von allem, was du mir gesagt, benachrichtigen.« Sie dankte Abul Hasan, sagte ihm Lebewohl und ging. Abul Hasan verbrachte den Rest des Tages mit Kaufen und Verkaufen, ging dann zu Ali und fand ihn noch ebenso, wie er ihn verlassen hatte; er starrte ihn an, hieß ihn willkommen und sagte: »Mein Herr! ich habe nichts getan zu deiner Erleichterung, und doch habe ich dir eine so schwere Last aufgebürdet, dass mein ganzes Leben bis zu meiner letzten Stunde dir dafür verpfändet bleibt.« Er antwortete ihm: »Genug davon; könnte ich mein Leben für das deinige hingeben, ich würde es gerne tun, und wäre es mir möglich, dich mit meinem Auge zu retten, ich würde es nicht schonen.« Abul Hasan erzählte ihm dann, dass das Mädchen gekommen, und was sie ihm alles berichtet. Dies tat Ali sehr weh; er jammerte, klagte und weinte, und sagte: »Was lässt sich da tun bei einer so wichtigen Angelegenheit?« Er bat dann Abul Hasan, bei ihm zu übernachten, was dieser auch annahm; er schlief aber sehr wenig, und als die Morgenröte leuchtete, verließ er Ali und ging wieder nach seinem Laden. Er wollte ihn eben öffnen, als er die Sklavin davor stehen sah; er ging auf sie zu, und sie winkte und grüßte ihn ehrerbietig. Sie war von ihrer Herrin gesandt, um sich nach dem Wohle Alis zu erkundigen. Abul Hasan tat eine gleiche Frage nach dem Wohl ihrer Herrin. Das Mädchen sagte: »Sie ist noch immer in dem gleichen Zustand, ja in noch schlimmerem. Ich habe hier einen Brief, den sie an Ali geschrieben; sie hat mir empfohlen, eine Antwort zurückzubringen, und überhaupt zu tun, was du mir befehlen würdest. Abul Hasan führte sie nun nach Alis Haus, trat aber zuerst allein ein und ließ die Sklavin außen stehen. Als Ali ihn sah, fragte er, was es neues gebe? Abul Hasan antwortete: »Gutes. Die Sklavin deines Freundes ist draußen; ihr Herr hat sie mit einem Briefchen zu dir geschickt, worin er seine Sehnsucht nach dir ausdrückt und sich entschuldigt, dass er dich noch nicht besucht habe; wenn du es ihr erlaubst, so wird sie vor dir erscheinen.« Er winkte ihm dabei mit dem Auge, und Ali sagte: »Gut, sie komme!« Als er das Mädchen sah, erkannte er sie, sein Herz pochte und freute sich, als sie zu ihm trat. Er fragte sie dann, ihr zunickend: »Wie befindet sich dein Herr? Gott schenkt ihm Gesundheit!« Sie nahm ihr Briefchen heraus und gab es ihm; er küsste es, ehe er es las, reichte es dann Abul Hasan, den seine Hand war so schwach, dass er sie kaum ausstrecken konnte. Abul Hasan öffnete dann das Briefchen und las darin folgende Verse:

»Was ich meinem Boten gesagt, wird dir meinen Zustand beschreiben. Begnüge dich mit dem, was er dir hinterbringt, statt mich zu sehen. Du hast ein Herz verlassen, das vor Sehnsucht und Liebesqual vergeht, und ein Auge, das nur mit Wachen vertraut ist. Sei geduldig im Unglück; niemand kann die Fügungen des Schicksals von sich abwehren. Sei frohen Mutes: denn bist du auch meinem Auge fern, wirst du doch nie aus meinem Herzen weichen: pflege deinen hinsiechenden Körper und nimm meine Spur als Leitung.«

Dann in Prosa folgendes: »Mein Herr! Wenn ich dir mit den Fingern schreibe, und mit der Zunge rede und meine Gedanken ausspreche, so muss ich dir sagen, dass ich von einem Herzen, von einem Geist und einem Körper spreche, welche nicht mehr wären, wenn ich nicht wünschte, dir zu zeigen, in welchen Zustand sie durch dich gekommen, denn mein Körper könnte dieses Ziel nicht erreichen, wäre nicht die Lust, dir die Sehnsucht zu beschreiben, die seit deiner Trennung mich peinigt. Wer mich sieht, bedarf meiner Schilderung nicht; doch, in kurzem, mein Zustand ist folgender: Ich habe ein Auge, das immer wacht; ein Herz, das immer nachdenkt; eine Brust, von der die Wehmut nicht scheidet; eine Seele, die immer phantasiert; Gedanken, die nur einen kranken Körper zur Wohnung haben und an einem seufzenden Herzen vorübergehen. Mir ist, als hätte ich nie Gesundheit gekannt und wäre immer krank gewesen, als hätte ich nie frisch ausgesehen und nie ein vergnügtes Leben genossen! O möchte ich doch nicht vergessen sein, und nur einem Klagenden klagen und nur gegen einen Weinenden weinen!

»Möge Gott uns doch durch Wiedervereinigung erfreuen, er möge allen helfen, die wehklagen! Und nun, mein Herr und Gebieter! beglücke mich mit einer edlen Antwort: sie wird als mein Freund mir Gesellschaft leisten und als Vertrauter mich trösten. Sei nur fein geduldig, bis uns Gott Mittel zur Wiedervereinigung gibt. Grüße auch Abul Hasan.«

Diese Worte, die selbst ein leeres Herz mit Wehmut erfüllen konnten, wie vielmehr ein volles, rührten Abul Hasan so, dass, wenn er sich nicht gescheut, er alles entdeckt hätte; so aber musste er die Wahrheit verbergen. Er sagte nur zu Ali: »Der Mann hat sehr schön und zierlich geschrieben, beeile dich also zu antworten.« Da sagte Ali mit schwacher Stimme. »Mit welcher Zunge soll ich sprechen und mit welcher Hand schreiben; meine Schwäche und mein Jammer nehmen immer zu.« Doch setzte er sich endlich und legte Papier vor sich und sagte zu seinem Freund: »Lege ihren Brief vor mich hin!« Er öffnete ihn dann, sah eine Weile hinein und schrieb wieder bis er fertig war; dann gab er das, was er geschrieben hatte, Abul Hasan und sagte: »Sieh es einmal durch und gib es dann der Sklavin.« Abul Hasan nahm es und las folgendes:

Am Namen Gottes, des Barmherzigen! Ich erhielt einen Liebesbrief vom Monde, der sein Licht in meine Augen goss. Dieser Brief wird immer schöner, je länger mein Auge auf ihm ruht, als wären seine Worte von Blumen zusammengestellt. Er hat einen Teil meiner Leiden erleichtert, die durch deinen Verlust so schwer auf mir lasten. Meine unbeschreibliche Liebe ist dir nicht verborgen, und mein ungeheuerer Kummer entgeht dir nicht. Mein Herz und mein Auge, jenes weint vor Liebesflammen und dieses zerfließt vor ewigem Wachen. Meine Tränen hören nicht auf zu fließen, und die Flamme meiner Sehnsucht erlischt nie. Bei meiner Liebe und meiner Hoffnung, ich habe nicht zu viel gesagt: Nach unserer Trennung habe ich meine Liebe nie mehr einem anderen Gegenstand zugewendet.«

»Dein Briefchen, o meine Gebieterin! ist mir zugekommen und hat meiner Seele Ruhe gebracht, die Gram und Liebesschmerz ermüdet haben; es hat ein Herz geheilt, das Sehnsucht und Liebe krank gemacht; es hat eine Zunge wieder zum Reden gebracht, die lange geschwiegen; es hat das düstere Nachdenken wieder in Fröhlichkeit verwandelt und wie ein grüner Garten das Auge erfreut. Als ich dessen Inhalt verstanden und seine Worte und seinen Sinn erwogen hatte, ward ich, je mehr ich darin las, desto inniger erfreut. Dann wiederholte ich oft dessen Sinn, der mir wieder entschlüpfte, und fand immer neue Gedanken darin. Dann ward mir die Trennung wieder schmerzlicher, meine Krankheit nahm wieder zu, meine Sehnsucht verdoppelte sich, meine Pein ward heftiger, die Liebe größer, bedrängter das Herz, die Sorgen mehrten sich, das Auge ward wachend, der Körper ermattet, die Hoffnung abgeschnitten, die Entfernung gewiss, die Brust umstrickt und der Verstand geraubt. Kurz, meine Lage ist so, dass meine Leiden noch alle meine Klagen übertreffen.

»Meine Klagen ertönen nicht, den Schmerz zu löschen, sondern nur um von einer übermäßigen Sehnsucht zu überzeugen. Mein Herz bleibt durch die Trennung vernichtet, bis die Wiedervereinigung seinen Brand löschen und ihm volle Genesung bringen wird. Friede sei mit dir!«

Diese Worte drangen Abul Hasan ins Herz und ihr Sinn kostete ihm viele Tränen; erst als er zu müde war, hörte er auf zu weinen. Sein Herz ward gerührt und aufgeregt, und nur nach vieler Anstrengung beruhigte er sich wieder. Er gab den Brief der Sklavin; als sie ihn nahm, sagte ihr Ali: »Komm zu mir her!« Sie ging zu ihm, und er sagte ihr: »Sage deinem Herrn, dass ich wohl bin, dass ich aber liebeskrank, und dass die Sehnsucht mir Mark und Bein aufzehrt. Sage ihm, dass ich ein unglücklicher Mensch bin, den das Schicksal mit seinen Unfällen heimgesucht.« Seinen Worten folgten viele Tränen; Abul Hasan und die Sklavin weinten auch; dann nahm die Sklavin Abschied, ging gerührt und weinend fort. Abul Hasan begleitete sie eine Strecke Wegs und sagte ihr dann Lebewohl, weil er in seinen Laden ging. Als Abul Hasan wieder in seinem Laden saß, war sein Herz so aufgeregt, dass er anfing über das Schicksal der beiden Liebenden nachzudenken; er starb fast vor Kummer ihretwillen, denn er wusste nicht, ob es mit ihnen ein gutes Ende nehmen würde. Er blieb in diesem Zustand bis zum folgenden Tag, wo er wieder zu Ali ging. Da er, wie gewöhnlich, viele Leute bei ihm fand, wartete er, bis diese weggegangen. Er erkundigte sich dann nach seinem Befinden, und Ali fing zu klagen an. Abul Hasan sagte ihm: »Ich habe nie eine Liebe wie die deinige gesehen, noch von einer solchen gehört. Ein solcher Liebesschmerz und leidender Zustand finden sich gewöhnlich nur bei unerwiderter Liebe; da du aber von der, die du liebst, wieder geliebt wirst, was würdest du tun, wenn du ein Mädchen liebtest, die dir nicht hold wäre, oder an jemand dein Herz schenktest, das dich hinterginge? Wahrlich, wenn du in einem solchen Zustand verharrst, wird der Mond deines Geheimnisses sich verdüstern, und deine Liebe jedermann bekannt werden! Zerstreue dich doch! Steh' auf, besuche Gesellschaften, reite spazieren! Trage diese Sache mit Ergebung, und überlege sie mit Ernst!« Abul Hasans Rede machte Eindruck auf ihn; er dankte ihm dafür, und als Abul Hasan dies sah, verließ er ihn und ging wieder in seinen Laden. Nun aber hatte Abul Hasan einen Freund, der alle seine Angelegenheiten kannte, und dem selbst nicht das verborgen geblieben, was zwischen ihm und Ali vorgefallen war. Dieser kam nun zu Abul Hasan in den Laden und fragte ihn nach dem Mädchen; er täuschte ihn und sagte, sie sei krank, und weiter wüsste er nichts von ihr, das übrige wisse nur Gott. Er fuhr dann fort: ich habe gestern an mich selbst gedacht und will dir heute alles mitteilen. Du weißt, dass ich ein angesehener Mann bin, der mit den ersten Männern und Frauen viele Geschäfte macht. Da ich nun nicht sicher bin, das Verhältnis dieser beiden jungen Leute entdeckt zu sehen, was den Verlust meines Lebens und meines Vermögens nach sich ziehen würde, ja das Unglück meiner Kinder und meiner ganzen Familie ausmachte, da ich mich ferner jetzt nicht mehr von ihnen zurückziehen kann, nachdem ich einmal so weit gegangen, so habe ich mich entschlossen, meine Geschäfte hier zu ordnen, nach Bassrah zu gehen, dort zu bleiben und abzuwarten, wie es ihnen hier gehen wird, und was Gott über sie bestimmt. Schon ist die Liebe so heftig zwischen diesen beiden jungen Leuten, dass sie, ohne dadurch zugrunde zu gehen, nicht mehr voneinander getrennt werden können. Als Vertraute haben sie eine Sklavin, die alle ihre Geheimnisse weiß. Wie leicht aber könnte diese einen Groll oder Überdruss gegen sie fassen, ihr Geheimnis aufdecken und sie ins Verderben stürzen; darum ist es gut, wenn ich schnell ausführe, was ich beschlossen, ehe ich mit untergehe; ich würde sonst vor Gott und vor den Menschen einst keine Entschuldigung finden.« Der Freund erwiderte: »Du hast mir da eine wichtige Sache entdeckt. Vor dergleichen Dingen fürchtet sich der Kluge, und es scheut sich der Verständige; ich sehe die Sache nicht anders an, wie du. Gott stehe dir bei gegen das, was du befürchtest, und verleihe einen guten Ausgang, auch bleibe der Gegenstand unsres Gesprächs ein Geheimnis.«

G

Nach diesem Gespräch zwischen dem Spezereihändler und seinem Freund, dem Juwelier, ging dieser wieder seinem Geschäft nach, während Abul Hasan mit Eifer seine Angelegenheiten ordnete und abreiste. Als der Juwelier nach vier Tagen wieder in Abul Hasans Laden gehen wollte, fand er ihn geschlossen; er suchte dann die Wohnung Alis auf und sagte zu einem von dessen Dienern: »Melde mich bei deinem Herrn!« Ali ließ ihn vor sich, und der Juwelier fand ihn auf einem Kissen liegend; als er ihn sah, sprang er auf und kam ihm freundlich entgegen. Der Juwelier entschuldigte sich, ihn nicht früher besucht zu haben; Ali dankte ihm herzlich und fragte ihn dann, ob ihm vielleicht etwas Wichtiges zugestoßen? Da sagte der Juwelier: »Wisse, zwischen mir und Abul Hasan herrscht seit langer Zeit nicht nur die engste Geschäftsverbindung, sondern auch die innigste Freundschaft. Ich liebte ihn sehr, vertraute ihm alle meine Geheimnisse, und wusste, dass es mir nicht nachteilig sein würde; ebenso waren seine Geheimnisse bei mir sicher. Nun hatte ich einige Tage viel mit meinen Gesellschaftern zu verkehren, so dass ich Abul Hasan nicht sehen konnte. Als ich meiner Gewohnheit nach ihn wieder besuchen wollte, fand ich seinen Laden geschlossen, und einer seiner Nachbarn sagte mir, er sei in Geschäften nach Bassrah gereist, die er persönlich besorgen müsse; ich konnte aber mit dieser Antwort nicht zufrieden sein. Da ich weiß, dass es keine vertrauteren Freunde gibt, als euch beide, so dachte ich, dass ich bei dir, seinem Freunde, genau und ausführlich die Wahrheit vernehmen werde; ich komme also zu dir, mich vielmals entschuldigend, um mich nach Abul Hasan zu erkundigen.« Als Ali die Worte des Juweliers hörte, wurde er ganz blass, zitterte an Leib und Seele, und sagte: »Ich habe von dem allem nichts gewusst, ehe du mir dies sagtest, ja nicht ein Wort davon gehört. Und ist es so, wie du sagst, so erschreckt mich dies sehr, es macht mich krank und schwächt alle meine Glieder.« Die Tränen erstickten seine Stimme, mit der er folgende Verse sprach:

»Schon habe ich über mein Elend geweint, als meine Freunde noch nahe waren: da ich nun auch von ihnen getrennt bin, muss ich ewig über sie weinen. Was soll ein Mann tun, dessen Tränen zwischen Lebendigen und Toten geteilt sind?«

Er neigte dann seinen Kopf eine Weile, erhob ihn hierauf gegen einen seiner Diener und befahl diesem: »Geh in Abul Hasans Wohnung und erkundige dich, ob er zu Hause oder abgereist ist, wie dieser Mann erzählte. Alsdann frage, wohin er gegangen und weshalb er abgereist ist.« Der Diener entfernte sich, der Juwelier aber unterhielt sich mit Ali, der bald seiner Rede zuhörte, bald sich abwandte, bald ihn etwas fragte. Endlich kam der Diener zurück und berichtete: »Mein Herr! ich habe nach Abul Hasan gefragt und seine Leute haben mir gesagt, er sei vor zwei Tagen nach Bassrah gegangen; auch sah ich eine Sklavin an der Tür seines Hauses stehen, die nach ihm fragte; als sie mich sah, erkannte sie mich, obwohl ich sie nicht kenne. Sie fragte mich: Bist du nicht der Diener des Ali, Sohn Bakars? Ich bejahte dies; übrigens glaube ich, dass sie von vornehmen Leuten einen Brief an dich hat; sie steht vor der Tür.« Ali befahl, sie hereinzuführen. Es erschien ein über jede Beschreibung erhabenes schönes Mädchen. Der Juwelier erkannte sie sogleich nach der Beschreibung Abul Hasans. Das Mädchen näherte sich Ali, grüßte ihn und sagte ihm etwas insgeheim; nur im Verlauf des Gespräches hörte der Juwelier, wie Ali dem Mädchen schwor, dass er nichts davon gewusst; dann nahm die Sklavin Abschied von ihm und ging. Ali war ganz verwirrt, es war, als brenne ein Feuer in ihm. Der Juwelier dachte: hier ist Gelegenheit, ein Gespräch mit Ali anzuknüpfen und sagte: »Ohne Zweifel wird aus dem Hause des Kalifen etwas von dir begehrt, oder du hast Geschäfte mit dem Hause des Kalifen?« Ali antwortete: »Woher weißt du dies?« Der Juwelier sagte: »Ich kenne diese Sklavin.« Jener fragte: »Wem gehört sie denn?« Dieser antwortete: »Sie gehört Schems Annahar, der Sklavin des Raschid, welche die Vornehmste, die Verständigste und Schönste unter allen ist; ich habe einmal einen ihrer Briefe gesehen.« Der Juwelier beschrieb dann Ali, wie sie so schön in Versen und in Prosa schreiben könne; dieser war darüber so betrübt, dass der Juwelier fürchtete, er möchte sterben. Als Ali wieder zu sich kam, sagte er zu dem Juwelier: »Ich beschwöre dich bei Gott, sage mir die Wahrheit, woher weißt du das alles? Ich lasse dich nicht, bis du mir die Wahrheit gestanden.« Der Juwelier antwortete ihm: »Damit du an mir nicht zweifelst und mich nicht ungehorsam findest, auch keinen Verdacht gegen mich schöpfst, der dir Kummer bereiten könnte; damit du dich nicht schämst, und dir überhaupt nichts verborgen bleibe: so schwöre ich dir hier bei Gott, dass ich dich nicht verraten und dir nie einen guten Rat vorenthalten werde«. Er erzählte ihm darauf, was er wusste, und sagte ihm, dass er nur zu seinem Besten zu ihm gekommen, aus Liebe zu ihm und aus Besorgnis für sein Wohl; er versicherte ihm wiederholt, dass er Leben und Vermögen für ihn aufzuopfern bereit wäre, und dass er nach der Abreise Abul Hasans ihm Gesellschaft leisten wolle, auch sein Geheimnis treu bewahren und sein Herz erleichtern werde. Er sagte ihm noch weiter: »Sei nur guten Muts und fröhlich!« Ali dankte dem Juwelier und sagte: »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll; ich lasse dich mit Gott und deiner Männlichkeit.« Er sprach dann folgende Verse:

»Wenn ich auch sagen wollte, dass ich nach seiner Trennung mich noch zu fassen wüsste, so würden meine Tränen und meine ungeheuere Magerkeit mich Lügen strafen. O ich möchte nur wissen, ob meine Tränen gleich Regengüssen fließen, wegen der Entfernung des Freundes oder der Geliebten! Immer fließen meine Tränen wegen der Trennung des Freundes und der Geliebten!«

Er schwieg hierauf eine Weile, dann sagte er: »Weißt du, was die Sklavin gesagt?« Der Juwelier verneinte. Da sagte Ali: »Sie glaubt, ich habe Abul Hasan veranlasst, wegzureisen, und sei mit ihm darüber einverstanden; in dieser Meinung ging sie fort, denn sie wollte mich nicht anhören und nicht an meine Unwissenheit glauben. Ich weiß nun nicht, was ich tun soll, denn sie war schon gewöhnt, Abul Hasan anzuhören und seiner Rede zu folgen.« Der Juwelier sagte: »Ich habe dies bemerkt, doch werde ich dir beistehen.« Ali erwiderte: »Wie ist dies zu hoffen bei ihrer großen Schüchternheit?« Der Juwelier antwortete: »Ich werde mich bemühen, dir zu helfen und mit Gottes Beistand, mit seiner großen Huld und Weisheit es so einzurichten suchen, dass das Geheimnis nicht entdeckt wird und kein Unglück daraus entstehe. Mache dir nur das Herz nicht schwer; bei Gott! ich lasse nichts Mögliches unversucht, um die Erfüllung deiner Wünsche herbeizuführen.« Dann bat der Juwelier, entlassen zu werden. Ali sagte: »Du hast einen schönen Anfang gemacht; wisse, dass ich deine Gefühle teile, die Vereinigung mit der Geliebten von deiner Freundschaft, das Verschweigen meines Geheimnisses von deiner Männlichkeit erwarte, und den Trost ihrer Nähe als ein Geschenk deiner Gewandtheit ansehe.« Er umarmte den Juwelier, küsste ihn, und der Juwelier verließ ihn.

Als er von Ali Abschied genommen hatte und weggegangen war, wusste er nicht, wohin sich wenden, was beschließen und was unternehmen, und dem Mädchen zu wissen zu tun, dass er mit ihrem Verhältnis vertraut sei; er ging in Nachdenken versunken weiter, als er einen offenen Brief auf dem Weg fand; er nahm ihn und las darin: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen und Allmilden!

»Der Bote kam mit froher, erquickender Nachricht, doch ich glaubte immer, es sei nur ein Wahn. Ich konnte mich nicht freuen, ward nur noch trauriger, weil ich wusste, dass meine Leute dich nicht verstanden.«

»Ich habe gehört, mein Herr! - den Gott erhalten möge! - wie die Bande des Vertrauens sich gelöst und unser brieflicher Verkehr unterbrochen worden ist. Hast du ein Unrecht begangen, so bewahre ich dir doch meine Treue, und hast du mein Vertrauen getäuscht, so werde ich das deinige mit Geduld und Nachsicht bewahren; und ist dein Freund auf deinen Befehl weggegangen, so hast du doch jemand, der dasselbe treu bewahrt und dir ein wahrer Freund ist. Er ist nicht der erste Gegenstand meiner Zuneigung, den mir das Schicksal entreißt. Gott möge deinem Herzen baldige Aufheiterung und schnelles Heil senden! Friede sei mir dir!«

Während der Juwelier dieses Briefchen las und darüber nachdachte, wer es wohl verloren habe, kam eine Sklavin, ganz außer sich vor Schrecken, sah sich auf allen Seiten um, bückte sich dann zur Erde; da sie aber sah, dass der Juwelier den Brief in der Hand hielt, ging sie auf ihn zu und sagte: »Mein Herr! ich habe diesen Brief fallen lassen, sei so gut und gib ihn zurück.« Der Juwelier antwortete ihr nicht und ging seines Weges fort; sie folgte ihm, bis er an sein Haus kam, da trat sie mit ihm hinein und sagte: »O Herr! ich weiß nicht, was dieser Brief dir nützen kann: du weißt nicht, von wem er kommt, noch an wen er gelangen soll; warum nimmst du diesen Brief?« Der Juwelier hieß das Mädchen sich setzen und sagte: »Schweige, sei ruhig und höre mich an! Ist dies nicht die Schrift deiner Herrin Schems Annahar, die an Ali schreibt?« Das Mädchen ward ganz blass, zitterte und sagte: »Er hat uns und sich selbst geschändet. Die Heftigkeit der Liebe hat ihn in das Meer des Unsinns geworfen, so dass er seine Leiden seinen Freunden geklagt, ohne an die Folgen zu denken!« Sie wollte dann weggehen; der Juwelier aber fürchtete, dass, wenn sie in diesem Zustande weglaufe, es auf Ali ein schlechtes Licht werfen und seine ganze Sache verderben könnte; er sagte ihr also: »O du! die menschlichen Herzen stehen sich gegenseitig als Zeugen gegenüber. Es ist möglich, alles zu verheimlichen, was verborgen bleiben soll, nur die Liebe nicht, die kann nicht verborgen bleiben; da gibt es zu viele Beweise, die sie verraten, und zu viele Zeugen, die von ihr sprechen, da gibt es kein anderes Mittel, als guten Rat anzuhören um nicht zu verderben. Du hast Abul Hasan im Verdacht, während er ganz unschuldig ist, und hast etwas von ihm vermutet, das weit von ihm entfernt ist. Was Ali betrifft, der hat keines eurer Geheimnisse offenbart, der hat nichts entdeckt, und du hast ihm in deiner Rede Unrecht getan. Ich werde dir etwas sagen, was dich erfreuen und deine Brust erweitern wird. Dein Misstrauen wird verschwinden, seine Unschuld aber klar werden; doch musst du mir versprechen, mir nichts von eurem Zustande zu verbergen; denn ich weiß Geheimnisse zu bewahren, bei Gefahren standhaft zu bleiben, für den Freund tätig zu sein, in allem aber als ein wackerer Mann zu handeln.« Sie war durch die Rede des Juweliers erfreut und sagte. »Ein Geheimnis, das du bewahrst, ist nicht verloren; ich werde dir einen Schatz anvertrauen, den man nur dem, der es verdient, zeigen kann; sage nur alles ganz klar heraus, Gott und seine Engel sind mir dann Zeugen, dass ich dir alles mitteilen werde.«

Als der Juwelier dem Mädchen dasselbe erzählt hatte, was er Ali erzählt, und ihr sagte, dass er soeben Ali besucht habe, setzte er noch hinzu: »Das gefundene Briefchen beweist, dass ich's gut meine in dieser Sache und dass ich nicht im Sinne habe, als Störer in ihrer Liebe aufzutreten.« Die Sklavin hörte ihm mit Staunen zu und ließ ihn nochmals schwören, dass er ihr Geheimnis treu bewahren wolle. Der Juwelier ließ sie auch schwören, dass sie ihm nichts verheimlichen wolle, nahm den Brief und versiegelte ihn; die Sklavin sprach: »Ich werde Ali sagen, meine Herrin habe mir einen versiegelten Brief gegeben und wünsche eine Antwort darauf, die ich dann auch mit deinem Siegel versiegeln werde; nun gehe ich zu ihm und komme wieder zu dir, ehe ich ihr seine Antwort bringe.« Sie nahm jetzt Abschied vom Juwelier und ließ seinem Herzen ein brennendes Feuer zurück. Sie ließ nicht lange auf sich warten und kam mit einem versiegelten Brief in der Hand zurück, in dem geschrieben war: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen und Gnädigen!

»Der Bote, bei dem unsere Geheimnisse verborgen waren, hat sie aus Missmut enthüllt; nun schenkt mir einen anderen Vertrauten, der Aufrichtigkeit und nicht Lügen für gut findet.«

»Ich war nicht treulos, ich habe nichts Anvertrautes verraten, ich habe kein Versprechen gebrochen und keinen Liebesbund entzwei gerissen; ich habe nicht aufgehört zu trauern und habe nach der Trennung von dir nichts als Jammer gefunden; ich habe von dem, den ihr erwähnt, nichts gehört und keine Spur von ihm gesehen. Nun möchte ich wieder einmal in eurer Nähe sein; doch fern ist der Gegenstand meiner Sehnsucht! Ich wünsche Wiedervereinigung, doch wo ist der Gegenstand meiner Wünsche? Wenn ihr mich sehen würdet, so würde mein Anblick schon genug sagen. Friede sei mit euch!«

Dieser Brief entlockte dem Juwelier Tränen; auch die Sklavin musste mit ihm weinen. Sie sagte dann: »Geh nicht aus dem Haus zu Ali, bis ich morgen wiederkehre; ich habe ihn in Verdacht gehabt, doch er ist unschuldig; auch hat er mich, ohne dass ich's verdiente, in Verdacht gehabt. Ich will nun alles anwenden, um dich mit meiner Herrin zusammenzubringen, die ich unruhig verließ und die mit Ungeduld Nachricht erwartet von dem, der ihr Geheimnis weiß.« Die Sklavin verließ den Juwelier; am folgenden Morgen aber kam sie sehr freudig wieder zu ihm. Er fragte sie, was sie habe? Sie antwortete: »Ich war bei meiner Gebieterin, habe ihr seinen Brief gegeben; als sie in Nachdenken versunken und ängstlich ward, sagte ich ihr: Fürchte nichts und sei nicht traurig, denke auch nicht, dass Abul Hasans Abwesenheit eurer Sache schade, denn schon haben wir jemand gefunden, der ihn ersetzt. Ich erzählte ihr dann deine Unterhaltung mit Ali, und wie du zu ihm gekommen; dann von dem Brief, den ich verloren, und von deinen Versicherungen, das Geheimnis bewahren zu wollen. Sie wunderte sich darüber und sagte: Ich möchte diesen Mann selbst sprechen und mit ihm bekannt werden, damit ich mich ein wenig aufheitere, und durch seine Güte mich in meinem Vorsatz noch mehr befestige. Komm also mit Gottes Segen und seiner schönen Genehmigung!« Als der Juwelier dies hörte, dachte er, dies sei eine ernste Sache, mit der man nichts zu tun haben sollte. Er sagte daher der Sklavin: »Ich gehöre zum Mittelstand und kann nicht, wie Abul Hasan, durch meine Geschäfte Eingang in die Wohnung des Kalifen finden; Abul Hasan hat mir eine Geschichte erzählt, und ich zittere noch, wenn ich daran denke. Wünscht also deine Herrin mich zu sprechen, so geschehe dies nicht im Haus des Fürsten der Gläubigen. Mein Herz sagt mir, ich soll dir nicht gehorchen.« Als er sich weigerte, mit ihr zu gehen, sprach sie ihm Mut ein und verbürgte ihm, dass er unbeschädigt davonkommen und dass alles verborgen bleiben werde. So oft er ihr aber nachgeben wollte, versagten ihm seine Füße und fingen seine Hände an zu zittern. Endlich sagte sie: »Mache dir's bequem, sie wird zu dir kommen; weiche nicht von hier!« Sie lief schnell fort, kam bald wieder zurück und sagte: »Nimm dich wohl in acht, dass niemand im Hause sei, der uns verrate.« Der Juwelier versicherte, dass niemand hier sei und wie er alle mögliche Vorsicht anwenden werde. Die Sklavin ging wieder, kehrte alsbald mit einem anderen Mädchen zurück, dem zwei Sklavinnen folgten. Das Mädchen, das mit ihr kam, war so schön, dass das ganze Haus von ihrer Erscheinung widerstrahlte. Der Juwelier reichte dieser dann ein Kissen, auf das sie sich niederließ; und als sie ein wenig geruht hatte, entschleierte sie ihr Gesicht, das wie die Sonne oder wie der Mond strahlte; doch zeugten ihre Bewegungen von bedeutender Schwäche. Sie wandte sich zu dem Mädchen, das sie hergebracht hatte und fragte sie: »Ist es dieser?« Jene bejahte es, und der Juwelier grüßte sie ehrfurchtsvoll, was sie höflich erwiderte. Dann sagte sie: »Mein Vertrauen zu dir hat mich bewogen, dein Haus zu besuchen, dir unser Geheimnis anzuvertrauen und darauf zu bauen, dass du es wohl verbergen wirst. Ich gebe mich dir ganz hin und denke nur Gutes von Dir, weil ich dich für einen verständigen und rechtschaffenen Mann halte.«

Sie erkundigte sich hierauf nach der Lage des Juweliers, nach seiner Familie und seinen Bekanntschaften. Er gab ihr über alles, was ihn betraf, die genaueste Auskunft. Dann ließ sie sich die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Abul Hasan erzählen. Als der Juwelier damit zu Ende war, erschrak sie und bedauerte den Verlust dieses guten Mannes sehr. Sie sagte dann: »Wisse, dass alle Menschen in Leidenschaften versunken sind, so verschieden auch ihr Zustand voneinander ist. Ihre Wünsche sind so ziemlich dieselben, so sehr auch ihre Handlungen voneinander abweichen mögen. Doch wird keine Tat gelingen, über die man nicht vorher sich verständigt hat; man erreicht kein Ziel ohne Mühe, und findet keine Ruhe, ohne vorhergegangene Arbeit.«

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»Ohne Vertrauen gewonnen zu haben, entdeckt man niemand ein Geheimnis, man verlässt sich auf niemand, von dessen Tüchtigkeit man nicht überzeugt ist; man erwartet Hilfe nur von einem wackeren Manne, so wie man nur nach einer Menge von guten Handlungen und aufrichtigen Gesinnungen Dank erwarten kann. Nun ist dir alles klar, der Schleier ist aufgehoben vor deinem Angesicht, mehr braucht es nicht bei deinen männlichen und milden Gesinnungen. Mir aber bleibt nichts übrig, als der Tod und dieses Mädchen; dir ist bekannt, welchen schönen Weg diese wandelt und wie hoch sie bei mir in Gunst steht. Sie bewahrt mein Geheimnis, sie leitet meine Angelegenheiten; traue ihr in allem, was sie sagt und wozu sie dich bereden will; du kannst ruhig und furchtlos sein, sie wird dich nirgends hinführen, ohne vorher alles gesichert zu haben. Sie wird dir Nachricht von mir bringen und unsere Vermittlerin sein.« Schems Annahar erhob sich dann, obwohl sie vor Schwäche kaum stehen konnte. Der Juwelier begleitete sie bis an die Haustür; hier blieb er, ganz entzückt von ihrer Schönheit, wie von ihrer vortrefflichen Rede und Gesinnung, stehen. Dann machte er sich auf, wechselte seine Kleider, ging aus dem Haus und begab sich zu Ali. Kaum zeigte er sich hier, als die Knaben Alis von allen Seiten herbeisprangen, um ihn zu Ali zu führen. Der Juwelier fand diesen auf seinen Polstern ausgestreckt; als Ali jedoch jenen bemerkte, hieß er ihn willkommen und sagte: »Du hast lange gesäumt und noch mehr Kummer zu dem meinigen gehäuft; ich habe, seitdem du mich verlassen, kein Auge geschlossen. Gestern kam das Mädchen mit einem versiegelten Briefchen«, und er erzählte dem Juwelier, was wir schon wissen. Dann sage er: »Ich weiß mir nun keinen Rat mehr, meine Geduld ist zu Ende; ich finde keine Kraft und keine Überlegung mehr, die mich auf den Weg der Freude brächten. Jener Mann (Abul Hasan) war mir ein Trost und ich hoffte durch ihn ans Ziel zu gelangen, weil meine Geliebte ihn gut kannte und ihre Freude an ihm hatte.« Als er dies hörte, lachte der Juwelier. Ali fragte: »Lachst du, weil ich weine, nachdem ich dir mein Elend geklagt?« Darauf sprach er folgende Verse:

»Er lacht, wenn er mich weinen sieht; er würde mit mir weinen, wenn ihm widerfahren wäre, was mir widerfahren. Nur ein Mann, der selbst viel gelitten, nimmt Anteil an den Leiden eines Unglücklichen.«

Als der Juwelier diese Verse hörte, erzählte er Ali, was zwischen ihm und Schems Annahar vorgefallen, seit er ihn nicht mehr gesehen. Als er geendet hatte, fing Ali heftig zu weinen an und sagte: »Ich gehe gewiss zugrunde und sinke ins Verderben; o möchte doch Gott meinen fernen Tod beschleunigen, denn schon hat mich die Geduld verlassen und jede Überlegung ist von mir gewichen. Ohne dich wäre ich schon vor Kummer und vor Schmerz gestorben. Nur du stehst mir noch bei, dafür sei Gott gepriesen und gelobt! Hier liege ich nun als dein Gefangener vor dir; ich werde dir in nichts widersprechen, noch deinem Willen mich widersetzen. Der Juwelier aber erwiderte: »Mein Herr! ein solches Feuer kann nur durch Vereinigung gelöscht werden, jedoch an einem Ort, wo keine Gefahr, kein Schaden und kein Unglück zu befürchten ist. Ich habe einen sicheren Ort ausgewählt. Mein Wunsch ist, euch zu vereinigen: ihr sollt euch sprechen, euren Liebesbund gegenseitig erneuern und euch einander euern Schmerz und eure Freude klagen.« Ali erwiderte: Tu in dieser Sache, was du für gut findest!« Der Juwelier blieb dann jene Nacht bei Ali.

Am folgenden Morgen ging er nach Hause. Kaum daselbst angelangt, erschien das Mädchen wieder bei ihm; er erzählte ihr, was zwischen ihm und Ali vorgefallen war und sie antwortete: »Sorge für einen guten und sicheren Ort zu ihrer Zusammenkunft.« Er schlug ihr dann seine (andere) Wohnung vor und sie sagte: »Wie du es anordnest, so ist es gut; es kommt jetzt nur noch auf Schems Annahars Einwilligung an, die ich von eurem Vorschlag benachrichtigen werde.« Sie ging, kam aber sehr geschwind wieder, und sagte: »Treffe alle Anstalten an dem Orte, den du angegeben, und bereite alles vor, wie es sich für solche Gäste ziemt.« Sie nahm dann einen gefüllten Beutel aus der Tasche, überreichte ihn dem Juwelier und sprach: »Damit schaffst du wohlschmeckende Speisen und süße Getränke herbei,« Dieser beteuerte aber, dass er damit keine Auslagen machen werde. Das Mädchen nahm den Beutel wieder und ging weg. Hierauf begab er sich mit beklommenem Herzen in sein anderes Haus, wo die Liebenden zusammenkommen sollten. Er richtete alle Gerätschaften her und ließ keinen Freund, von dem er sich nicht ein Geschenk erbat. Er verschaffte sich goldenes und silbernes Geschirr, Tapeten, reiche Kissen und andere Hausgeräte zur Ausschmückung des Hauses. Als das Mädchen wiederkam und alles sah, gefiel es ihr außerordentlich. Der Juwelier sagte ihr dann: geh und bringe Ali hierher, ohne Aufsehen zu machen. Sie ging und kehrte bald wieder mit Ali zurück. Er hatte ein prächtiges Kleid an, in dem er höchst reizend und liebenswürdig aussah. Der Juwelier nahm ihn mit Ehrerbietung auf, ließ ihn auf einen Divan sitzen, legte ihm das Beste von allem vor und unterhielt ihn bis zur Ankunft Schems Annahars.

Diese kam gleich nach dem Sonnenuntergang-Gebet, begleitet von ihrer Vertrauten und zwei anderen Sklavinnen. Als Ali und Schems Annahar sich wiedersahen, war ihr Liebesschmerz so heftig, dass keines sich dem anderen nähern konnte - es war eine herzergreifende Szene; der Juwelier musste Ali schnell beistehen, und das Mädchen musste Schems Annahar unterstützen, bis beide wieder zu sich kamen und neue Kraft sie belebte. Sie unterhielten sich dann mit matter Stimme eine Weile. Der Juwelier brachte ihnen hierauf Wein, den sie tranken; dann brachte er zu essen. Sie brachen beide in Danksagungen gegen ihn aus. Er fragte sie hierauf, ob sie noch mehr Wein wollten? Als sie seine Frage bejahten, führte er sie in einen anderen Saal, wo sie sich behaglich fühlten, aus freier Brust atmeten und von ihren Leiden sich erholten. Sie waren erstaunt über das, was der Juwelier für sie getan, fanden es sehr gütig und fingen an zu trinken. Dann fragte Schems Annahar den Juwelier: »Hast du eine Laute oder sonst ein musikalisches Instrument?« Dieser bejahte es und brache ihr eine Laute; sie nahm dieselbe, stimmte sie und sang mit lauter, süßer Stimme folgende Verse:

»Bist du ein treuer Bote, so lass alle Ausschmückungen; sage nichts anderes, als dir aufgetragen, und heile mit Wahrheit den Liebeskranken. Ist dein Auftrag eine Weigerung, so wird dadurch eine lobenswerte Standhaftigkeit bewiesen, die, wenn sie lange dauert, schöne Früchte tragen wird.«

Dieser Gesang war so bezaubernd, wie menschliche Ohren ihn nie gehört. Auf einmal erhob sich aber ein schrecklicher Lärm und ein großes Geschrei. Plötzlich trat einer von des Juweliers Dienern herein, der innerhalb der Tür Wache gestanden, und sagte: »Man hat unsere Türen eingebrochen und wir wissen nicht, wer in der Nacht daherkommt!« Während er dies sagte, schrie ein Mädchen, das auf der Terrasse stand, und es drangen zehn vermummte Männer, mit Dolchen und Schwertern bewaffnet, in den Saal; ihnen folgten wieder zehn andere, gerade so bewaffnet wie die ersten. Als der aufgeschreckte Juwelier das sah, entsprang er zur Tür hinaus und flüchtete sich zu einem Nachbarn; dann er war fest überzeugt, dass dieser jähe Überfall nur auf Befehl des Kalifen, dem ohne Zweifel die Zusammenkunft seiner Favoritin mit Ali verraten war, gemacht worden sein könne. Als der Herr der Hauses um Mitternacht herunterkam und jemand in seinem Hausgang verborgen fand, den er nicht kannte, kehrte er erschrocken zurück, kam mit einem Säbel bewaffnet wieder und sage: »Wer bist du?« Der Juwelier antwortete: »Ich bin dein Freund und Nachbar.« Als der Hauseigentümer dies hörte, steckte er sein Schwert in die Scheide und sagte: »Mir tut dieser Vorfall sehr leid. Gott wird dir in seiner Güte alles wieder ersetzen.« Er fuhr dann fort: »Ich möchte wohl wissen, wer die bewaffneten Leute sind, die dich so unversehens überfallen haben, aber ich halte sie für Räuber, die bei dir plünderten und mordeten, weil sie gestern gesehen, dass du viele kostbare Gerätschaften in dein Haus gebracht hast, ich fürchte sehr, sie haben deine Gäste fortgeschleppt oder getötet.« Der Juwelier ging dann mit seinem Nachbarn in das Haus und siehe da, es war rein ausgeplündert und leer, die Fenster waren aufgerissen, die Türen eingebrochen: sie hatten hier einen grässlichen Anblick, der das Herz zerschnitt. Der Juwelier fing an, über sein Unglück nachzudenken; er wusste nicht, was er anfangen, wie er sich bei den Leuten entschuldigen sollte, von denen er die silbernen und goldenen Gefäße entlehnt hatte. Er dachte auch an Schems Annahar und an Ali; und fürchtete, der Kalif möchte etwas durch einen Diener über sie erfahren haben; sein Mut und seine Kraft verließen ihn. Er sagte dann zu seinem Nachbarn: »Was soll ich tun? Wer ratet mir?« Jener erwiderte: »Habe Geduld und vertraue auf Gott. Die Leute, die in dein Haus gedrungen sind und dich beraubt haben, haben auch angesehene Männer aus dem Palast des Kalifen gemordet, sowie aus dem Hause des Polizeiobersten. Die Leibwachen spüren ihnen nach, vielleicht erwischen sie sie, und du gelangst zum Ziel deiner Wünsche ohne dein Hinzutun.« Der Juwelier nahm seine Zuflucht zu Gott und kehrte nach seinem Wohnhaus zurück, dann sagte er: »Abul Hasan hat das Unglück, in das ich mich blindlings stürzte, vorausgesehen.«

Mit Tagesanbruch verbreitete sich auch das Gerücht von der Plünderung mit großer Schnelligkeit in der Stadt und zog eine Menge Leute von allen Orten herbei; die einen kamen aus Neugierde, die anderen waren schadenfroh, wieder andere bedauerten ihn, und ein großer Teil bestürmte ihn mit Forderungen. Er dankte den einen für ihre Teilnahme, klagte den anderen und wies die Fordernden ab.

Sie brachte er den ganzen Tag zu, ohne etwas zu genießen. Als er voller Reue so dasaß, kam einer seiner Knaben herein und sagte, dass ein unbekannter Mann, den sie bis jetzt noch nie gesehen hatten, vor der Haustür nach ihm frage und ihn erwarte. Der Juwelier stand auf und ging hinaus; da begrüßte ihn ein Fremder und sagte: »Ich habe in einer wichtigen Sache mit dir zu reden.« Der Juwelier hieß ihn ins Haus treten. Dieser wollte aber nicht, sondern forderte ihn auf, mit ihm in sein anderes Haus zu gehen. »Weißt du«, versetzte der Juwelier, »dass ich noch ein anderes Haus, als dieses hier, besitze?« Jener erwiderte: »Ich weiß es, ich weiß alles und bringe dir Trost.« Als der Juwelier dies hörte, sagte er: »Nun, ich folge dir überall hin.« Als sie miteinander an sein anderes Haus kamen und der Fremde die zerbrochene Tür sah, sagte er: »Das hat ja keine Türen, hier können wir uns nicht aufhalten. Folge mir, ich will dich an einen anderen Ort führen.« So gingen sie von einer Straße in die andere, von einem Hause zum andern, ohne in eines zu treten, den ganzen übrigen Tag ohne Aufenthalt, bis es Nacht ward. Der Juwelier erschrak und hatte nicht den Mut zu fragen. Endlich führte ihn der Fremde ins Freie an die Ufer des Flusses und sagte: »Folge mir nur!« Der Juwelier fasste Mut und lief hinter ihm her, bis sie an eine Stelle kamen, an der sich ein Nachen befand. Sie bestiegen denselben und ließen sich an das jenseitige Ufer übersetzen. Der Fremde ergriff die Hand des Juweliers und führte ihn in ein langes Quartier der Stadt, das er noch nie betreten hatte, und er wusste bald nicht mehr, in welchem Teil von Bagdad er sich befand. Er blieb endlich vor der Tür eines Hauses stehen, und als diese sich öffnete, hieß er den Juwelier eintreten, worauf er die Tür mit einem starken Riegel hinter sich zuschloss. Der Fremde führte ihn in ein Zimmer, in dem sich zehn Bucklige befanden, die sich alle ganz gleich sahen.

Die Männer begrüßten ihn und hießen ihn sich niedersetzen, was er alsbald tat, denn er war fast tot vor Müdigkeit und Furcht. Man brachte frisches Wasser, womit er sich Gesicht und Hände wusch. Hierauf brachte man Wein und endlich auch zu essen, und alle ließen sich's schmecken. Da dachte der Juwelier, wenn ich etwas zu befürchten hätte, würden sie nicht mit mir essen. Als die Mahlzeit und die Abwaschung vorüber war, begab sich jeder wieder an seinen Platz. Der Juwelier setzte sich zu ihnen, worauf sie ihn fragten: »Kennst du uns?« Er antwortete: »Nein, ich kenne weder euch, noch den Fremden, der mich hergeführt hat, selbst nicht das Stadtviertel und den Ort, wo ich mich befinde.«

»Erzähle uns dein Abenteuer«, forderten sie ihn auf, »verschweige uns aber nichts.« Der Juwelier antwortete: »Meine Geschichte ist wunderbar, ist euch davon etwas bekannt?« - »Ja wohl«, versetzten sie, »wir haben gestern den jungen Mann und die Sängerin, die bei dir waren, festgenommen und dein Haus ausgeplündert.«

»Ich bitte euch, bei Gottes Schutz!« rief der Juwelier aus, »sagt mir, wo der junge Mann und die junge Frau sich befinden;« sie antworteten, mit der Hand nach zwei Zimmern, die ihnen gegenüber lagen, zeigend: »Jedes von ihnen ist in einem dieser Zimmer. Sie behaupten, dass außer dir niemand Kunde von ihren Angelegenheiten habe. Aus Rücksicht gegen sie drangen wir nicht länger mit Fragen in sie und haben sie, da wir sie so kostbar bekleidet fanden, woraus wir auf ihren vornehmen Stand schlossen, auch am Leben gelassen. Enthülle uns nun die Wahrheit über ihre Verhältnisse, denn nur unter dieser Bedingung wird dir dein und ihr Leben zugesichert.«

Der Juwelier sagte: »Ich sehe, dass, seit männliche Tugend verloren gegangen, sie nur bei euch wieder gefunden werden kann, und dass nur Menschen eurer Art imstande sind, ein anvertrautes Geheimnis, dessen Verbreitung man fürchtet, in der Brust zu vergraben; hat man ein gefährliches Unternehmen, so darf man nur euch damit beauftragen und überzeugt sein, dass eure Fähigkeiten und Entschlossenheit es glücklich ausführen.« In diesem Sinne sprach der Juwelier noch lange zu den Räubern, bei sich erwägend, dass es in solchen Umständen besser sei, die Wahrheit zu sagen, als sie zu verbergen, da doch am Ende alles an den Tag kommt. Er erzählte ihnen daher umständlich die ganze Liebesgeschichte Alis und Schems Annahars von Anfang bis zu Ende.

Da riefen die Räuber: »Ist der junge Mann Ali, Sohn Bekars, und die junge Frau Schems Annahar?« Der Juwelier beteuerte, ihnen nichts verborgen zu haben. Als dies die Räuber hörten, erschraken sie sehr und gingen zu Ali und Schems Annahar, und baten sie um Verzeihung.

Alsdann kamen sie wieder zum Juwelier und sagten zu ihm: »Vieles von dem, was in deinem Hause geraubt worden, ist noch da, einiges aber fehlt; hier nimm, was noch da ist«, worauf sie ihm den größten Teil der goldenen und silbernen Gerätschaften zurückgaben. Dann sagten sie: es ist unsere Pflicht, alles wieder in deine andere Wohnung zu bringen. Sie teilten sich hierauf in zwei Teile, die einen blieben bei dem Juwelier und die anderen bei dem Liebespaar, und so verließen alle das Haus. Ali und Schems Annahar vermochten sich kaum aufrecht zu erhalten; nur die Furcht und die Lust, wieder befreit zu werden, gab ihnen Kraft dazu.

Unterwegs nahte sich der Juwelier der Schems Annahar und erkundigte sich nach der Vertrauten und den beiden Sklavinnen. »Ich weiß nichts von ihnen«, antwortete sie. Die Räuber geleiteten alle drei bis an das Ufer des Flusses, ließen sie einen Nachen besteigen und ruderten mit ihnen nach dem entgegengesetzten Ufer.

Als Ali, Schems Annahar und der Juwelier an das Land stiegen, hörte man Geräusche von der Wache zu Pferde, die Räuber sprangen wie Adler in den Nachen und ruderten mit aller Macht davon. Ali, Schems Annahar und der Juwelier, als sie sich von den Reitern umringt sahen, blieben bewegungslos stehen. Die Reiter fragten Ali und den Juwelier, wer sie seien. Durch diese Frage aus der Fassung gebracht, schwiegen sie still, bis endlich der Juwelier antwortete. »Diese dort, die ihr über den Fluss setzen seht, sind Räuber, wir aber sind rechtliche Leute aus der Stadt. Sie haben uns in der letzten Nacht aufgegriffen und wir mussten die Nacht bei ihnen zubringen. Sie waren ohne Mitleid gegen uns und nur durch sanfte Worte und List konnten wir wieder unsere Freiheit erlangen, was aus ihnen geworden, habt ihr selbst gesehen.« Die Reiter betrachteten alle drei und sagten zum Juwelier: »Du bist nicht aufrichtig, wer seid ihr und in welchem Stadtviertel wohnt ihr?« Sie gerieten durch diese Frage in neue Verlegenheit und wussten nicht, was sie antworten sollten. Schems Annahar nahm den Anführer beiseite und hatte nicht sobald mit ihm gesprochen, als er vom Pferde stieg und Schems Annahar aufsteigen ließ und selbst das Pferd am Zaume führte, und auch für Ali und den Juwelier wurden Pferde herbeigeholt. Sie ritten dann bis an einen gewissen Platz, wo er einem Mann Befehl gab, zwei Boote herbeizuschaffen.

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Er ließ hierauf Schems Annahar, Ali und den Juwelier in ein Boot steigen, und seine Leute in ein anderes. Das Boot steuerte nach dem Palast des Kalifen zu, was sie in nicht geringe Angst versetzte. Der Befehlshaber ließ hierauf zum großen Schrecken der beiden vor dem Palaste des Kalifen anlegen. Auf seinen Wink wurden aber Ali und der Juwelier an ein anderes Ufer gebracht, von wo aus sie, in Begleitung von zwei Wachen, sich in die Wohnung Alis begaben. Sie waren so müde und angegriffen, dass sie sich ganz regungslos niederlegten und bis gegen Abend schliefen. Als der Juwelier erwachte, standen viele Leute laut jammernd umher und waren bemüht, Ali wieder ins Leben zu rufen, und als sie bemerkten, dass jener ausgeschlafen hatte, umringten ihn Alis Leute und drangen in ihn, zu erzählen, was diesem begegnet sei, indem sie ihm zuriefen: »Du bist unseres Herren Untergang und Verderben!«

Der Juwelier antwortete: »O ihr Leute! Sachen von solcher Wichtigkeit lassen sich vor so vielen Zeugen nicht erzählen;« er beschwor sie, nicht weiter in ihn zu dringen und ihren Herren nicht üblen Nachreden preiszugeben. In diesem Augenblick erholte sich Ali und fing an, sich zu bewegen, worauf ein Teil der Leute voller Freude über sein Erwachen zurücktraten, doch ließen sie den Juwelier nicht fortgehen, um seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen. Man rieb Ali mit Rosenwasser und Moschuspulver ein, er blieb aber doch noch so schwach, dass er nicht antworten konnte. Auf alle an ihn gerichteten Fragen gab er nur Winke mit der Hand als Antwort. So winkte er auch seinen Leuten, den Juwelier ziehen zu lassen.

Als die Leute des Juweliers ihn von zwei Männern getragen ankommen sahen, schlugen sie sich ins Gesicht und schrieen laut zusammen. Er gebot ihnen Schweigen und sie gehorchten. Die zwei Träger, welche ihn getragen hatten, setzten ihn ab und verließen ihn. Er legte sich nieder und blieb bewusstlos die ganze Nacht hindurch. Am anderen Morgen, als er erwachte, standen seine Frau, sein Kind und seine Freunde um ihn herum und bestürmten ihn mit Fragen über das, was ihm widerfahren. Er ließ sich Wasser bringen, wusch sein Gesicht, dann trank er etwas Wein und dankte den Anwesenden für ihre Teilnahme. Hierauf sagte er, dass er zu viel getrunken habe und dadurch in den Zustand geraten sei, in welchem sie ihn getroffen hätten, worauf die Leute endlich fortgingen und er bei seiner Gattin sich entschuldigte und versprach, den Leuten das Verlorene zu ersetzen. Man sagte ihm aber, dass dasselbe von einem Manne, der alsbald wieder verschwand, in den Gang des Hauses geworfen worden sei, worauf er sich beruhigte. Er verlangte dann Wasser, wusch sich Gesicht und Hände und trank auch den ihm gereichten Wein. Er fühlte sich aber so entkräftet, dass er zu seiner Erholung zwei Tage zu Hause bleiben musste. Am dritten Tage, als er sich wieder gestärkt fühlte, begab er sich ins Bad.

Im Herzen fühlte der Juwelier eine brennende Begierde, das Schicksal Schems Annahars und Alis zu erfahren, und doch wagte er aus Furcht nicht, sich Alis Wohnung zu nähern. In diesem Zustande wandte er sich zu Gott, gelobte, seinen früheren Lebenswandel wieder einzuschlagen, gab Almosen und suchte sich über seinen erlittenen Verlust zu trösten. Sein erster Gang war auf den Leinwandmarkt zu einem seiner Freunde, einem reichen Kaufmanne, mit dem er sich lange unterhielt. Als er sich entfernen wollte, erblickte er eine Frau, die ihm zuwinkte, und in welcher er sogleich die Vertraute Schems Annahars erkannte. Die Welt verfinsterte sich vor seinen Augen und er entfernte sich schleunigst. Sie folgte ihm, so oft er aber stehen bleiben wollte, überfiel ihn eine ungeheure Angst. Er beflügelte daher seine Schritte so sehr, dass sie ihm kaum mehr folgen konnte, obgleich sie ihm von Zeit zu Zeit zurief, doch stehen zu bleiben und ihr Gehör zu geben. So lief er fort, bis er eine Moschee erreichte, die er unbesucht wusste. Das Mädchen folgte ihm auch dahin und erkundigte sich nach seinem Befinden. Als er ihr nun alles, was sich mit Ali und ihm zugetragen, erzählt hatte, sagte er: »Nun bitte ich dich, mir auch deine und deiner Herrin Geschichte mitzuteilen.«

Sobald ich die Räuber kommen sah, fing nun die Vertraute zu erzählen an, die ich anfänglich für Soldaten von der Leibwache der Kalifen hielt, flüchtete ich mich, weil ich fürchtete, sie möchten mich und meine Herrin festnehmen, mit den beiden Sklavinnen über die Dächer und wir kamen endlich zu dem Hause braver Leute, die Mitleiden mit uns fühlten und uns gut aufnahmen. Am nächsten Morgen in der Frühe begaben wir uns nach Schems Annahars Palast zurück. Mir befanden uns in schlechtem Aufzug, doch gelang es uns, alles geheim zu halten.

Indessen brachte ich den Tag in der größten Unruhe zu; aber als es Nacht wurde, öffnete ich die kleine Türe, die zum Flusse führte, rief einen Schiffer herbei und bat ihn, den Fluss nach allen Seiten zu befahren und genau acht zu geben, ob er nicht eine Nachen erblicke, worin sich meine Gebieterin befände.

Bis gegen Mitternacht wartete ich voller Ungeduld, als sich endlich ein Nachen, in welchem sich zwei Männer und eine Frau befanden, der Türe näherte. Der eine ruderte, der andere stand in demselben und die Frau lag im Hinterraume. Als der Nachen an der Türe angelegt hatte, stieg die Frau aus, und siehe da! ich erkannte in ihr meine Gebieterin, und kam beinahe ganz außer mir vor unaussprechlicher Freude über ihre Rettung.

Ich reichte ihr die Hand, sie befahl mir, ihrem Begleiter 1000 Dinare zu geben. Ich gab ihm denselben Beutel, den ich dir geben wollte, den du aber nicht annahmst, und dankte ihm, worauf er wegging. Hierauf schloss ich die Türe wieder zu und trug sie mit Hilfe der beiden Sklavinnen auf ihr Bett, wo sie in einem todähnlichen Zustande die ganze übrige Nacht und den folgenden Tag blieb. Ich wich diese ganze Zeit über nicht von ihrem Lager und ließ kein Mädchen ihr nahe kommen. Endlich erwachte sie, als wäre sie vom Grabe auferstanden, ich bespritzte sie mit Rosenwasser und Moschus, gab ihr Wein zu trinken, und drang so lange in sie, bis sie auch etwas aß. Als sie der Genesung nahe war, ermahnte ich sie und stellte ihr vor, dass sie ihrem Verderben nahe war und wohl genug erlebt haben werde, um nun von ihrer Liebe abzulassen. Sie erwiderte: der Tod wäre mir leichter gewesen als was mir widerfahren, ich glaubte nicht, mit dem Leben davonzukommen. Als nämlich die Räuber mich aus dem Hause wegführten, und mich fragten, wer ich sei, gab ich mich für eine Sängerin aus, während Ali auf dieselbe Frage an ihn zur Antwort gab, er sei ein Mann aus dem Volke. In ihrer Wohnung angelangt, ergriff uns neue Angst und Furcht. Beim Anblicke meiner Kleinodien erkannten sie, dass ich ihnen meinen wahren Stand verheimlicht; eine Sängerin besitzt keine solche Edelsteine, riefen sie aus. Bekenne uns die Wahrheit! Aber ich schwieg.

Hierauf bestürmten sie Ali mit denselben Fragen, indem sie ihm sagten: Wir sehen wohl an deinem Anzuge, dass du keiner aus dem gemeinen Volke bist. Aber er, wie ich, verbargen ihnen standhaft unsern Stand und Herkunft. Nun wollten sie wissen, wie der Eigentümer des Hauses, in dem sie uns gefunden, heiße, worauf wir ihnen seinen Namen nannten. Ich kenne diesen Juwelier und weiß, wo er wohnt, sprach sogleich einer von ihnen. Wenn das Schicksal mir günstig ist, will ich ihn sogleich herbringen. Sie beschlossen jedoch, uns nicht beisammen zu lassen, und trennten uns, indem sie Ali in ein besonderes, und mich in ein anderes Gemach sperrten. Ruhet aus, sagten sie, bis wir erfahren, wer ihr seid, seid aber ohne Furcht, euer Leben ist in Sicherheit. Als der Juwelier gebracht wurde und dieser Mann ihnen unser ganzes Geheimnis offenbarte, da entschuldigten sie sich bei uns, führten uns nach dem Ufer des Flusses, ließen uns ein Boot besteigen und schifften uns auf die andere Seite über. Aber kaum hatten wir das Land betreten, als eine Schar von der Nachtwache zu Pferd uns umzingelte. Ich gab hierauf dem Anführer ein Zeichen und winkte ihn beiseite, gab mich ihm zu erkennen und sagte ihm, ich sei am verflossenen Abend, auf dem Heimwege vom Besuch einer Freundin, bei welcher ich zuviel getrunken hatte, von jenen Leuten, die eben wieder über den Fluss setzten, angehalten und nach ihrer Wohnung gebracht worden, wo ich auch diese beiden anderen Personen traf, mit denen sie uns hierher gebracht, und bat ihn auch, auf meine Erkenntlichkeit zu zählen. Da stieg er sogleich von seinem Pferde und ließ mich es besteigen und zwei seiner Leute taten das gleiche mit Ali und dem Juwelier, und wir gelangten, wie du gesehen hast, wieder hierher. Was aus Ali und dem Juwelier geworden ist, weiß ich nicht. In meinem Herzen brennt ein heftiges Feuer ihretwillen, hauptsächlich wegen Alis Freund, der so vieles verloren hat. Nimm daher einiges Geld, gehe zu ihm, grüße ihn und erkundige dich nach Ali bei ihm.

Ich machte ihr Vorwürfe und stellte ihr die Gefahr vor, in die sie sich stürze. Fürchte Gott, sagte ich ihr, opfere dein Leben nicht diesem Liebeshandel, und wandle den Weg der Entsagung! Sie fuhr mich aber zornig an wegen meiner Ermahnungen. Ich ging daher nach deinem Hause, um dich aufzusuchen, wo ich dich aber nicht antraf. Zu Ali wagte ich nicht zu gehen, ich blieb daher außen stehen, um dich zu erwarten. Nun bitte ich dich und nimm das Geld an (welches meine Herrin dir schickt), du hast dir keinen Vorwurf deshalb zu machen, da du doch den Leuten das Verlorene ersetzen musst. Der Juwelier machte sich auf und ging mit ihr bis in die Nähe seiner Wohnung, da sagte sie: »Warte hier, ich komme gleich wieder«, und verließ ihn.

Als das Mädchen wieder zu dem Juwelier kam, brachte sie einen schweren, mit Gold gefüllten Beutel mit, welchen sie ihm übergab und sagte: »Geh' mit Gottes Schutz! Wo treffen wir uns wieder?« Der Juwelier erwiderte: »Komm nur in meine Wohnung, ich werde mich sogleich bemühen, Ali zu treffen und Mittel finden, dich zu ihm zu bringen; dieses Geld macht mir leicht, was mir früher schwer schien.« Das Mädchen verabschiedete sich, der Juwelier aber trug das Geld nach Hause. Er fand in dem Beutel 2000 Dinare, worüber er sich sehr freute, denn es blieb ihm, nachdem er allen Schadenersatz geleistet hatte, eine Summe für seine Familie und die Wiederherstellung seines anderen Hauses übrig. Er begab sich sogleich mit seinen Dienern in dasselbe, ließ Arbeiter kommen und neue Türen und Fenster einsetzen, die viel schöner ausfielen, als die früheren. Um das Haus zu hüten, ließ er auch einige Mädchen daselbst.

Die Freude, sich wieder in solchen Umständen zu sehen, ließ ihn schnell alles ihm widerfahrene Ungemach vergessen, und frohen Mutes und leichten Sinnes ging er zu Ali. Dessen Diener kam ihm sogleich freudig entgegen, ihn bewillkommend und ihn sogleich zu Ali führend, der auf seinem Lager ausgestreckt lag und kaum ein Wort reden konnte. Der Juwelier setzte sich neben ihn und ergriff seine Hand, worauf Ali seine Augen öffnete und ihn begrüßte. Er richtete sich mit großer Anstrengung und Hilfe des Juweliers auf, dankte Gott für dieses Wiedersehen, ließ sich Wein und Speise bringen, genoss reichlich von beidem, erhob sich dann von seinem Lager, wechselte die Kleider und versuchte ihm zuliebe einige Schritte im Zimmer zu gehen. Der Juwelier erzählte, was er von der Vertrauten Schems Annahars erfahren hatte, ohne dass jemand außer ihm ihn hörte, dann sagte er zu ihm: »Fasse Mut, ich kenne dein Inneres.« Ali lächelte und der Juwelier fuhrt fort: »Du wirst Hilfe und Erleichterung finden.« Ali gab dann den Dienern ein Zeichen, dass sie sich entfernten, dann sagte er: »Hast du gesehen, was uns zugestoßen ist?« Er entschuldigte sich hierauf bei dem Juwelier und fragte ihn weiter aus und ließ sich nochmals alles seit ihrer Trennung Vorgefallene erzählen. Dann lobte er Gott und pries den Mut und die Standhaftigkeit Schems Annahars. Hierauf rief er seinen Schatzmeister, ließ Betten, verschiedenes anderes Hausgerät und an goldenen und silbernen Gefäßen weit mehr, als der Juwelier verloren hatte, zusammenpacken, und übergab sie dem Juwelier. Der Juwelier, beschämt durch eine so edle Freigebigkeit, dankte und sagte: »Das Bewusstsein meines Bestrebens, euch zu gefallen, ist mir mehr wert, als was ich empfangen; aus Liebe zu euch werde ich mich vor keiner Gefahr scheuen!« Er blieb hierauf noch den ganzen Tag und die folgende Nacht bei Ali, welcher noch immer schwach und mutlos war, und viel seufzte und weinte.

Als der Morgen anbrach, sprach Ali zum Juwelier: »O höre mich! jede Sache hat ihr Ende. Das Ende der Liebe ist der Tod oder eine dauernde Vereinigung; ich bin dem Tode näher, er passt besser zu meiner Lage und bringt mir mehr Ruhe. O wäre ich doch tot und vergessen, oder könnte ich mich trösten, ruhig werden und anderen Ruhe gönnen! Nun kam ich schon zweimal mit ihr zusammen, und jedes Mal ging es so, wie du wohl weißt; wie kann ich nun einer dritten Zusammenkunft mit Ruhe entgegensehen? Wie kann ich, nach diesen Warnungen, mich noch vor den Leuten entschuldigen? Ohne Gottes Huld wären wir ja schon lange verrufen. Ich weiß nun nicht mehr, wo ich mein Heil suchen soll. Wenn ich nicht Gott fürchtete, so würde ich meinem Tod vorgreifen; aber wir sterben ja doch, ich und sie, nur hat unser Tod eine bestimmte Zeit.« Er weinte dann heftig und sprach folgende Verse:

»Kann der Betrübte etwas anderes tun, wie weinen? Wie groß muss meine Liebe sein, da ich euch mein Geheimnis anvertraut. Mir ist, als wenn die Nacht zu den Sternen gesagt hätte: Bleibet und weichet nicht, wenn der Morgen ruft.«

Der Juwelier sprach Ali Mut ein und sagte: »Mein Herr, sei ein Mann! Sei in der Trauer wie in der Freude ruhig!« Ali sah ihn an und sprach folgende Verse:

»Ist der Tränenstrom mit dem, der ihn vergießt, verwachsen, oder kann er durch schöne Standhaftigkeit zurückgewiesen werden? Mancher hat schon sein Geheimnis zusammengedrängt und versiegelt: da hat sein Auge aufgerissen, was er verschlossen, und so oft er die Tränen zurückhalten wollte, kam der Liebesschmerz dazwischen und hinderte ihn.«

Der Juwelier sagte, er vermute, die Vertraute werde zu ihm kommen, um Nachrichten von Schems Annahar zu überbringen, er wolle daher nach Hause gehen. Als er hierauf Abschied nahm, sagte Ali zu ihm: »Ich lasse dich gehen; aber eile, dass du bald wieder kommst, denn du siehst, in welchem Zustande ich mich befinde.«

Kaum zu Hause angekommen, erschien auch wirklich Schems Annahars Vertraute bei dem Juwelier, aber mit verstörter, ängstlicher Miene und tränendem Blicke. Beunruhigt hierüber, fragte er sie, was vorgefallen wäre. Sie antwortete: »Was wir befürchtet, ist eingetroffen! Als ich dich gestern verließ und zu Schems Annahar in den Palast zurückkehrte, traf ich sie, wie sie eben Befehl erteilte, eine der beiden Sklavinnen, die bei jenem Abenteuer bei uns waren, eines Vergehens wegen zu züchtigen. Diese aber entfloh durch eine offene Türe des Palastes und begab sich zu einem der Türwächter, der wegen einer Sklavin uns beaufsichtigte. Dieser verbarg die Sklavin und wusste ihr durch Schmeichelei, Zureden und Versprechungen den Vorgang in jenen beiden Nächten zu entlocken. Er ging hierauf sogleich mit ihr zum Fürsten der Gläubigen. Dieser zwang sie, alles zu gestehen, was sie auch tat. Schems Annahar wurde nun in die Wohnung des Kalifen gebracht, ohne dass ich mir einen anderen Grund, als den eben angeführten, denken kann, und er lässt sie von zwanzig Dienern bewachen. Ich suchte mich ungesehen wegzustehlen und eilte hierher, da ich nicht weiß, was wohl in solch einer Lage anzufangen sein dürfte. Ich bin, wie dir nicht unbekannt, ihre teuerste Freundin und bewahre alle ihre Geheimnisse. Geh nun zu Ali und fordere ihn auf, alle Vorsicht zu gebrauchen, sich und seine Güte zu retten.«

Die Vertraute verließ ihn hierauf plötzlich und der Juwelier, den diese Nachricht so darniederschlug, dass er kaum stehen konnte, raffte sich zusammen, eilte zu Ali und sagte ihm: »Umhülle dich mit Geduld und umgürte dich mit Standhaftigkeit, entferne von dir jede Schwäche und Mutlosigkeit und wandle den Weg der Tapferkeit. Es ist etwas vorgefallen, wobei dein Leben und all dein Gut verloren gehen kann.«

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Ali antwortete: »O mein Bruder, du hast mir den Tod gegeben; sage mir klar heraus, was geschehen!« Der Juwelier erzählte ihm das, was er von der Vertrauten vernommen hatte, und fügte hinzu: »Du wirst gewiss dabei umkommen.« Ali starrte eine Weile vor sich hin und gab nahezu den Geist auf, dann erholte er sich und fragte: »Was ist zu tun?« Der Juwelier antwortete: »Packe deine kostbarsten Sachen zusammen, wähle die treuesten unter deinen Dienern aus und bereite dich vor, mit mir vor Abend die Stadt zu verlassen. Wir gehen zusammen nach Anbar.« Ali sprang auf und taumelte umher, bald machte er einige Schritte, bald stürzte er wieder hin, ordnete seine Geschäfte, so gut er konnte, nahm Abschied von seiner Familie, sich bei ihr entschuldigend, traf alle nötigen Anordnungen und verließ mit dem Juwelier Bagdad.

,Sie schlugen den Weg nach Anbar ein, reisten den ganzen Tag und die ganze Nacht, ohne sich aufzuhalten, und erst vor Tagesanbruch machten sie Halt. Sie luden ihr Gepäck ab, banden ihre Tiere fest und legten sich arglos nieder, um zu schlafen. Kaum war einer und der andere eingeschlafen, als sie aus ihrer Ruhe aufgeschreckt wurden und sich von einer Menge Männer umzingelt sahen. Ihre Leute wurden alle getötet, und die Räuber nahmen ihnen Pferde, Lasttiere samt Gepäck und allen Kostbarkeiten weg, und zogen auch diese beiden ganz aus, entfernten sich dann und ließen sie in schlimmster Lage zurück.

Nachdem die Räuber sich entfernt hatten, sagte Ali zu dem Juwelier: »Was sollen wir jetzt anfangen?«

»Nur Gott kann hier helfen«, erwiderte der Juwelier; »sein Wille geschehe!« Sie gingen dann in der Nacht fort, bis sie gegen Morgen eine offene Moschee erblickten, in welche sie eintraten, und sie brachten den Rest der Nacht ungestört in einer Ecke zu. Am folgenden Morgen kam endlich ein Mann herein, um sein Gebet zu verrichten. Als er geendigt hatte und um sich blickte, bemerkte er Ali und den Juwelier.

Dieser Mann näherte sich ihnen und redete sie folgendermaßen an: »O ihr von der Gemeinde Gottes! ihr seid wohl Fremdlinge?« Sie antworteten: »Ja; wir sind heute nacht auf dem Wege von Bagdad von Räubern angefallen und all des Unsrigen beraubt worden und kennen niemanden hier, an den wir uns in unserer Not wenden könnten.« Der Unbekannte versetzte: »Wollt ihr mit mir in mein Haus kommen?« Der Juwelier sagte leise zu Ali: »Da leicht andere kommen könnten, denen wir nicht unbekannt sein dürften, so wird also das Klügste sein, wir folgen der Einladung, ohnedies sind wir hier fremd und gänzlich obdachlos.« Ali erwiderte: »Tu was du willst«, worauf der Juwelier antwortete: »Wir sind bereit, dir zu folgen.« Der Unbekannte zog dann einen Teil seiner Kleider aus und gab sie ihnen. Dann sagte er zu ihnen: »Steht nun auf aus dieser Dunkelheit und folgt mir.« Sie machten sich alsbald auf den Weg und als sie an seiner Wohnung angekommen waren, klopfte der Mann an der Türe, worauf ein kleiner Diener diese öffnete. Der Mann hieß sie hierauf eintreten und führte sie in ein Zimmer, wo er alsbald einen Bündel mit Kleidern und Turbanen herbeibringen ließ. Er schenkte jedem zwei Anzüge und zwei Turbane und als sie sich umgekleidet hatten, trug eine Sklavin verschiedene Speisen auf, worauf der Herr des Hauses zu ihnen sagte: »Esset, der Segen Gottes sei mit euch!« Sie aßen aber nur wenig, dann wurde der Tisch wieder weggetragen, und sie blieben bei ihm sitzen, bis die Nacht hereinbrach. Ali war sehr niedergeschlagen, er seufzte schwer auf und befand sich in einem trostlosen Zustande. Auch sagte er zu dem Juwelier: »Wisse, dass ich bald sterben werde; ich will daher meine letzten Anordnungen treffen, um deren genaue Befolgung ich dich bitte. Geh' zu meiner Mutter, wenn ich sterbe, und bitte sie, hierher zukommen und für meine Waschung und Bestattung zu sorgen, und unsre Trennung mit Geduld zu ertragen.«

Nachdem Ali geendet hatte, fiel er in Ohnmacht, und als er wieder erwachte, hörte er von einer weiblichen Stimme folgende Verse:

»Schnell überfiel uns die Trennung, nach kurzer Liebe, Vereinigung und Zusammenleben. Wie bitter ist Trennung nach Vereinigung! Möchte sie doch nie mehr über einen Liebenden verhängt werden! Die Todespein währt nur eine kleine Weile, dann ist's vorüber. Aber die Trennung der Freunde nagt immer am Herzen. Gott vereinige alle Liebenden und beginne mit mir, denn ich sehne mich nach ihm.«

Hier schwieg die Stimme, und kaum waren die letzten Töne verhallt, so verschied Ali. Der Juwelier blieb noch zwei Tage bei dem Leichnam, hüllte ihn in ein Totengewand, übergab ihn der Verwahrung ihres Wirtes und schloss sich dann einer eben nach Bagdad zurückkehrenden Karawane an. Bei seiner Ankunft daselbst ging er zuerst in sein Haus. Hierauf begab er sich sogleich in die Wohnung Alis. Die Diener kamen ihm entgegen und grüßten ihn, Er ließ sich alsbald bei Alis Mutter melden, und als er die Erlaubnis erhielt, vor ihr zu erscheinen, trat er zu ihr, grüßte sie, und nachdem er sich ein wenig gesammelt hatte, sprach er zu ihr. »Höre mich an, Gott erhalte dich und sei dir gnädig! Der erhabene Gott leitet die Menschen nach seinem Willen; niemand kann seinem Urteil und seiner Bestimmung entgehen....«

Die Mutter rief, heftig weinend: »Du verkündest mir den Tod meines Sohnes!« - »Bei Gott, er ist tot!«

Der Juwelier konnte vor herbem Schmerz und hervorbrechenden Tränen nicht antworten. Die Mutter war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen, da eilten ihre Frauen herbei, sie zu unterstützen. Nachdem sie sich wieder erholt hatte, bat sie den Juwelier, ihr alles mitzuteilen. Der Juwelier erzählte ihr alles umständlich, wie es sich zugetragen, und beteuerte, dass er selbst von Trauer erfüllt sei, da er ihm ein sehr teurer Freund gewesen. Die Mutter fragte ihn hierauf: »Da er dir alle seine Geheimnisse anvertraut, so hat er dir wohl vor seinem Tode noch einen Auftrag an mich gegeben?« Der Juwelier bejahte dies und machte sie aufs pünktlichste mit Alis letztem Willen bekannt. Die Mutter brach wieder in lauten Jammer aus, den ihre Frauen noch vermehrten. Der Juwelier verließ sie hierauf, wie ein Blinder umhertappend, um nach Hause zu gehen. Voll tiefer Bekümmernis dachte er über das traurige Schicksal eines so jungen Mannes nach, bei dem er so oft ein- und ausgegangen.

Plötzlich bemerkte er, dass ihn jemand bei der Hand ergriff. Als er die Augen öffnete, sah er eine Frau im Trauergewande mit einem von Gram abgehärmten Gesichte vor sich stehen, in der er sogleich die Vertraute Schems Annahars erkannte. Dieser Anblick und ihre Tränen, die sie fortwährend vergoss, riefen auch bei ihm neuen Kummer und neue Tränen hervor. Er ging ohne Aufenthalt mit ihr fort bis in seine Wohnung.

Der Juwelier fragte die Vertraute, ob sie schon wisse, wie es Ali ergangen. Sie verneinte dies.

Der Juwelier fragte sie dann, was den Tod Schems Annahars herbeigeführt. Sie erwiderte: »Wie ich dir schon erzählt habe, hatte der Fürst der Gläubigen Schems Annahar zu sich nach seinem Palaste bringen lassen. Aber ohne ihr den mindesten Vorwurf zu machen, empfing er sie, liebe- und mitleidsvoll und mit freundlichem Entgegenkommen sprach er zu ihr: »Schems Annahar, du weißt, mit welcher Inbrunst ich dich liebe, wie du mir vor allen übrigen Menschen teuer bist, ich werde dich vor jedem Übel bewahren, trotz aller Verleumdungen, die mir von deinen Feinden zu Ohren gekommen.« Hierauf führte er sie in eines seiner Prunkgemächer. Alles dieses wirkte mit furchtbarer Gewalt auf das Gemüt Schems Annahars. Als der Tag zu Ende war, ließ der Kalif, nachdem er nach seiner Gewohnheit beim Weine gesessen war, die Mädchen zu sich kommen und Schems Annahar, um zu zeigen, wie hoch sie noch in seiner Gunst stehe und welchen Platz sie in seinem Herzen einnehme, an seine Seite sitzen. Ihr Geist war abwesend, ihre Fassung war dahin, und ihr Zustand ward immer schlimmer. Als aber eine Sängerin folgende Verse sang:

»Die Liebe hat Tränen in mir hervorgerufen, sie fließen nun reichlich über meine Wangen herunter.« »Meine Augenwimpern ermüden und können nicht tragen, was darin ist; sie offenbaren, was ich verheimlichen möchte, und verbergen, was ich offenbare.« »Wie kann ich meine Liebe zu verbergen wünschen, da meine mächtige Pein deinetwillen alles entdeckt!« »Nach der Trennung von meinem Geliebten wäre mein Tod eine Wohltat. Nur möchte ich wissen, ob es ihm nach mir wohl wird -«

konnte sie die Fassung nicht länger behaupten: die Tränen stürzten hervor und sie sank bewusstlos nieder. Der Kalif warf den Becher aus der Hand und zog sie zu sich hin. Aber sie war tot. Der Kalif befahl, alle Instrumente zu zerbrechen, und ließ dann ihren Leichnam in sein Gemach tragen, wo er die ganze Nacht bei demselben durchwachte. Des Morgens ließ er ihn waschen, in ein Leichengewand hüllen und beerdigen, ohne sich weiter nach ihren Angelegenheiten zu erkundigen.

»Nun«, fuhr sie fort, »bitte ich dich bei dem allmächtigen Gott, mir zu sagen, wann die Überreste Alis hierher gelangen und beigesetzt werden, damit ich der Beerdigung beiwohne.« Der Juwelier antwortete: »Dies kann nicht geschehen.« Die Vertraute entgegnete: »Du hältst dies für unmöglich; wisse aber, dass dem nichts im Wege steht, da der Kalif allen Frauen Schems Annahars die Freiheit geschenkt und mir die Aufsicht über das Grab seiner Favoritin übertragen hat.« Der Juwelier begleitete sie hierauf an den Begräbnisplatz und verließ sie wieder.

Am vierten Tage, als der Leichnam Alis aus Anbar anlangte, drängte sich eine zahllose Volksmenge hinzu, der Juwelier mischte sich unter die Menge, von welcher viele Männer und Frauen dem Leichenzuge eine Strecke weit entgegen gingen, man hatte nie in Bagdad eine solche Menschenmasse beisammen gesehen. Die Vertraute schloss sich auch dem Zuge an und machte sich durch ihre tiefe Trauer und ihr herzzerreißendes Jammergeschrei vor allen anderen bemerklich, bis man zum Begräbnisplatz kam, wo er beerdigt wurde und den der Juwelier, so lang er lebte, von Zeit zu Zeit besuchte.

Das ist die Geschichte Alis und Schems Annahars. Sie ist aber nicht wunderbarer als die Nureddins und der Enis Aldjelis.

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Die Geschichte Nureddins mit Enis Aldjelis

Es herrschte zu Bassrah ein König, der hieß Mohammed Suleiman. Er war ein Vater der Armen und Bedürftigen; mit Weisheit und Milde regierte er seine Untertanen. Seine Hände waren so freigebig wie das Meer; seine Sklaven lebten wie freie Leute. Nacht und Tag dienten ihm, seines Lebens Freude bestand darin, seine Sklaven und seine Truppen zu beschenken. Ein Dichter beschrieb ihn folgendermaßen:

»Es war ein König, der, wenn feindliche Scharen auf ihn einstürmten, sie mit schneidenden Waffen befriedigte.«

»Wenn er am Schlachttage auf die feindlichen Reiter einhieb, schien er mit Schwert und Lanze und Pfeil zu schreiben, indem er den feindlichen Linien Vokale und Punkte beifügte; die Vokale schrieb er mit Säbelhieben, die Punkte mit Lanze und Pfeil.«

»Die Reiterei schwamm wie in einem Meere, dessen Wellen unzählige Scharen und dessen Quelle das aus den Wunden der Feinde strömende Blut.«

»Dieses Meer schien mit einem Wald von Schiffen bedeckt; die Lanzen waren die Mastbäume, die Fahnen die Segel.«

»Die Zeit hatte geschworen, einen ihm Ähnlichen wieder hervorzubringen; aber, o Zeit! du warst meineidig, denn du wirst deinen Schwur nicht halten können; bereue daher und tu Buße!«

Suleiman hatte zwei Veziere, der eine hieß Muin, Sohn Sawis, und der andere Vadhleddin, Sohn Chakans.

Vadhleddin war einer der freigebigsten Männer seiner Zeit. Er war gutmütig und von reinem Lebenswandel und wusste sich überall Freunde zu erwerben; sogar die Frauen beteten in ihren Häusern für sein langes Leben, denn er war der Beförderer alles Guten und der Schutz gegen alles Böse, wie ein Dichter ihn beschreibt:

»Er ist ein Mann, dessen Charakter aus Gottesfurcht und Hoheit besteht, so dass die Zeit sich mit ihm freut und stolz auf ihn ist.«

»Nie nahte sich ihm vertrauensvoll ein Unglücklicher, der nicht an seinen Türen Trost fand.«

Muin aber war geizig, schmutzig, verschmitzt, boshaft und dumm zugleich. Er suchte nur Böses zu tun, nie ging ihm ein schönes Wort aus dem Munde. Er war listiger als ein Fuchs und raubgieriger als ein Hund. Ein Dichter sagt von ihm:

»Er ist ein Auswürfling; er ist ein schlechter Sohn des Schattens.«

»Ein Vagabund, der seinen Ursprung Hin- und Herreisenden verdankt.«

»Kein Haar an seinem Leibe wächst, das nicht das Gepräge der Abstammung trüge.«

So sehr Vadhleddin geliebt wurde, ebenso sehr hasste man Muin. Als einst der König Mohammed auf seinem Throne saß und von seinen beiden Vezieren und den Großen des Reichs umgeben war, sagte er zu Vadhleddin: »Ich möchte ein Mädchen besitzen, das an Schönheit des Körpers sowie auch an Verstand und Tugend alle anderen übertreffe.« Da sagten die Großen des Reichs und die Staatsräte: »Ein Mädchen von solch ausgezeichneten Eigenschaften wird sich wohl schwerlich für weniger als 10.000 Dinare finden lassen.« Der König rief hierauf sogleich seinem Schatzmeister und befahl ihm: »Gib Vadhleddin aus meinem Schatze 10.000 Dinare.« Dieser holte das Geld und Vadhleddin nahm es in Empfang.

Vadhleddin, um dem Befehle seines Herrn zu gehorchen, begab sich jeden Tag auf den Markt und beauftragte alle Makler, die schönste und gebildetste Sklavin für ihn auszusuchen und keine verkaufen zu lassen, wenn sie 10.000 Dinare oder mehr koste, bevor sie ihm vorgestellt worden sei.

Kein Makler verkaufte eine Sklavin, ohne sie vorher dem Vezier vorzustellen, aber immer hatte er etwas an derselben auszusetzen. Einst, als er gerade auf dem Wege zum Palaste war, begegnete ihm ein Makler, der zu ihm trat, den Steigbügel erfasste und ihn anredete:

»O Vezier, der du das vermoderte Reich wieder belebt hast und der du immer siegreich bleiben mögest, du hast alles Edle wieder vom Tode erweckt und das Reich vor Verfall bewahrt.«

Dann fuhr er fort: »O Vezier! Was wir längst nach deinem hohen Befehle für dich gesucht, hat sich nun gefunden.« Der Vezier antwortete: »Bringe sie her!« Der Makler entfernte sich und kam nach einer Weile wieder mit einer Sklavin an seiner Seite, welche von schlankem Wuchse, feingeformtem Busen, glühend schwarzen Augen, feiner Taille, frischem Aussehen, süßem Atem, wohlgeformten Füßen und zarter Stimme war. Ein Dichter sagt von ihr:

»Sie ist wunderbar; die Schönheit ihres Gesichts gleicht Mond und Sternen; sie ist die Erste und Vornehmste aus ihrem Stamme und verdunkelt alle, so mit ihr aufgewachsen.«

»Gott, der erhabene Besitzer des Himmelsthrons, hat ihr die schönsten Güter des Lebens geschenkt: Hoheit, Anmut und schönen Wuchs.«

»An dem Himmel ihres Angesichts prangen sieben Sterne gleich den Wächtern ihrer Wangen.«

»Wenn ihr jemand durch begehrendes Anschauen Blicke entlocken will, so versengt sie ihn durch die Glut eines ihrer Sterne wie einen bösen Geist.«

Als der Vezier die Sklavin sah, bewunderte er sie sehr. Er wendete sich daher zu dem Makler und fragte ihn, welchen Preis der Kaufmann auf sie gesetzt habe. Der Makler antwortete: »Herr! er verlangt 10.000 Dinare und hat geschworen, dass sie allein für so viel junge Hähne gegessen und Wein getrunken habe, und dass diese Summe nicht einmal die Geschenke bezahle, die ihren Lehrern gemacht worden seien. Sie hat schön schreiben und zierlich reden gelernt; die arabische Sprache und ihre Regeln, die Erklärung des Korans, die Heilkunde, die Grundlehren der Theologie sind ihr bekannt; dazu spielt sie mancherlei Instrument.« Der Vezier ließ den Kaufmann rufen.

Da kam ein Perser, der schon manches Jährlein hinter sich hatte; die Zeit schien ihn hart mitgenommen und sein Glücksstern ihm nicht viel übrig gelassen zu haben; er glich einem alten Adler oder einer dem Einsturz nahen Mauer, und auf ihn passten die Worte des Dichters:

»Wie heftig hat mich die Zeit erschüttert, die gewaltige, ernste Zeit! Einst konnte ich laufen, ohne zu ermüden; jetzt bin ich müde, ohne mich von der Stelle gerührt zu haben.«

Der Vezier sagte zu ihm: »Willst du diese Sklavin dem Sultan Suleimann für 10.000 Dinare verkaufen?« Der Perser antwortete: »Wenn sie für den Sultan bestimmt ist, so wäre es meine Pflicht, sie ihm ohne Geld als ein Geschenk zu überlassen.« Der Vezier ließ aber sogleich das Geld holen und dem Perser 10.000 Dinare vorwiegen.

Nachdem der Kaufmann mit seinem Gelde weggegangen war, wendete sich der Makler zum Vezier und sagte: »Ist es mir vergönnt, vor den Ohren unseres großen Veziers ein Wort zu reden?« Vadhleddin forderte ihn auf, zu sagen, was er habe, und der Makler fuhr fort: »Herr! da, wie ich vernommen habe, die Sklavin für den König bestimmt ist, so bin ich der Meinung, dass du sie ihm heute noch nicht vorführst: denn sie kommt eben angegriffen von der Reise, auf welcher sie ungünstigen Wind gehabt hat, und man sieht ihr die Ermüdung an. Lass sie daher lieber vierzehn Tage in deinem Palaste, bis ihre Reize wieder aufgefrischt sind; alsdann lassest du sie ins Bad führen, legst ihr die schönsten Kleider an und gehst mit ihr zum König. Dann wirst du große Ehre bei ihm einlegen.«

Der Vezier überlegte die Worte des Maklers und fand sie gut. Er ließ daher die schöne Perserin in seinen Palast bringen, wies ihr mitten in demselben ein besonderes Zimmer an. Er sorgte dafür, dass sie Tag für Tag Wein, junge Hähne und verschiedene schöne Kleider erhielt, und so verging einige Zeit.

Der Vezier hatte aber einen Sohn, der dem Rund des Mondes glich, mit leuchtendem Gesichte, roten Wangen, einem Mal darauf und jugendlichem Flaum wie Ambra, er entsprach dem Bilde, das ein Dichter von ihm entwarf:

»Er entzückt wie der Mond mit seinen Blicken; er ist schmiegsam wie ein Baumzweig, verführerisch, wenn er sich hin und her schaukelt.«

»Er glänzt wie Gold; nur seine Haare sind schwarz.«

»Süß ist sein ganzes Wesen; sein Wuchs gleicht einer Lanze.«

»So hart sein Herz ist, so zart ist die Bewegung seiner Glieder. O warum wechselt ihr nicht miteinander?«

»Wäre die Zartheit der Bewegung in seinem Herzen, er würde niemals eine Liebende grausam behandelt haben.«

»O du, der mich tadelt, weil ich ihn liebe, entschuldige mich doch; schon hat die Liebe einen zu festen Wohnsitz in meinem Herzen.«

»Niemand ist schuldig, als mein Blick und mein Herz; doch, wen klage ich an? bin ich es nicht selbst?«

Der Jüngling wusste nichts davon, wozu die Sklavin bestimmt war. Zu dieser aber hatte sein Vater gesagt: »Wisse, ich habe dich für den König Mohammed gekauft, aber ich habe einen Sohn, der ein wahrer Satan ist und jedes Mädchen in unserm Stadtviertel zu verführen sucht. Nimm dich also wohl in acht vor ihm, hüte dich, ihm dein Gesicht zu zeigen oder ihn deine Stimme hören zu lassen, und bedenke, wofür du bestimmt bist.«

Die Sklavin versicherte ihn ihres Gehorsams und er verließ sie wieder. Nun wollte aber das Schicksal, dass die Sklavin eines Tages ins Bad ging, welches im Hause war, eine Sklavin begleitete sie dahin, um sie zu bedienen. Das Bad goss das Gewand der Anmut über sie und erhöhte den Glanz ihrer Schönheit. Als sie herauskam reichte man ihr ein Kleid, welches einer jungen Schönheit würdig war. Sobald der Anzug vollendet war, beeilte sich die schöne Perserin, sich ihrer Herrin vorzustellen. Diese begrüßte sie mit den Worten: »Das Bad bekomme dir wohl, o Enis Aldjelis!« worauf ihr die Sklavin die Hand küsste und erwiderte: »Gott vermehre deine Freude und dein Glück, o Herrin!« Als die Frau des Veziers hierauf fragte, ob ein Bad jetzt angenehm wäre, antwortete die Sklavin: »das Wasser ist ganz herrlich und sehnt sich nach deiner Jugend.« Da wendete sich die Frau zu ihren Mädchen und sagte: »lasst uns auch baden, wir haben schon mehrere Wochen kein Bad genommen.« Die Mädchen erwiderten: »du bist uns zuvorgekommen, wir haben schon daran gedacht.« »Nun«, rief sie: »lasst uns im Namen Gottes gehen!« Bevor sich jedoch die Gemahlin des Veziers entfernte, gebot sie zwei kleinen Sklavinnen, vor der Türe des Zimmers von Enis Aldjelis Wache zu halten, und sagte zu ihnen: »Gebet wohl acht, dass niemand sich nähere und hineingehe!«

Während nun die Gemahlin Vadhleddins im Bade war und Enis Aldjelis in ihrem Zimmer, vom Bade verschönert, ausruhte, erschien Nureddin Ali, der Sohn des Veziers, in den Gemächern seiner Mutter. Als er diese hier nicht fand, ging er rasch auf das Zimmer der schönen Perserin zu, vor dessen Türe er die zwei zurückgelassenen Sklavinnen traf. Er fragte sie, wo seine Mutter und die Sklavinnen seien.

Die beiden Sklavinnen antworteten Nureddin auf seine Frage, sie seien alle im Bad. Als Enis Aldjelis die Stimme Nureddins hörte, sagte sie bei sich selber: »Ich möchte doch wissen, wie der junge Mann aussieht, der da draußen spricht; ob es vielleicht der ist, vor dem man mich gewarnt hat.« Mit diesen Worten erhob sie sich von dem Polster, auf welches sie sich niedergelassen hatte, trat unter den Eingang des Zimmers und erblickte Nureddin. Er erschien ihr wie der Vollmond, und ein einziger Blick war hinreichend, sie ganz für den schönen Jüngling einzunehmen, und als sein Blick auf die Sklavin fiel, war auch sein Schicksal entschieden. Das Herz eines jeden von ihnen fiel in das Liebesnetz des andern. Nureddin wendete sich hierauf zu den beiden Sklavinnen und schrie sie an, dass sie aus Furcht zurücktraten und in der Ferne stehen blieben, um zu sehen, was er tun werde. Er trat hierauf in das Gemach der Enis Aldjelis und sagte zu ihr: »Bist du die Sklavin, die mein Vater für mich gekauft hat?« Die Sklavin rief: »Bei Gott, mein Herr, ich bin's!« Da stürzte er wonnetrunken auf sie zu und sie schlang sich fest um seinen Hals und kam ihm mit glühenden Küssen entgegen.

Als die beiden Sklavinnen dies sahen, erhoben sie ein großes Geschrei, während Nureddin, die schlimmen Folgen seiner Tat fürchtend, davonlief. Seine Mutter, zu welcher das Jammergeschrei der Sklavinnen drang, verließ plötzlich das Bad, um zu sehen, was vorgefallen. Als sie den Sklavinnen nahe kam, rief sie: »wehe euch! was gibt es?« Sie antworteten, Nureddin sei, trotz ihnen, in das Zimmer der schönen Perserin gedrungen und habe sie mit Gewalt von dem Eingang vertrieben, das Mädchen in seine Arme geschlossen; was weiter geschehen, wüssten sie nicht, sie haben nur gesehen, wie er davon gelaufen sei. Die Frau eilte sogleich in das Gemach der Enis Aldjelis und fragte sie, was vorgefallen? Enis Aldjelis antwortete: »Meine Herrin! Ich saß hier, ohne an etwas Schlimmes zu denken. Plötzlich kam ein schöner Jüngling auf mich zu und fragte mich: Bist du wohl das Mädchen, das mein Vater mir gekauft? und, bei Gott! Herrin, ich glaubte, er rede wahr, und sagte zu ihm: Ich bin's. Da stürzte er auf mich zu und umarmte mich.« - »Sonst hat er nichts von dir gewollt?« forschte die Gemahlin des Veziers weiter. Als die Sklavin betroffen schwieg, fuhr sie fort: »Wehe dir, möge es nicht dein Unglück sein!«

Nach diesen Worten fing die Gemahlin des Veziers an, bitterlich zu weinen und ihre Sklavinnen weinten sämtlich mit und zerschlugen sich Brust und Angesicht: denn sie fürchteten sich sehr vor dem Zorne des Veziers, der gewiss seinem Sohne den Kopf abschlagen lassen werde.

Während sie so jammerten, kam Vadhleddin nach Hause und fragte: »Wehe euch! was hat sich zugetragen?« Niemand wagte ihm das Vorgefallene zu erzählen. Als er keine Antwort erhielt, trat er vor seine Frau und sagte zu ihr: »Ich verlange durchaus, dass du mir die Wahrheit sagest.«

Die Frau erwiderte: »Ich werde dir nichts erzählen, du habest mir denn geschworen, alles, was ich dir sagen werde, ruhig anzuhören.« Als er dies getan, erzählte sie ihm, wie Nureddin, während sie im Bade war, in das Gemach der Sklavin getreten sei und sie verführt habe. Als der Vezier dies hörte, schlug er sich auf die Wangen, dass ihm das Blut aus der Nase floss, dann fasste er seinen Bart und riss so viele Haare aus, dass ein ganzer Büschel in seinen Fingern blieb. Da sagte ihm seine Gemahlin: »Mein Herr, willst du dich selbst umbringen? ich will dir von meinem Gelde 10.000 Dinare geben, so viel sie dich gekostet hat.«

Vadhleddin hob sein Antlitz gegen sie auf und erwiderte: »Meinst du denn, dass ich mich über den Verlust von 10.000 Dinaren so betrüben könnte? Was liegt mir an dem Werte der Sklavin? Es ist hier die Rede von dem Verluste meines Lebens und aller meiner Güter.« »Wieso?« fragte die Frau. Der Vezier antwortete: »Weißt du nicht, dass dieser Muin unser Todfeind ist? er wird, sobald er diesen Handel erfährt, hingehen und dem König sagen: du sprichst immer nur von der Ergebenheit und der Liebe Vadhleddins. Hat er nicht 10.000 Dinare empfangen, um dir eine Sklavin zu kaufen? Er hat auch wirklich eine gekauft und noch niemals hat man eine Schönere gesehen; aber als sie ihm so wohl gefiel, hat er es für geeigneter gehalten, seinem Sohn ein Geschenk damit zu machen. Mein Sohn, hat er zu ihm gesagt, nimm diese Sklavin, sie ist dein: du verdienst sie mehr, als der König. Sein Sohn, wird er fortfahren, hat sie genommen und ergötzt sich nun mit ihr. Der Sultan wird zwar solche Reden nicht glauben, aber Muin wird dann sagen: wenn du es erlaubst, mein Herr, werde ich die Sklavin herbringen; der Sultan wird ihm den Befehl dazu erteilen, man wird mit Gewalt in mein Haus dringen und die Sklavin wegführen. Der König wird sie ausfragen und sie wird nichts leugnen können. Muin aber wird zum König sagen: Siehst du nun, Herr! dass ich es gut mit dir meine und dir langes Leben wünsche? Aber ich habe kein Glück und alle Leute sind eifersüchtig auf mich. Der König wird hierauf mein Vermögen konfiszieren und mir das Leben nehmen lassen.«

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Als die Gemahlin des Veziers ihn so reden hörte, sagte sie: »Kennst du nicht Gottes verborgene Huld? Überlass ihm deine Sache: er wird sie zu deinem Besten lenken. Ich hoffe, der ganze Vorfall mit der Sklavin wird geheim bleiben. Derjenige, dem nichts verborgen ist, wird dies Geheimnis nach seinem Willen leiten.« Bei diesen Worten beruhigte sich der Vezier. Man reichte ihm einen Becher Wein und er trank ihn.

Nureddin blieb aus Furcht vor den schlimmen Folgen seiner Tat bei seinen Freunden und belustigte sich mit ihnen den ganzen Tag. Erst sehr spät am Abend kam er heim und klopfte an die Türe des Hauses, welche ihm von den Frauen seiner Mutter geöffnet wurde. Er legte sich schlafen und vor dem Morgengebet ging er wieder aus. Zwei Monate lang lebte er so fort, ohne seinem Vater zu begegnen. Die Gemahlin des Veziers sagte dann zu ihrem Gatten: »Willst du die Sklavin und deinen Sohn verderben? Wenn das so fortdauert, wird er bald das Weite suchen.« Der Vezier erwiderte: »Was ist hier zu tun?« Da sagte die Frau: »Warte heute abend auf ihn, bis er um Mitternacht kommt; ergreif' ihn und tue, als ob du ihn töten wollest. Ich eile dann herbei und reiße ihn von dir los und du söhnst dich mit ihm aus und gibst ihm die Sklavin, denn er liebt sie und sie liebt ihn, und ich bezahle dir, was sie gekostet hat.«

Vadhleddin befolgte diesen Rat. Als demnach die Zeit herankam, wo Nureddin nach Hause kam, verbarg er sich an einem dunklen Orte. Bald darauf klopfte es an der Türe; eine Sklavin öffnete geräuschlos nach gewohnter Weise und sowie der Jüngling eintrat, ward er auf einmal ergriffen und zu Boden geworfen. Nureddin drehte den Kopf herum, um zu sehen, wer ihm dies getan. Da erkannte er in dem unerwarteten Gegner seinen eigenen Vater.

Vadhleddin setzte seinem Sohne Nureddin, nachdem er ihn unter seine Füße geworfen, ein Knie auf die Brust, zog einen Dolch aus seinem Gürtel und hielt ihn seinem Sohne an die Kehle. In diesem Augenblicke kam Nureddins Mutter dazu und rief aus: »Was willst du tun?« Der Vezier antwortete: »Ich will ihn töten.«

Nureddin rief: »Mein Vater, wird es dir so leicht, mich zu töten?« Da gewahrte er, dass Vadhleddins Augen in Tränen schwammen und die höhere Macht des Gefühls und des Mitleids in ihm rege ward. Darauf erwiderte der Vezier: »War es dir so leicht, mein Leben und mein Gut aufs Spiel zu setzen?« Nureddin versetzte:

»Erlass mir meine Schuld: denn die Verständigen vergeben immer den Schuldigen ihr Vergehen.«

»Wenn ich auch alle Arten von Untugend in mir vereinige, so verbinde doch du alle Tugenden mit der Schönsten derselben, der Großmut!«

»Bedenke, dass, wer Verzeihung hofft von dem, der über ihm ist, auch denjenigen ihre Schuld vergeben muss, die unter ihm sind.«

Da stand der Vezier von der Brust seines Sohnes auf, denn er hatte Erbarmen mit ihm und Nureddin küsste ihm Hände und Füße. Der Vezier warf ihm einen freundlichen Blick zu und sagte: »Ich würde dir die schöne Perserin geben, wenn ich wüsste, dass du sie gut behandeln wollest.« »In welcher Weise?« fragte Nureddin.

»Du darfst«, fuhr Vadhleddin fort, »sie niemals verkaufen oder kränken, noch auch eine andere neben ihr heiraten.« Er erwiderte: »ich will dies beschwören« und leistete alsbald den verlangten Schwur und brachte ein ganzes Jahr in vollkommenstem Glück mit ihr zu, denn Gott hatte den Sultan die ganze Geschichte mit der Sklavin vergessen lassen.

Muin hatte zwar erfahren, was vorgegangen war; da er aber sah, dass Vadhleddin in hoher Gunst beim König stand, so wagte er nicht, demselben etwas davon zu sagen.

Nach Verfluss von einem Jahre geschah es, dass der Vezier ins Bad ging, ganz erhitzt heraustrat, und die kalte Luft ihm auf die Brust schlug und ein heftiges Fieber verursachte, das ihn zwang, sich zu Bette zu legen; nachdem er manche schlaflose Nacht zugebracht hatte und immer schwächer wurde, ließ er seinen Sohn Nureddin rufen und sprach folgendermaßen zu ihm:

»Der Lebensunterhalt ist vom Schicksal bestimmt und des Lebens Ende von Gott beschlossen. Jedermann muss den Todeskelch leeren.«

»Ich fühle meinen Tod; erhaben ist nur der, der nie stirbt; ich aber kann dem Tode nicht entgehen.«

»Wahrlich, in der Hand des Todes hört ein König auf, König zu sein; ein König aller Könige ist nur der, der nie stirbt.«

»Ich weiß dir nichts weiter ans Herz zu legen als Gott zu fürchten, die Folgen deiner Handlungen im Voraus zu erwägen und deinen Schwur in betreff der Perserin zu halten, ich hoffe von Gott, dass er mich gnädig aufnehmen wird.« Hierauf verschied er. Sein Palast war mit dem Jammergeschrei der Frauen erfüllt und die Kunde von seinem Tode verbreitete sich bald in der ganzen Stadt bis zum Sultan. Die kleinen Kinder weinten in ihren Schulen, die Männer in den Bethäusern und die Frauen in ihren Harems. Nureddin bereitete alles zu seiner glänzenden Bestattung vor und wich nicht von der Leiche seines Vaters, bis die Erde sie bedeckte.

Als der Leichnam mit Erde bedeckt war, sprach einer der Anwesenden folgende Verse:

»Am Donnerstage nahm ich von meinen Freunden Abschied, und man wusch mich auf dem Waschgerüste.«

»Man zog mir die Kleider aus, mit denen ich bedeckt war, und legte mir ein Gewand an, welches nicht das meinige war.«

»Auf vier Schultern trug man mich nach dem Betorte, und einige beteten für mich ein Gebet, wobei kein Niederfallen ist. Gott sei euch gnädig, ihr alle, die ihr meine Freunde waret!«

»Endlich brachte man mich in ein gewölbtes Gemäuer, an welchem die Zeit vorübergeht, ohne dass dessen Türe geöffnet wird.«

Als die Begleitung sich entfernt hatte, und Nureddin, von Schmerz zerknirscht, wieder nach Hause ging, passten folgende Verse auf seinen Zustand:

»Am Donnerstag abends ist er geschieden, und wir haben einander auf immer Lebewohl gesagt.«

»Auch seine Seele folgte ihm, und als sie entfloh, rief ich ihr nach: Kehre in ihn zurück, o teure Seele!«

»Wie soll ich,« war ihre Antwort, »in meinen Leib zurückkehren, dem es an Fleisch und Blut gebricht, an dem sich nichts als trockene Gebeine finden?«

»Dessen Augen häufige Tränen blind gemacht haben, und dessen nunmehr taube Ohren einst so viel Tadel hören mussten?«

Nureddin gab sich längere Zeit der Trauer über den Verlust seines Vaters hin. Eines Tages als er im Hause seines Vaters saß, klopfte jemand an der Türe. Nureddin erhob sich und öffnete. Es war einer seiner alten Freunde und Zeitgenossen, der, nachdem er ihm die Hand geküsst hatte, sagte: »Wer einen Sohn hinterlässt, wie du bist, der stirbt nicht, drum erheitere dein Herz, lasse jetzt das Trauern und sei fröhlich!«

Nureddin ließ die Wohnung, wo er sonst mit seinen Bekannten zusammenzukommen pflegte, wieder mit allem erforderlichen versehen, und bildete sich allmählich eine Gesellschaft von zehn Freunden, sämtlich Kaufleuten. Mit diesen verlebte er die Zeit in steten Festen und Lustbarkeiten, auch wurde jeder derselben noch außerdem mit einem reichen Geschenke von Nureddin entlassen, manchmal ließ er auch die Perserin vor ihnen erscheinen.

Einst kam der Verwalter zu ihm und sagte: »Kennst du nicht das Sprichwort, welches sagt: Wer immer ausgibt, ohne zu rechnen was, kommt zuletzt an den Bettelstab, ohne zu wissen wie. Deine Schätze können solche Ausgaben und solche Geschenke nicht aushalten, und wären sie auch so groß wie Berge.«

»Geh'«, sagte ihm Nureddin, »von all dem, was du mir eben gesagt, will ich kein Wort mehr hören. Weißt du nicht, wie der Dichter sagt:

»Wenn ich Reichtümer besitze und damit nicht freigebig bin, so möge meine Hand sich nie öffnen, und mein Fuß nie aufrecht stehen!«

»Zeige mir einen Geizigen, der mit seinem Geize Ruhm erworben hätte, oder einen Freigebigen, der in Verachtung gestorben wäre.«

»Alles, was ich von dir fordere, ist: So lange du noch hast zum Frühstück, so mache dir keine Sorgen um das Abendessen.« Auf die Frage des Verwalters, ob dies seines Gebieters bestimmter Wille sei, antwortete Nureddin mit einem Ja, und der Verwalter ging seines Weges.

Nureddin fuhr fort, sich's wohl sein zu lassen, und so oft einer seiner Freunde ihm sagte: o mein Herr! du hast da einen schönen Garten, schenkte er ihm denselben in unwiderruflicher Weise, indem er auf Verlangen des Freundes alsbald eine schriftliche Schenkungsurkunde ausstellte. Wenn andere ihm ein Haus oder ein Bad priesen, so machte er es ihnen auch zum Geschenke. Zugleich bewirtete er sie des Morgens, des Mittags und des Abends, jedesmal an einem anderen Orte. Dies ging so ein ganzes Jahr fort.

Eines Tages sang ihm Enis Aldjelis folgende Verse vor:

»Wenn deine Tage schön sind, so bist du fröhlichen Mutes und fürchtest nicht das Böse, womit das Geschick mich bedroht.«

»Wenn deine Nächte ruhig sind, so lassest du dich täuschen; aber bedenke, dass in der heitersten Nacht oft plötzlich Finsternis entsteht!«

Als sie so gesungen hatte, klopfte es auf einmal an der Türe. Einer von Nureddins Freunden, der das Klopfen gehört hatte, machte ihn aufmerksam darauf; Nureddin ging zu öffnen und einer der Gäste folgte ihm, ohne dass er es bemerkte. Als Nureddin hinaustrat, erblickte er seinen Verwalter. Er fragte ihn: »Was ist vorgefallen?« Jener erwiderte: »Mein Herr und Gebieter, was ich seit langer Zeit voraussah, ist eingetroffen.« - »Wie soll ich deine Worte verstehen?« fragte Nureddin. - »Herr!« fuhr der Verwalter fort, »es ist nicht ein Dirham mehr von allen den Summen, die du übergeben hast, übrig. Hier ist die Bescheinigung meines Herrn über alles, was ich zu verwalten hatte.« Als Nureddin dies hörte, ließ er sein Haupt sinken und rief: »Gottes Wille geschehe! es gibt keine Macht und keinen Schutz außer bei Gott.« Indessen trat der Freund, welcher die Unterhaltung zwischen Nureddin und seinem Verwalter belauscht hatte, sogleich wieder herein und sagte ihnen: »Nureddin ist ein Bettler, überlegt nun, was ihr tun wollt.« Da erwiderten sie: »wenn dem so ist, so bleiben wir nicht länger bei ihm.«

In diesem Augenblicke kehrte Nureddin mit betrübtem Gesichte wieder zur Gesellschaft zurück. Er hatte sich kaum wieder auf seinen Platz gesetzt, als einer der Freunde aufstand und zu ihm sagte: »Herr, ich bitte dich, nicht übel nehmen zu wollen, wenn ich mich entferne.« - »Was ist es, das dich nötigt, uns zu verlassen?« fragte Nureddin. »Herr«, antwortete jener, »meine Frau ist ihrer Entbindung nahe; du weißt wohl, dass in solchen Fällen der Mann nicht zu lange von zu Hause wegbleiben darf.«

Kaum hatte ihm Nureddin die Erlaubnis erteilt sich zu entfernen, da stand ein Zweiter auf und beurlaubte sich unter einem anderen Vorwande. Die übrigen taten desgleichen, einer nach dem andern, bis kein einziger von den zehn Freunden mehr übrig blieb. Als Nureddin allein war, rief er Enis Aldjelis zu sich und sagte ihr: »Siehst du, was mir zugestoßen?« und erzählte ihr, was ihm der Verwalter gesagt. Sie versetzte: »Deine Freunde und deine Familie haben dir oft Vorwürfe gemacht und du hast ihnen kein Gehör geschenkt. Auch ich wollte längst dir Vorstellungen machen, aber ich schwieg wieder, als ich folgende Verse von dir hörte:

»Wenn das Glück dich begünstigt, so teile von seinen Geschenken aller Welt mit, bevor es entflieht.«

»Freigebigkeit wird es nicht erschöpfen, wenn es dir wohl will, und Geiz wird dich nicht schützen, wenn es sich wegwendet.«

Nureddin sagte hierauf: »Weißt du nicht, dass ich mein Gut für meine zehn Freunde verschwendet habe? Ich glaube nicht, dass sie mich hilflos lassen werden.« »Herr!« entgegnete Enis Aldjelis, »sie werden dir, bei Gott, nichts nützen.« Nureddin sagte: »Ich will sie sogleich alle besuchen, vielleicht erlange ich doch so viel von ihnen, dass ich ein Handlungsgeschäft gründen kann, denn ich werde nicht mehr Zerstreuungen nachgehen.«

Nureddin machte sich sogleich auf den Weg, um das Quartier der Stadt aufzusuchen, in welchem alle seine zehn Freunde wohnten. Als er an der Türe des ersten anklopfte, erschien eine Sklavin und fragte, wer er sei, der Einlass begehre. »Sage deinem Herren«, antwortete Nureddin, »Nureddin Ali, der Sohn des verstorbenen Veziers Vadhleddin, lässt ihm seinen Gruß vermelden und küsst ihm die Hand.«

Die Sklavin meldete Nureddin. Ihr Herr schrie sie an: »Geh', sag ihm, ich sei nicht zu Hause.« Die Sklavin kam zurück und sagte Nureddin, ihr Herr wäre nicht zu Hause. Nureddin murmelte vor sich hin: Ha, der schändliche Mensch lässt sich vor mir verleugnen! Sie werden nicht alle sein wie dieser Verworfene. Er ging weiter und klopfte an die Türe eines anderen Freundes. Abermals kam eine Sklavin heraus und fragte ihn um seinen Namen. Nachdem sie ihn erfahren hatte, ging sie hinein, ihn zu melden. Bald darauf kam sie wieder zurück, und abermals musste er hören: »Mein Herr ist nicht zu Hause.«

Ali fand die Sache lächerlich und sagte: Nun, unter den acht übrigen wird doch gewiss einer sein, bei dem ich Hilfe finde. Aber auch an der dritten Türe wurde er mit denselben Worten abgewiesen.

Jetzt erst ging Nureddin in sich und erkannte seine Torheit, laut jammernd und mit Tränen in den Augen sprach er folgende Verse:

»Der Mensch zur Zeit seines Glücks gleicht einem Baume: so lange er Früchte hat, sammeln sich die Leute um ihn;«

»Sind aber diese abgenommen, so gehen sie davon und überlassen ihn den Stürmen und dem Staube.«

»Pfui über die Menschen dieser Zeit! sie sind alle gemein und schlecht; unter zehn ist nicht einer gut.«

Als Nureddin mit verdoppeltem Schmerze bei der schönen Perserin eintrat, sagte sie. »Nun Herr! bist du jetzt von der Wahrheit dessen überzeugt, was ich dir vorausgesagt habe?« - »Ach,« rief er aus: »Nicht einer hat mich erkennen, mich sprechen wollen!« - »Nun«, sagte die Sklavin, »verkaufe von den Gerätschaften des Hauses, bis Gott der Erhabene uns anderes beschert.« Nureddin begann nun allerlei Mobilien und Hausgerätschaften zu verkaufen, bis ihm endlich nichts mehr übrig blieb. Er ging dann zu seiner Sklavin und sagte ihr: »Was bleibt uns jetzt noch zu verkaufen übrig?« »Mein Herr!« erwiderte die Sklavin. »Ich rate dir, sogleich auf den Bazar zu gehen und mich zu verkaufen. Du weißt ja, dass dein seliger Vater mich für 10.000 Dinare gekauft hat, vielleicht wirst du mit Gottes Hilfe eine annähernde Summe für mich lösen und will die göttliche Bestimmung, dass wir uns wieder vereinigen, so wird es auch geschehen.« - »O Enis Aldjelis!« rief Nureddin, »bei Gott, mir fällt es schon schwer, nur eine Stunde getrennt von dir zu leben.« »Mir geht es nicht anders«, versetzte die Sklavin, »aber die Not hat ihre bestimmten Gesetze, wie ein Dichter gesagt:

»Die Not treibt den Menschen oft auf Wege, die sonst dem feinen Leben nicht ziemen.«

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»Wer sich zu etwas Gewalt antut, tut es nur, wenn ein überwiegender Grund dazu vorhanden ist.«

Er machte sich dann auf, nahm Enis Aldjelis an die Hand, Tränen rollten über seine Wangen wie Regentropfen, dann sprach er folgende auf seinen Zustand passende Verse:

»Noch einmal, ehe du dich trennst, beglücke mich mit einem Blick von dir, um mein Herz zu stärken, welches die Trennung von dir dem Tode nahe bringt.«

»Doch sollte dies zu sehr dich schmerzen, so unterlass es: gern will ich sterben vor Liebesgram, kann ich dadurch dir diesen Schmerz ersparen.«

Als er nach dem Bazar kam, wandte er sich an einen Ausrufer, Namens Hadschi Hasan, und sprach zu ihm: »Hadschi Hasan, hier ist eine Sklavin, die ich verkaufen will; sieh zu, wie du sie ausbieten kannst.« Hadschi Hasan sprach: »Ich werde deine edle Abstammung nicht vergessen.« - Dann fuhr er fort: »Wie? ist dies nicht die Sklavin, welche der selige Vezier, dein Vater für 10.000 Dinare gekauft hat?« Nureddin versicherte, dass es dieselbe sei. Er ging hierauf herum, die Kaufleute aufzusuchen; da sie aber da und dort zerstreut waren, wartete er noch, bis die Bazare mit Kaufleuten angefüllt waren und allerlei Sklavinnen: Nubierinnen, Europäerinnen, Griechinnen, Türkinnen, Tartarinnen, Cirkassierinnen und Georgierinnen verkauft wurden, dann trat er mitten unter sie und sprach zu den Kaufleuten: »Ihr Männer von großen Reichtümern! Nicht alles, was rund, ist drum eine Nuss, noch alles, was länglich ist eine Banane; alles, was rot, ist noch kein Fleisch. O ihr Kaufleute! meine Sklavin ist die Perle von allen Sklavinnen der Welt! - Ihr selber sollt mir bestimmen, zu welchem Preise ich sie zuerst ausrufen soll.«

Da sage ein Kaufmann: »Rufe sie zuerst für 4000 Dinare aus!« Als sie so ausgerufen ward, kam der Vezier Muin vorüber und dachte, als er Nureddin auf dem Marktplatze erblickte: »Was, hat wohl der Sohn Vadhleddins auf dem Markte zu tun?« Er wendete hierauf seinen Blick nach dem Ausrufer, der mitten auf dem Bazar stand, von vielen Kaufleuten umringt und sagte zu sich selber: wenn meine Vermutung richtig ist, so ist er zum Bettler geworden und will nun seine Sklavin verkaufen. Wie wohl tut dies meinem Herzen! Er rief hierauf den Ausrufer herbei, der alsbald kam und die Erde vor ihm küsste, und sagte ihm: »Zeige mir die Sklavin, die du zum Verkauf ausrufst.« Der Ausrufer, der diesem Befehl nicht zuwiderhandeln konnte, stellte die Sklavin dem Vezier vor. Dieser fand die Sklavin sehr schön und fragte den Ausrufer, wie teuer sie wäre. Jener erwiderte: »Das erste Angebot ist 4000 Dinare.« Muin sagte sogleich: »Ich nehme sie für diese Summe.« Als die Kaufleute dies hörten, wagte es niemand, mehr zu bieten, denn sie kannten die Gewalttätigkeit und Hinterlist des Veziers.

Nun war es nicht Gebrauch, sobald die Kaufleute eine Sklavin gesehen hatten und darum handelten, sie sonst jemand sehen zu lassen. Aber die Kaufleute hatten nicht den Mut, ihr Recht gegen das Ansehen des Veziers geltend zu machen. Und was sollte Hadschi Hasan anders tun, als gehorchen? Während er noch unschlüssig dastand, warf ihm plötzlich Muin einen grimmigen Blick zu und schnaubte ihn an: »Wehe dir! was besinnst du dich? Geh zu dem Verkäufer und schließe den Handel mit ihm ab.« Der Ausrufer ging zu Nureddin und sagte ihm: »O mein Herr! deine Sklavin wird dir umsonst entrissen.« »Wieso?« fragte Nureddin. Da sagte der Ausrufer: »Wir haben deine Sklavin zuerst um 4000 Dinare ausgerufen, da kam der gewalttätige Muin, der Sohn Sawis vorüber, und da ihm das Mädchen gefiel, sagte er mir, geh' zu ihrem Herrn und sage ihm, ich nehme sie für 4000 Dinare. Ich glaube, er weiß, dass sie dir gehört und es wäre doch so übel nicht, wenn er dir die 4000 Dinare bar bezahlte, aber ich schließe aus seinen früheren Gewalttaten, dass er dir nur eine Anweisung auf irgend einen seiner Verwalter geben und ihm sagen wird: »Zieh' Nureddin hinaus, so lange es dir möglich ist, und hüte dich wohl, ihm seine Forderung zu bezahlen!« So oft du dann kommst, dein Geld zu holen, wird es heißen: heute kann ich nicht bezahlen, komm morgen! So wird man dich von einem Tag zum anderen herumziehen, bis du über ein solches Verfahren empört und zuletzt vor Zorn und Ärger die Anweisung zerreißest. Dann ist dein Geld verloren.«

Nureddin fragte, was er tun könne, um dieses zu verhindern. - »Herr«, erwiderte Hadschi Hasan, »ich will dir einen Rat geben, wenn du ihn befolgest, so kann alles noch gut gehen. Stelle dich, als hättest du im Zorn auf deine Sklavin geschworen, sie auf den Markt zu führen, aber nicht die Absicht gehabt, sie wirklich zu verkaufen, sondern dies nur getan, um deines Eides quitt zu werden. Das wird aller Welt genügen und Muin wird nichts dagegen einwenden können. Komm denn; und in dem Augenblick, wo ich sie Muin zuführe, als wenn es mit deiner Einwilligung geschähe, und der Handel geschlossen wäre, reiße sie zurück, indem du ihr einige Streiche gibst, und führe sie wieder nach Hause.« - »Dein Rat scheint mir gut zu sein«, sagte hierauf Nureddin. Hadschi Hasan verließ Nureddin, stellte sich in die Mitte des Bazars, fasste die Sklavin an der Hand, blickte nach dem Vezier Muin hin und sagte: »Hier kommt der Besitzer der Sklavin.«

Hadschi Hasan hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, als Nureddin hervortrat, die schöne Perserin ergriff und ihr einen Backenstreich gab.

»Hierher, du Unverschämte!« sprach Nureddin zu der Sklavin, »gehe nach Hause, ich habe dich nur auf den Markt geführt, um meinem Eid zu genügen, und sei fortan nicht wieder ungehorsam. Wehe dir, ich brauche das Geld nicht, das man mir für dich bietet, ich könnte Gerätschaften verkaufen, die viel mehr wert sind als du.« Der Vezier Muin trat zu Nureddin vor und sagte: »Wehe dir! willst du mir einbilden, dass dir noch etwas anderes zu verkaufen übrig bleibt, als deine Sklavin?« Muin wollte hierauf Nureddin am Kragen fassen. Dieser warf einen Blick auf die umstehenden Kaufleute, Ausrufer und Käufer, welche insgesamt ihm zugetan waren und sagte: »bei Gott! wenn ihr nicht wäret, ich würde ihn auf der Stelle töten.« Die Anwesenden gaben ihm aber durch Zeichen zu verstehen, er könne sich rächen, wie es ihm beliebe, es werde ihm niemand in den Weg treten. Nureddin, der ein junger, kräftiger Mann und durch den Beifall der Umstehenden ermutigt war, packte den Vezier, zog ihn vom Sattel herunter, warf ihn in die Gosse, die voll Kot war, und prügelte ihn tüchtig durch. Dann gab er ihm noch einen tüchtigen Faustschlag auf den Mund, dass das Blut herausfloss. Zehn Mameluken, welche Muin begleiteten, wollten mit gezogenem Säbel über Nureddin herfallen, als sie ihren Herrn in diesem Zustande sahen; aber die Kaufleute traten dazwischen und verhinderten sie daran. »Was wollt ihr tun?« sagten sie zu ihnen. »Sehet ihr nicht, dass, wenn der eine Vezier, der andere Sohn eines Veziers ist? Vielleicht vertragen sie sich nach einigen Tagen wieder, und wenn ihr Hand angelegt hättet, würdet ihr gehasst bleiben, auch könntet ihr Nureddin umbringen und das würde für euch selbst die schlimmsten Folgen haben, darum mischet euch nicht in ihre Händel!«

Nureddin war endlich müde, auf den Vezier loszuschlagen; er nahm die schöne Perserin und kehrte mit ihr nach seinem Hause zurück. Muin erhob sich mit vieler Mühe und sein weißer Anzug war von Kot und Blut besudelt. Als er sich in diesem Zustande sah, nahm er eine Matte um den Nacken und zwei Bündel Gras in die Hand und ging gerade nach dem königlichen Palast und rief: »O König seines Jahrhunderts! Mir ist Gewalt geschehen!«

Der König gab Befehl, den Mann heraufzuführen, der da unten schreie, und als man denselben vor ihn brachte, erkannte er seinen Vezier und fragte: »Wer hat dich so zugerichtet?« Da stürzten dem Vezier die Tränen in die Augen, während er seine Klage mit folgenden Versen anhob:

»Soll mir Unrecht geschehen in der Zeit, wo du lebst? Sollen mich Wölfe fressen, da du doch ein Löwe bist?«

»Soll ich, während an den Quellen deiner Wohltaten jeder Durstige Erholung schöpft, allein unter deinem Schutze verschmachten, da du doch einem erquickenden Regen gleichest?«

»Herr!« fuhr dann Muin fort, »man darf nur zeigen, dass einem deine und des Reiches Wohlfahrt am Herzen liegt, um auf so unwürdige Weise behandelt zu werden, wie du siehst, dass man mich soeben behandelt hat.« - Der König sagte: »Du darfst versichert sein, dass mir deine Ehre nicht minder teuer ist, als meine eigene; sage mir daher nur ohne Umschweife, wie sich die Sache verhält und wer der Schuldige ist.«

Muin erzählte: »Herr, ich verließ mein Haus und ritt auf den Sklavenmarkt, um mir eine Köchin zu kaufen; als ich dahin kam, hörte ich eine Sklavin für 4000 Dinare ausrufen. Ich ließ mir die Sklavin vorführen, und siehe! 's war die schönste, die man je gesehen hat und noch sehen kann. Nachdem ich sie hinlänglich betrachtet hatte, fragte ich, wem sie gehöre. Da nannte man mir den Verkäufer Nureddin, den Sohn des verstorbenen Veziers Vadhleddin. Du weißt, mein Herr und König! dass du diesem Vezier 10.000 Dinare auszahlen ließest, mit dem Auftrage, dir für diese Summe eine Sklavin zu kaufen. Er hat auch wirklich eine dafür gekauft; anstatt sie aber dir zuzuführen, achtete er dich derselben nicht würdig, sondern machte seinem Sohn ein Geschenk damit. Seit dem Tode des Vaters hat nun der Sohn alles verkauft, und es blieb ihm zuletzt nichts mehr übrig, als diese Sklavin, welche er sich endlich auch zu verkaufen entschlossen hatte, und die man wirklich in seinem Namen verkaufte. Ich sagte ihm daher, überlass mir die Sklavin für die 4000 Dinare; ich will sie kaufen, um dem König, unserm Herrn und Meister, ein Geschenk damit zu machen, dem sie eher gebührt und der schon einmal 10.000 Dinare für sie ausgegeben. Nureddin sah mir frech ins Gesicht und sprach zu mir: Nichtswürdiger Alter! lieber wollte ich meine Sklavin an einen Juden oder Christen, als an dich verkaufen! - Aber, Nureddin, fuhr ich fort, lohnst du es so dem Sultan, durch dessen Huld dein Vater und ich selbst groß geworden ist? - Diese Vorstellung reizte ihn nur noch mehr: er stürzte sogleich auf mich los und, ohne Rücksicht für mein Alter, riss mich von meinem Pferde herunter, schlug mich mit Hand und Faust und versetzte mich in den Zustand, worin du mich hier siehst. Dies alles ist mir zugestoßen, weil ich dir eine Freude machen wollte.« Mit diesen Worten warf sich der Vezier auf den Boden, weinte und zitterte und gebärdete sich, wie wenn er die Besinnung verlöre und ohnmächtig würde.

Als der König Muin in diesem Zustande sah und seine Worte hörte, da schwoll die Ader des Zorns zwischen seinen Augen. Er wandte sich zu den Großen des Reichs, die ihn umgaben, und siehe, da standen vierzig Bewaffnete von seiner Leibwache vor ihm. Diesen befahl er, sich in die Wohnung Nureddin Alis zu begeben, alles auszuplündern, ihn selbst aber samt seiner Sklavin zu ergreifen und sie gebunden vor sein Augenlicht zu schleppen.

Die Soldaten schickten sich an, den Befehl des Königs zu vollziehen, als ein Türhüter, welcher alles mit angehört hatte, ihnen zuvoreilte. Dieser hieß Alam Eddin Sandjar und war vormals Sklave des Veziers Vadhleddin gewesen, der ihn mit in den Palast des Königs gebracht hatte, wo er allmählich so emporgestiegen war. Als er jetzt sah, wie die Feinde seines früheren Herren sich anschickten, dessen Sohn zu töten, fiel es ihm schwer aufs Herz; er entfernte sich daher, bestieg ein Pferd und trieb es mit aller Kraft nach der Wohnung Nureddins, klopfte stark an die Türe, dass Nureddin ungesäumt selber kam und öffnete. Als er den ehemaligen Diener seines Vaters erblickte, grüßte er ihn. - Sandjar sagte: »Es ist jetzt keine Zeit zur Begrüßung, noch zu anderen vielen Worten, es ist eine Zeit, auf welche die Verse eines Dichters passen:

»Fürchtest du eine Gewalttat, so suche dein Leben zu retten, und lasse die Wohnung den Verlust ihres Erbauers verkünden.«

»Denn leicht kannst du ein Land mit dem anderen vertauschen; für dein Leben gibt's aber kein zweites.«

»Sende keinen Boten in einer ernsten Angelegenheit: wo es das Leben gilt, kann keiner den anderen vertreten.«

»Nur daher kommt es, dass des Löwen Nacken so stark ist, weil er selbst abschüttelt, was ihn drückt.«

Als Nureddin hierauf fragte, was denn vorgefallen wäre, sagte Sandjar: »Mache dich auf, mein Herr, und rette dich mit deiner Sklavin, denn Muin hat dir eine Falle gestellt, in die du stürzest, wenn du säumst. Der Sultan hat vierzig Bewaffneten den Befehl erteilt, dein Haus auszuplündern und dich und die Sklavin gebunden vor ihn zu bringen, ich rate dir daher, sogleich mit der Sklavin die Flucht zu ergreifen, ehe die Soldaten kommen.« Er griff hierauf in seinen Gurt, zog 40 Dinare heraus und reichte sie Nureddin mit den Worten: »Da nimm diese 40 Dinare; gern würde ich dir mehr geben, wenn ich es vermöchte; aber jetzt ist keine Zeit zu weiteren Erklärungen.«

Nureddin eilte zu Enis Aldjelis und setzte sie von allem in Kenntnis, und sie war sehr bestürzt darüber. Beide verließen alsbald die Stadt unter Gottes Schutz und als sie das Ufer des Flusses erreichten, fanden sie ein Fahrzeug, welches eben im Begriff war, die Anker zu lichten. Denn gerade, als sie anlangten, stand der Schiffshauptmann mitten unter den Reisenden und rief mit lauter Stimme: »Hat noch jemand einen Einkauf zu machen, Abschied zu nehmen oder sonst etwas am Lande vergessen? Er beeile sich, denn wir reisen bald ab.« Als er die einstimmige Antwort erhielt, sie haben nichts mehr zu besorgen, rief er seinen Matrosen zu: »Das Seil ab und die Anker auf!« Nureddin fragte den Hauptmann, wohin die Reise gehe. »Nach Bagdad, der Wohnung des Friedens!« war die Antwort.

Er stieg mit Enis Aldjelis ein, hierauf wurde das Schiff flott gemacht, die Segel wurden gespannt, und das Schiff bewegte sich wie ein Vogel mit seinen Flügeln, wie ein Dichter sich ausdrückt.

»Sieh dieses Schiff und erstaune über den wunderbaren Anblick: es kommt in seinem Laufe dem Winde zuvor.«

»Es gleichet einem Vogel, der seine Flügel ausbreitet und plötzlich aus der Luft über das Wasser dahinstreicht.«

Ein frischer Wind begünstigte die Fahrt. In Bassrah ging aber folgendes vor: die bewaffnete Wache kam in Nureddins Haus und pochte an die Türe. Da niemand öffnete, schlug man die Türe ein und alsbald drangen die Soldaten hinein: sie durchzogen alle Gemächer, fanden aber weder Nureddin noch seine Sklavin. Da zertrümmerten sie das Haus und kehrten zum Sultan zurück und setzten ihn von allem in Kenntnis. »Man suche sie überall, wo sie sich versteckt haben könnten«, sagte der König. Die Bewaffneten gingen auf neue Nachforschungen aus und der König entließ den Vezier Muin, nachdem er ihn beruhigt und mit einem Ehrenkaftan beschenkt hatte. »Geh«, sagte er zu ihm, »sei unbesorgt wegen Nureddins Bestrafung.« Muin wünschte ihm ein langes Leben und entfernte sich.

Der König ließ durch die öffentlichen Ausrufer in der ganzen Stadt bekannt machen: derjenige sollte ein Ehrenkleid und tausend Dinare erhalten, der ihm Nureddin brächte, derjenige aber sein Leben und sein Vermögen verlieren, der ihn etwa verborgen hielte. Allein, welche Sorgfalt er auch anwenden ließ, es war nicht möglich, irgend eine Kunde von ihm zu erhalten.

Nureddin und die schöne Perserin vollendeten unterdessen mit Gottes Hilfe ihre Fahrt. Sie erreichten glücklich Bagdad; der Schiffshauptmann rief den Reisenden zu: »Hier ist Bagdad, die Stadt des Friedens und der Sicherheit. Der Winter mit seiner Kälte hat ihr den Rücken gewendet und der Frühling ist mit seinen Boten eingekehrt. Die Bäume stehen in Blüte und die Bäche rieseln.« Nureddin zahlte dem Hauptmann fünf Dinare für seine Überfahrt und verließ das Schiff mit Enis Aldjelis. Sie schlenderten eine Weile aufs Geratewohl miteinander umher und das Schicksal führte sie zwischen die Gärten. Bald kamen sie an einen Platz, der gut begossen und reinlich ausgekehrt war, mit langen Ruhebänken und hängenden Töpfen mit Wasser gefällt, darüber wölbte sich ein Gitterwerk aus Rohr, das sich längs einem Gang hinzog und nach der Türe des Gartens hinführte, die aber verschlossen war. »Bei Gott«, sagte Nureddin zu Enis Aldjelis, »das ist ein schöner und lieblicher Ort!« Die Perserin entgegnete: »Hier sind ja Ruhebänke, komm, lass uns ein wenig ausruhen.« Sie stiegen auf die Bänke, wuschen sich Hände und Gesicht, der Wind wehte ihnen sanfte Kühlung zu und so entschlummerten sie. Gepriesen sei der, dessen Auge nie schläft.

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Der Garten gehörte dem Kalifen Harun Arraschid und hieß der Garten der Belustigung. Mitten in demselben stand ein Schloss, welches der Palast der Zerstreuung und der Bilder genannt wurde. Dieses Schloss hatte achtzig Fenster, mit einer Lampe an jedem und in der Mitte stand ein großer goldener Kronleuchter. Harun Arraschid besuchte dieses Schloss, wenn ihn irgend ein Gram drückte. Da ließ er seinen Gesellschafter Abu Ishak und mehrere Sklavinnen singen, bis sein Herz fröhlich ward und Sorge und Kummer aus demselben wich.

Es wohnte in diesem Garten niemand als ein alter Aufseher, Namens Scheich Ibrahim. Wenn dieser ausgegangen war, um in der Stadt etwas zu besorgen, so fand er häufig bei seiner Zurückkunft Leute, welche in der Nähe des Gartens sich mit verdächtigen Frauen belustigten und die Ruhe des Ortes störten. Dies verdross den alten Mann und er machte endlich dem Kalifen die Anzeige davon. Harun Arraschid gab ihm die Erlaubnis, mit jedem, den er vor der Türe des Gartens träfe, zu verfahren, wie es ihm gutdünke.

An diesem Tage nun hatte ein Geschäft den Aufseher auch wieder genötigt, auszugehen, und als er zurückkehrte, sah er die beiden Personen, die unter einem Tuche schliefen. »Gut«, sagte Scheich Ibrahim bei sich selber, »da sind Leute, die nicht wissen, dass mir Vollmacht gegeben, jeden zu töten, den ich hier treffe, ich will ihr Leben schonen, aber durchprügeln will ich sie dergestalt, dass es so bald niemand mehr einfallen wird, sich der Gartentüre zu nähern.«

Hierauf ging er in den Garten. Einen Augenblick danach kam er wieder mit einem grünen Palmenstock in der Hand, den er im Gebüsch geschnitten hatte. Er erhob seine Hand mit dem Stock und holte so gewaltig aus, um auf sie loszuschlagen, dass man das Weiße seiner Achselgrube sehen konnte, plötzlich aber hielt er inne und überlegte bei sich: was willst du tun, Ibrahim? Wie magst du diese Leute schlagen, ohne zu wissen, ob es nicht Fremdlinge sind, oder Reisende, welche das Schicksal hierher geworfen hat; es wird doch besser sein, ihr Gesicht aufzudecken, um zu sehen, wer sie sind. Als er das Tuch, mit dem sie verhüllt waren, aufhob und einen so wohlgebildeten Jüngling und ein so schönes Mädchen erblickte, rief er: »Bei Gott, das sind zwei hübsche Personen!« und deckte ihr Gesicht wieder zu. Dann rieb er den jungen Mann an den Füßen, um ihn aufzuwecken. Nureddin öffnete die Augen und als er einen ehrwürdigen Greis an seinen Füßen erblickte, richtete er sich, die Füße aneinander schließend, verschämt empor, fasste die Hand des Greises und küsste sie. »Mein Sohn«, sagte Scheich Ibrahim, »wer seid ihr? wo kommt ihr her?« - »Wir sind Fremde«, antwortete Nureddin, und Tränen schossen ihm in die Augen. »Wisse«, versetzte Scheich Ibrahim, »dass der Prophet (Gottes Friede sei mit ihm!) geboten hat, Fremden Achtung und Ehre zu erweisen. Wollt ihr nicht ein wenig im Garten lustwandeln und euch an dem Anblick desselben ergötzen?« »Und wem gehört dieser Garten?« fragte Nureddin. »Mir gehört er«, antwortete Ibrahim, um sie nicht zu beunruhigen und dadurch vom Eintritt abzuhalten, dass er die Wahrheit sagte; »es ist ein Erbteil meiner Väter.«

Nureddin dankte ihm und machte sich mit der Sklavin auf, um dem Scheich Ibrahim in den Garten zu folgen, und was war das für ein Garten! Den Eingang bildete ein Gewölbe, über und über mit Reben bedeckt, welche rote und schwarze Trauben trugen, die Roten glichen Rubinen und die Schwarzen dem Ebenholz; hierauf traten sie in eine Laube, in welcher Früchte in Gruppen und einzeln sich befanden. Die Vögel sangen ihre verschiedenen Lieder auf den Zweigen, die Nachtigallen stimmten süße Melodien an und die Turteltauben füllten den Garten mit ihrem Gegirre, der Gesang der Amsel glich einer Menschenstimme und der der Ringeltaube einem im Genusse des Weines Jauchzenden. Die Bäume waren mit reifen Früchten beladen und fanden sich paarweise von jeder Sorte. Von Aprikosen waren drei Arten da: Kampfer-, Mandel- und Chorasan-Aprikosen. Die Pflaumen glichen den Schönen, die Kirschen erheiterten jeden Menschen, weiße Feigen wechselten mit roten ab. Die Blumen dieses Gartens waren wie Perlen und Korallen, die Röte der Rosen beschämte die Wangen der Schönen, die Veilchen glichen dem an das Feuer gebrachten Schwefel, die Myrte und die Nelke und der Lavendel standen zwischen Anemonen, die Blätter waren von den Tränen der Wolken geschmückt, die Kamille öffnete lächelnd den Mund, die Narzisse blickte mit ihren schwarzen Augen nach der Rose hin, die Orangen glichen runden Bechern und die Zitronen silbernen Kugeln, der Boden war mit allerlei Blumen bedeckt, Frühlingspracht schmückte den ganzen Garten, der Bach murmelte, die Vögel zwitscherten und der Zephir seufzte bei milder Temperatur. Scheich Ibrahim führte sie in einen auf Säulen ruhenden Saal und als Nureddin ihn mit seinen vielen Lichtern an den Fenstern bewunderte, fielen ihm seine frühern Gesellschaften ein und er rief: bei Gott, das ist ein schöner Ort! Er ließ sich dann mit der Sklavin nieder und Ibrahim brachte ihnen etwas zu essen. Als sie gegessen und ihre Hände gewaschen hatten, trat Nureddin an ein Fenster, rief auch die Sklavin herbei und ergötzte sich an den mit Früchten beladenen Bäumen, dann fragte er Ibrahim, ob er nicht etwas zu trinken habe, da man doch nach dem Essen auch zu trinken pflege. Ibrahim brachte frisches süßes Wasser. Da sagte Nureddin: »Ein solches Getränke meinte ich nicht.« »Verlangst du etwa Wein?« fragte Ibrahim. »Allerdings«, versetzte Nureddin. Da rief Ibrahim: »Gott stehe mir bei! Ich habe seit dreizehn Jahren nichts damit zu tun, denn der Prophet, dem Allah gnädig sei, hat den verflucht, der Wein trinkt, keltert oder herbeiträgt.«

»Willst du zwei Worte von mir hören?« fragte Nureddin. »Sprich«, antwortete Ibrahim. Da sagte jener: »Wenn ein Esel verflucht wird, glaubst du wohl, dass dich von seinem Fluch etwas treffen werde?« - »Ich denke nicht«,antwortete Ibrahim. - »Nun«, sprach Nureddin weiter, »hier sind zwei Dinare: nimm einen Esel und reite darauf zu der ersten besten Schenke, ohne dich ihr weiter zu nähern, als dir beliebt; gib dann einem Vorübergehenden zwei Dirham und bitte ihn, dort für zwei Dinare Wein zu kaufen und auf den Esel zu laden. Auf diese Weise hast du den Wein weder gekeltert, noch gekauft, noch getragen, kurz, nichts getan, was dir Unglück bringen könnte.« Scheich Ibrahim sagte lächelnd zu Nureddin: »Mein Sohn! bei Gott, ich habe noch keinen feinern und beredtern Mann als dich gesehen«, und er verließ sie, um seinen Auftrag auszurichten.

Als er zurückkam, sagte ihm Nureddin: »Wir übernehmen jede Verantwortlichkeit, du hast nur unsere Wünsche zu erfüllen, gib uns nun auch, was wir zum Trinken brauchen. »Mein Sohn«, sagte Ibrahim, »hier ist meine Speisekammer, es war das Vorratszimmer des Fürsten der Gläubigen.« - Nureddin trat in das Vorratszimmer und fand darin eine Menge Gefäße von Gold, Silber und Kristall, mit allen möglichen Edelsteinen besetzt; er wählte einige, goss den Wein in Krüge und Flaschen. Mittlerweile war auch Scheich Ibrahim wieder gekommen und stellte seinen Gästen allerlei Arten wohlschmeckender Früchte und wohlriechender Blumen vor, dann ließ er sich in einiger Entfernung nieder, während die beiden tranken und sich vergnüglich miteinander unterhielten. Der Wein blieb nicht ohne Wirkung, er rötete ihre Wangen; sie blickten liebevoll eines in des anderen Auge und ihre Haare fielen ihnen über die Schulter herab. Da dachte Ibrahim: warum sitze ich so weit von ihnen weg? warum nähere ich mich ihnen nicht? wann werde ich wieder ein solches junges Paar, das dem Monde gleicht, bei mir sehen? er machte sich dann auf und setzte sich an das äußerste Ende des erhöhten Teils des Saals. Nureddin beschwor ihn bei seinem Leben, doch näher zu kommen. Als er näher kam, füllte Nureddin einen Becher und sagte zu Ibrahim, ihn anblickend: »Trinke, nur um zu sehen, wie Wein schmeckt.« Ibrahim wiederholte, dass er seit dreizehn Jahren keine solche Sünde begangen. Nureddin beschäftigte sich nicht weiter mit ihm, sondern trank den Becher aus, warf sich zur Erde und stellte sich betrunken. Da sagte Enis Aldjelis zu Ibrahim: »Sieh einmal, wie dieser hier gegen mich verfährt, stets trinkt er, bis ihn der Schlaf überwältigt und lässt mich allein ohne Gesellschaft beim Becher.« Ibrahim, dessen Mitleid und Zuneigung zu ihr durch diese Worte rege ward, versetzte: »Bei Gott, das ist nicht recht.« Das Mädchen füllte dann den Becher wieder, blickte Ibrahim an und sagte: »Ich beschwöre dich bei meinem Leben, nimm und trinke und stärke mein Herz.« Ibrahim ergriff den Becher und trank ihn aus. Das Mädchen füllte hierauf den Becher wieder, hielt ihn an das Licht und sagte. »Nun, mein Herr, bleibt dir noch dieser.« Er versetzte: »Bei Gott, ich habe genug, ich kann nicht mehr trinken.« Sie drang aber in ihn, bis er auch den zweiten Becher entnahm und leerte. Hierauf reichte sie ihm einen dritten Becher, als er aber trinken wollte, erhob sich Nureddin und sagte: »O Scheich Ibrahim! habe ich dich nicht vor kurzem beschworen zu trinken und du hast dich geweigert und gesagt, du habest seit dreizehn Jahren diese Sünde nicht mehr begangen?« Ibrahim antwortete beschämt: »Mich trifft keine Schuld, diese hier hat mich überredet.« Nureddin lachte, und sie fuhren wieder fort zu zechen. Die Sklavin sagte dann leise zu ihrem Herrn: trink du und nötige Ibrahim nicht weiter zu trinken, du wirst deinen Spaß an ihm haben. Sie füllte dann einen Becher und reichte ihn ihrem Herrn, und als er getrunken hatte, füllte er einen Becher und reichte ihn ihr. Als sie dies mehrmals wiederholt hatten, sagte Scheich Ibrahim: »Was ist das für eine Art zu zechen? Gott verdamme ein solches Verfahren in unserm Hause! warum gibst du mir nicht zu trinken? was ist das für ein Zustand, o Gesegneter?« Als er so zu Nureddin sprach, lachten beide, bis sie beinahe bewusstlos hinsanken; dann begannen sie wieder zu trinken und schenkten auch dem Scheich Ibrahim ein. Nachdem sie so, bis ein Drittteil der Nacht vorüber war, miteinander gezecht hatten, sagte die Sklavin zu Ibrahim: »Mit deiner Erlaubnis zünde ich eine der Wachskerzen an, die hier aufgestellt sind.« Ibrahim erwiderte: »Geh und zünde eine an, aber nicht mehr!« Die Sklavin zündete aber alle der Reihe nach an, so dass achtzig Lichter brannten, dann setzte sie sich wieder zu den beiden. Hierauf sagte Nureddin: »Was gelte ich wohl bei dir? wirst du nun auch mir erlauben, eine der Lampen anzuzünden?« - »Geh und zünde eine an«, antwortete Ibrahim, »damit du nicht verdrießlich werdest.« Er erhob sich, zündete eine Lampe nach der anderen an, bis alle achtzig brannten, so dass der ganze Saal zu tanzen schien. Ibrahim, den der Wein immer mehr betäubte, sagte: »Ihr seid kecker als ich.« Er öffnete dann alle Fenster, setzte sich wieder und fuhr fort, mit den beiden zu trinken und Verse zu rezitieren, und der ganze Platz schien an ihrer Fröhlichkeit teilzunehmen.

Nun hatte der allmächtige Gott, der jedem Ereignis einen Grund bestimmt, gewollt, dass sich der Kalif Harun Arraschid um diese Zeit an einem Fenster seines Palastes, der an den Tigris stieß, befand, um den klaren Mondschein zu genießen. Als er nach der Richtung des Stromes sah, bemerkte er den Widerschein der Lichter, der Wachskerzen und Lampen, und als er hierauf einen Blick nach dem Schlosse im Garten warf und bemerkte, wie es im Glanze vieler Lichter strahlte, ließ er den Barmekiden Djafar rufen, und sobald er vor ihm erschien, schrie er ihn an: »Du Hund unter den Vezieren! man nimmt mir Bagdad weg und du gibst mir keine Kunde davon?« Djafar fragte nach dem Sinne dieser Worte, und der Kalif fuhr fort: »Wäre nicht Bagdad in fremder Hand, so wäre der Bilderpalast nicht mit Lampen und Lichtern beleuchtet und die Fenster wären nicht geöffnet; wehe dir! wer könnte so etwas wagen, wenn mir nicht das Kalifat entrissen wäre!« Da erwiderte Djafar, dessen Muskeln vor Furcht zitterten: »Wer sagt dir, dass der Bilderpalast beleuchtet und dass seine Fenster geöffnet sind?« Der Kalif versetzte: »Komm her und sieh selbst!« Djafar näherte sich dem Kalifen und blickte nach der Richtung des Gartens und der Palast erschien ihm wie eine große Feuerflamme in dunkler Nacht. Djafar wollte Ibrahim entschuldigen, denn er sah wohl, dass Fremde bei ihm eingekehrt waren, und sagte daher zum Kalifen: »O Fürst der Gläubigen! Ibrahim ist in der vergangenen Woche zu mir gekommen und hat mir gesagt, er wünsche, bei dem Leben des Fürsten der Gläubigen und bei meinem Leben, seinen Kindern eine Freude zu machen und ersuche mich daher, ihm vom Kalifen die Erlaubnis zu erwirken, das Beschneidungsfest im Bilderpalast zu feiern. Ich sagte ihm: Geh und halte dein Fest, wenn ich vor den Kalifen komme, will ich es ihm melden; nun, o Fürst der Gläubigen, habe ich aber, da er mich alsbald wieder verließ, vergessen, dich von seinem Anliegen in Kenntnis zu setzen.« - »Djafar«, erwiderte der Kalif, »zuerst glaubte ich dich nur eines Fehlers schuldig, nach dem aber, was du mir soeben gesagt, hast du zwei Fehler begangen. Erstens, dass du mir nichts gesagt hast; dein zweiter Fehler aber ist, dass du nicht den Wunsch Ibrahims erfüllt hast: denn ich bin überzeugt, dass er keine andere Absicht gehabt hat, als zu sehen, ob er nicht ein Gnadengeschenk als Beisteuer zu den Kosten dieses Festes erlangen könnte und du hast ihm nichts gegeben.« »Auch daran habe ich nicht gedacht«, erwiderte Djafar. Da schwor der Kalif bei dem Grabe seiner edlen Väter und Ahnen, den Rest der Nacht in Gesellschaft Ibrahims zuzubringen, »er hat ohne Zweifel die Scheichs und die Derwische zu sich geladen für diese Nacht, vielleicht wird das Gebet eines derselben uns Glück in dieser und jener Welt bringen, für sie wird auch meine Anwesenheit gute Folge haben und Scheich Ibrahim wird sehr vergnügt sein.« Der Vezier Djafar stellte ihm vor, dass es schon spät sei und die Gesellschaft auseinander gegangen sein würde, bevor sie hinkämen. Der Kalif erwiderte ihm aber: »Es bleibt dabei: ich will es so haben!« Djafar geriet in die höchste Verzweiflung über diesen Entschluss; er schwieg und wusste nicht, was er tun sollte.

Der Kalif Harun Arraschid verließ also, im Gewande eines Kaufmanns, mit dem Großvezier Djafar und Masrur seinen Palast und ging durch die Straßen der Stadt nach dem Garten. Als sie dahin gekommen waren, ging der Kalif voran und fand die Gartentür offen. Der Kalif erstaunte darüber und sagte zu dem Großvezier: »Djafar, was sagst du, dass das Tor so spät offen steht? Das ist doch nicht Scheich Ibrahims Gewohnheit.« Der Kalif trat in den Garten und ging auf den Saal zu. Als sie davor standen, sagte der Kalif zu dem Vezier: »Djafar, ich höre weder das Geräusch von einer großen Gesellschaft, noch vernehme ich einen Fakir, der Gott priese. Ehe ich hinaufgehe, will ich doch zuvor verborgen lauschen, was sie treiben.« Damit blickte er um sich her und gewahrte einen hohen Nussbaum in der Nähe. Nachdem er ihn genauer betrachtet hatte, sprach er zu Djafar: »Ich habe Lust, auf diesen Baum zu steigen, dessen Äste gerade nahe genug bis an die Fenster des Saales reichen, um sehen zu können, was im Inneren desselben vorgeht.«

Er stieg hierauf auf den Baum und kletterte so lange fort, bis er auf einen Ast kam, welcher einem Fenster gegenüber war. Er setzte sich darauf nieder und erblickte durch das Fenster ein Mädchen von unvergleichlicher Schönheit neben einem noch schöneren jungen Manne; sie glichen dem Vollmonde. (Gepriesen sei der, welcher sie geschaffen und so wohlgebildet!)

Scheich Ibrahim hielt eben die Schale in der Hand und sagte zu der schönen Perserin: »Meine schöne Herrin, wenn nicht fröhliche Stimmen das Trinken begleiten, so ist es nicht schön. Ich habe einmal einen Dichter sagen hören:

»Reichet ihn herum in großen und kleinen Gefäßen, und nehmet ihn aus der Hand eines Schenken, der wie der leuchtende Mond strahlt.«

»Doch trinke nicht ohne Gesang, denn auch das Pferd wiehert, wenn es sich mit einem Trunk erquickt.«

Als der Kalif dies von Ibrahim sah, schwoll die Ader des Zornes zwischen seinen Augen an. Er stieg wieder von seinem Baume herab und sagte zu Djafar: »Noch nie habe ich gottesfürchtige Leute in einem solchen Zustande gesehen. Steige auf den Baum, Djafar, und sieh dich um, damit dir der Segen dieser Frommen nicht entgehe!«

Djafar geriet über diese Worte ganz in Verwirrung, er stieg auf den Baum, sah Nureddin, seine Sklavin und Ibrahim, welcher einen Kelch in der Hand hielt. Dieser Anblick versetzte ihn in Todesangst. Als er wieder herabgestiegen war, sprach Harun Arraschid: »Gelobt sei Gott, der uns zu diesen Frommen kommen ließ!« Djafar konnte vor Scham und Verlegenheit kein Wort hervorbringen. »Wer hat diese Leute«, fuhr der Kalif fort, »in meinen Garten und in meinen Palast gebracht? Doch habe ich nie ein schöneres junges Paar gesehen.«

G

Djafar, der den Zorn des Kalifen abzulenken hoffte, erwiderte: »Du hast recht, großer Sultan!« - »Komm«, sagte Harun Arraschid, »wir wollen noch einmal miteinander auf den Zweig steigen, um zu sehen, was sie machen.« Sie stiegen hinauf und hörten beide, wie Scheich Ibrahim zu der schönen Perserin sagte: »Nun, meine Herrin, lässt dieser Ort noch etwas zu wünschen übrig?« - »Bei Gott!« erwiderte Enis Aldjelis, »wenn wir noch ein Musikinstrument hätten, das ich spielen könnte, so wäre unser Vergnügen vollkommen.« Scheich Ibrahim stand auf und entfernte sich, als er dies hörte.

»Was wird er wohl jetzt beginnen?« fragte der Kalif den Großvezier. »Das weiß ich nicht«, antwortete Djafar.

Nachdem Scheich Ibrahim eine Weile weg gewesen war, kam er wieder und hatte eine Laute in der Hand. Der Kalif sah aufmerksam hin und erkannte, dass es die Laute seines Gesellschafters Abu Ishak war, und sagte zu jenem: »Djafar, das Mädchen wird auf der Laute spielen und singen: spielt und singt sie schlecht, so lass' ich euch alle zusammen hängen; macht sie ihre Sache gut, so will ich verzeihen, dich aber lass' ich aufknüpfen.« - »Beherrscher der Gläubigen!« erwiderte der Großvezier, »wenn dem so ist, so bitte ich Gott, dass sie schlecht singen möge.« -»Warum das?« sagte der Kalif. - »Je mehr wir sind«, entgegnete der Großvezier, »desto leichter werden wir uns trösten können, in guter Gesellschaft zu sterben.« Der Kalif lachte über diese Antwort. Hierauf nahm das Mädchen die Laute, stimmte die Saiten und brachte Töne hervor, welche aller Herzen zu ihr hinzog; der Inhalt des Liedes war aber folgender:

»O ihr, die ihr armen Unglücklichen Hilfe und Beistand gewährt, wir sind des Guten nicht unwürdig, das ihr uns erweist.«

»Wir haben uns in euern Schutz begeben: darum handelt nicht schlecht gegen uns.«

»Es brächte euch wirklich keinen Ruhm, wenn ihr diejenigen ermorden wollet, welche unter euer Dach sich geflüchtet haben; darum werdet nicht schadenfroh über uns.«

»Das ist bei Gott schön«, rief der Kalif aus. »Zeit meines Lebens habe ich keine schönere Stimme gehört.« - »Also ist dein Zorn vorüber?« fragte Djafar. - »Mein Zorn ist vorüber«, antwortete der Kalif. Er stieg hierauf mit Djafar vom Baume herunter, dann sagte er, zu diesem gewendet: »Ich will in den Saal hinaufgehen, um das Mädchen in der Nähe singen zu hören.«

»Beherrscher der Gläubigen!« erwiderte der Großvezier, »wenn du hinaufgehst, wirst du sie stören. Scheich Ibrahim wird vor Schrecken des Todes sein.« Der Kalif versetzte: »Nun, es soll deine Aufgabe sein, eine List zu ersinnen, welche mir die Erreichung meiner Absicht möglich macht.«

Djafar entfernte sich gegen den Tigris hin und sah einen Fischer unter den Fenstern des Palastes. Der Kalif hatte zwar schon früher, als er das Geräusch der Fischer vor dem Palaste vernahm, Ibrahim den Befehl erteilt, nicht zu gestatten, dass vor dem Palaste gefischt werde. Als nun in eben dieser Nacht der Fischer Kerim das Gartentor offen sah, so dachte er: »Heute wird niemand auf mich achten. Ich will die Zeit nützen, und einen guten Fang tun.« Er warf sein Netz aus, während er folgende Strophen rezitierte:

»O du, der du in der Dunkelheit mit Gefahr das Meer befährst, gib dir nicht so viele Mühe: denn der Lebensunterhalt kommt nicht durch Treiben und Jagen.«

»Siehst du nicht das Meer und den Fischer, der die ganze Nacht aufrecht steht, während die Sterne verhüllt sind?«

»Er dehnt weiter den Strick, und die Wellen benetzen seine Füße; aber sein Auge wendet sich nicht von der Mitte des Netzes.«

»Dann nur ist er froh und vergnügt, wenn der Tod ein lüsternes Fischlein hineinlockt.«

»Derjenige aber kauft seinen Fisch, der die Nacht in schönster Behaglichkeit, vor Kälte bewahrt, zugebracht hat.«

»Gelobt sei Gott, der dem einen gibt, dem anderen versagt: der eine fängt die Fische und der andere isst sie.«

Eben hatte der Fischer seine Verse vollendet, als Djafar und der Kalif vor ihm standen. Dieser rief ihn bei seinem Namen. Als er sich beim Namen rufen hörte und den Fürsten der Gläubigen erblickte, zitterten seine Muskeln und er sagte: »Bei Gott, o Beherrscher der Gläubigen, nicht aus Geringschätzung gegen deinen Befehl habe ich hier gefischt; meine Kinder und die bitterste Armut hat mich dazu bewogen.«

Da sprach der Kalif: »Kerim! fische einmal auf mein Glück!« Der Fischer warf freudig sein Netz aus und wartete, bis es lang genug im Wasser war und am Grund fest blieb, dann zog er es an sich und fand mehrere Sorten Fische darin. Der Kalif freute sich sehr darüber. Hierauf sagte er zu dem Fischer: »Kerim, zieh deine Kleider aus!« Der Fischer gehorchte augenblicklich und zog seinen Rock aus, welcher mehr als hundert grobe wollene Flecke hatte, auf welchen abscheuliches Ungeziefer hauste. Dann nahm er von seinem Haupte eine Binde, die in drei Jahren nicht aufgemacht worden war, und auf die er jeden Fetzen, den er in dieser Zeit gefunden, aufgebunden hatte. Nachdem er dies getan, zog der Kalif seidene Kleider von alexandrinischer und baalbekischer Arbeit und zwei Unterkleider aus, und sagte zu dem Fischer: »Nimm diese Kleider und ziehe sie an!« Der Kalif aber legte das Kleid und die Binde des Fischers an und sagte zu dem Fischer: »Geh' jetzt deiner Arbeit nach.«

Der Fischer küsste dem Kalifen die Füße und dankte ihm mit folgenden Strophen:

»Du hast mir eine Gnade erzeigt, die würdig ist, aller Welt gelobt zu werden: du hast mich auf einmal mit allem versehen.«

»Ich werde dir danken, so lange ich lebe, und nach meinem Tode werden meine Gebeine im Grabe dich preisen.«

Der Fischer hatte noch nicht ausgesprochen, als der Kalif wegen des Ungeziefers mit beiden Händen nach seinem Nacken fuhr. »Wehe dir, Fischer!« rief er aus; »dein Kleid ist reich an Ungeziefer!« - »Mein Herr!« antwortete der Kerim, »das fühlst du nur jetzt; ehe eine Woche vergeht, wirst du nichts mehr fühlen und nicht mehr daran denken.« Der Kalif versetzte lächelnd: »Meinst du, ich werde deinen Rock so lange auf dem Leibe behalten?« Da sprach der Fischer: »Ist es mir vergönnt, Herr, dir ein Wort zu sagen?« Nachdem ihn der Kalif reden geheißen, fuhr er fort: »Mich dünkt, Beherrscher der Gläubigen, dass du das Fischen lernen willst, um ein nützliches Handwerk zu verstehen, darum möchte dich dieser Rock vortrefflich kleiden.« Der Kalif lachte über die Rede des Fischers. Nachdem Kerim weggegangen war, nahm der Kalif den Fischerkorb, und legte etwas Grünes oben drauf. Dann kehrte er zu Djafar zurück und blieb vor ihm stehen. Dieser hielt ihn für den Fischer Kerim und sagte zu ihm: »Geh' deines Weges, Kerim, und mache, dass du mit dem Leben davonkommst!« Als der Kalif diese Worte Djafars hörte, fing er an zu lachen. Djafars ging auf ihn zu und sagte: »Bist du etwa der Beherrscher der Gläubigen?« - »Ich bin es«, antwortete der Kalif, »und du bist mein Vezier und hast mich doch nicht erkannt, als ich auf dich zukam. Wie soll der betrunkene Scheich Ibrahim mich erkennen? Bleibe also hier bis ich zurückkomme.«

Der Kalif ging nun bis an das Tor des Palastes und klopfte leise. Nureddin sagte: »Scheich Ibrahim, man klopft an der Türe des Saales.« Scheich Ibrahim stand auf und fragte, wer draußen sei. »Ich bin's, mein Herr Scheich Ibrahim«, antwortete Harun Arraschid. Scheich Ibrahim rief: »Wer bist du?« - »Ich bin der Fischer Kerim«, antwortete der Kalif. »Da ich vernommen, dass du Gäste bewirtest, und jetzt eben einige schöne Fische gefangen habe, so komme ich, sie dir zu bringen.«

Nureddin und die schöne Perserin freuten sich, als sie von Fischen reden hörten, und erstere sagte sogleich: »Scheich Ibrahim, ich bitte dich, öffne die Türe und lass ihn mit den Fischen hereinkommen.« Scheich Ibrahim öffnete und der Kalif trat grüßend in den Saal. Scheich Ibrahim rief ihm zu: »Willkommen, du Dieb, du Gauner, komm her und zeig' einmal, was du hast.« Der Kalif trat herzu und ließ seine Fische sehen, welche noch lebendig waren und sich bewegten. »Das sind sehr schöne Fische«, sagte Enis Aldjelis; »wenn sie nur gebacken wären.« - »Meine Herrin hat recht«, sprach Scheich Ibrahim; was sollen wir mit deinen Fischen, wenn sie nicht gebacken sind? Geh', richte sie selber zu und bringe sie uns dann wieder.« Der Kalif entgegnete: »Das soll sogleich geschehen sein, ich will sie selbst backen.« - »Mache nur hurtig«, rief man ihm nach.

Der Kalif entfernte sich und rief dem Großvezier. »Was gibt's Gutes, Beherrscher der Gläubigen?« fragte Djafar. Der Kalif antwortete: »Sie verlangen die Fische gebacken.« - »Gib her«, sagte Djafar, »ich will sie zurichten.« - »Bei dem Grabe meines Vaters und meiner edlen Vorfahren!« entgegnete der Kalif, »ich will sie mit eigener Hand backen.« Mit diesen Worten nahm er den Weg nach der Hütte des Gartenaufsehers, und er fand alles darin, was er zum Kochen brauchte, bis auf das Salz und den Safran. Der Kalif näherte sich dem Herde, stellte die Pfanne auf und buk die Fische. Als sie fertig waren, legte er sie auf ein Bananenblatt, nahm im Garten Limonen, ging mit diesen und den Fischen wieder zu den dreien hinauf und stellte alles vor sie hin. Sie aßen mit großer Lust, und als sie fertig waren, wuschen sie ihre Hände. Nureddin sagte dann: »Bei Gott, Fischer, du hast uns diese Nacht eine große Wohltat erwiesen.« Dann griff er in den Busen und nahm von dem Gelde, das ihm Sandjar, der Türhüter des Königs von Bassrah, vor seiner Abreise gegeben hatte, drei Dinare heraus. »Nimm«, sagte er, »und entschuldige, dass ich dir nicht mehr gebe! Hätte ich dich früher gekannt, als ich noch in besseren Umständen war, so würde ich die Bitterkeit der Armut aus deinem Herzen gerissen haben; nimm indes dies Wenige, womit mich Gott gesegnet hat.« Mit diesen Worten warf er dem Kalifen die drei Dinare hin. Dieser nahm sie, küsste und steckte sie ein. Da aber seine Absicht war, das Mädchen singen zu hören, sagte er zu Nureddin: »Herr! ich kann dir nicht genug danken für deine Freigebigkeit. So reichlich du mich aber beschenkt hast, so habe ich doch noch eine Bitte an dich, die nämlich, dass mir gestattet werde, dieses Mädchen singen zu hören.«

»Enis Aldjelis!« sagte sogleich Nureddin, indem er sich zu ihr wandte, »ich beschwöre dich bei meinem Leben, singe etwas diesem Fischer zulieb, der dich hören möchte.« Als Enis Aldjelis die Worte ihres Herrn vernahm, ergriff sie die Laute, und nachdem sie dieselbe gestimmt hatte, sang sie folgende Strophen:

»Sie ergreift die Laute, ihre Finger gleiten durch die Saiten hin, und jeder Ton reißt die Seele mit sich fort.«

»Sie singt, und ihre Stimme heilt die Tauben; und selbst die Stumme ruft ihr zu: du hast es gut gemacht.«

Nach einem wundervollen entzückenden Zwischenspiele fuhr die Sängerin fort:

»Wir werden geehrt, wenn ihr in unserem Land euch niederlasset: sein Duft wird Ambra, und strahlend wird die dunkle Nacht.

»Betretet ihr meine Wohnung, so ziemt sich's, dass ich mit Moschus, Rosenöl und Kampfer sie beräuchere.«

Als die Sklavin geendet hatte, rief der Kalif vor Liebe und Entzücken außer sich: »Bei Gott, schön, bei Gott, schön!« Nureddin fragte: »Gefällt sie dir, Fischer?« - »Ja wohl, bei Gott«, rief der Kalif aus. Nureddin fuhr alsbald fort: »Sie ist dein; ich mache dir ein Geschenk damit, ein Geschenk eines Edlen, der seine Gabe nicht zurücknimmt.« Zu gleicher Zeit stand er auf, nahm sein Kleid, das er abgelegt hatte und warf es dem Kalifen, den er immer nur für einen Fischer hielt, zu und sagte ihm, er möge sich nur mit der Sklavin auf den Weg machen; Enis Aldjelis sagte zu ihm, indem sie ihn anblickte: »Herr, willst du ohne Abschied von mir gehen? Wenn ich durchaus dich verlassen muss, so gestatte mir wenigstens, dir Lebewohl zu sagen.« Sie sang hierauf folgende Verse:

»Bist du auch fern von mir, so ist doch dein Platz in meinem Herzen, das ganz von dir erfüllt ist.«

»Ich hoffe zu dem Vater der Barmherzigkeit, dass er uns wieder vereinigen wird: dies erflehe ich als eine Gnade von Gott, der sie gewähren kann, wenn er will«,

Als sie damit zu Ende war, antwortete ihr Nureddin mit folgenden Strophen:

»Am Trennungstage hat sie mit weinenden Augen von mir Abschied genommen und mich gefragt, was ich nach ihrer Entfernung tun werde?«

»Da hab' ich geantwortet: Frage dies den, der noch am Leben bleibt!«

Der Kalif, von Mitleid gegen die beiden ergriffen, wendete sich zu Nureddin und sagte zu ihm: »Herr, fürchtest du dich vor jemanden, oder hat jemand eine Forderung an dich?« - »Bei Gott, o Fischer! erwiderte Nureddin, »mir und diesem Mädchen sind wunderbare Dinge begegnet. Es wäre wohl der Mühe wert, sie jedem zur Warnung und Belehrung mit der Nadel in die Tiefe des Auges zu stechen.« - »O Herr«, versetzte der Kalif, »erzähle mir deine Geschichte, vielleicht wird dir Gott dadurch Erleichterung verschaffen, denn Gottes Hilfe ist überall nahe.«

Nureddin fragte den Kalifen, ob er die Erzählung in ungebundener Rede oder in Versen hören wolle. Der Kalif antwortete: »Prosa ist nur einfaches Gerede, Poesie aber eine Perlenschnur.« Nureddin sprach hierauf folgende Verse:

»Mein Teurer! mich flieht der Schlaf, und mein Gram nimmt mit jedem Tage zu, weil ich von der Heimat ferne bin.«

»Ich hatte einen Vater, dessen Liebling ich war; da schied er von mir und nahm das dunkle Grab zur Wohnung.«

»Seitdem ist mir Vieles widerfahren, das mein Herz verwundet und mein Inneres zerrissen hat.«

»Er hatte das feinste Mädchen mir gekauft, dessen Wuchs den schlanksten Baumzweig beschämte.«

»Da verlor ich alles, was ich geerbt hatte: denn ich war freigebig gegen wackere Menschen.«

»Als die Not zu groß ward, führte ich die Sklavin mit widerstrebendem Herzen auf den Markt.«

»Ein Ausrufer bot sie aus, und ein nichtswürdiger Alter steigerte sie: da entbrannte mein Zorn, und ich riss das Mädchen zurück.«

»Der Schurke geriet in Wut, und sein Gesicht zeigte Lust, Gewalt zu gebrauchen.«

»Aber ich verteidigte meine Ehre durch Schläge mit beiden Händen, bis ich meinem Herzen Luft gemacht hatte.«

»Voll Besorgnis wegen der Folgen dieser Tat kam ich in mein Haus zurück und fürchtete die Bosheit des Feindes.«

G

»Da befahl der König des Landes, mich zu greifen; aber ein ehrlicher Türsteher gab mir einen Wink und hieß mich in die Ferne ziehen, weit weg, um die bösen Menschen zu ärgern.«

»So flohen wir unter dem Flügel der Nacht von der Heimat, um uns nach Bagdad zu begeben.«

»Ich habe nichts mehr, als was ich dir o Fischer gegeben: dir schenkte ich die Geliebte meines Herzens, und es ist, als schenkte ich dir mein Herz.«

Als Nureddin geendigt hatte, bezeigte der Kalif sein Verlangen, auch die näheren Umstände von dem zu erfahren, was er soeben in der Kürze gehört hatte. Nureddin willfahrte ihm, und verschwieg nichts von allem, was ihm begegnet war von Anfang bis zu Ende.

Als der Kalif von seiner Lage unterrichtet war, fragte er Nureddin: »Und wohin willst du jetzt gehen?« - Er antwortete: »Gottes Erde ist breit und weit.« - »Ich will dir«, fuhr der Kalif fort, »ein paar Zeilen an den König Muhammed, Suleimans Sohn, mitgeben; sobald er sie gelesen hat, wird er dir nichts zuleid tun und in keiner Weise dir entgegentreten.« Nureddin entgegnete: »Wo hat man je gehört, dass ein Fischer, wie du, mit einem König in Briefwechsel steht?« Der Kalif erwiderte: »Wir sind zusammen bei demselben Lehrmeister in die Schule gegangen und ich war sein Unterlehrer, das Glück hat ihn dann zum König und mich zum Fischer gemacht; aber ich habe ihm noch nie in irgend einer Angelegenheit geschrieben, ohne dass er mir willfahren wäre.« Als Nureddin dies hörte, sagte er: »Gut, so schreibe, ich will einmal sehen.« Der Kalif nahm Tinte und Feder und schrieb nach der gewöhnlichen Formel: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Harun Arraschid, Mahdis Sohn, sendet diesen Brief an Muhammed, Suleimans Sohn, der durch meine Huld zum Herrn über einen Teil meines Reichs gesetzt ist. Sobald Nureddin Ali, des Veziers Sohn, dies mein eigenhändiges Schreiben dir übergeben und du es gelesen hast, lege auf der Stelle die königliche Würde ab, und räume ihm deine Stelle ein. Ich versehe mich deines Gehorsams gegen diesen meinen Befehl. Gott befohlen.« - Der Kalif übergab Nureddin den Brief. Nureddin nahm den Brief, steckte ihn in seinen Turban und machte sich auf den Weg. Das ist's was Nureddin angeht, folgendes ereignete sich dann zwischen dem Kalifen und Scheich Ibrahim. Dieser sah den Kalifen an und sagte zu ihm: »Höre, du elendester aller Fischer, du bist hergekommen und hast uns etliche Fische gebracht, die höchstens 20 halbe Dirham wert sind, und hast dafür drei Dinare zum Geschenk bekommen. Denkst du nun auch noch, die Sklavin für dich zu behalten?«

Als der Kalif diese Worte hörte, schrie er ihn an und gab Masrur einen Wink, dieser trat alsbald heran und drang auf Scheich Ibrahim ein. Djafar hatte inzwischen einen Gartendiener zu dem Pförtner des Palastes geschickt, um einen Anzug für den Fürsten der Gläubigen zu holen. Der Diener kam und brachte den Anzug und küsste dem Kalifen die Hand. Der Kalif kleidete sich um und schenkte dem Diener seine abgelegten Kleider und setzte sich auf einen Stuhl. Scheich Ibrahim stand vor ihm und sah dem allem zu, er ward ganz verblüfft, biss sich in die Finger und dachte: Schlafe ich oder wache ich? Der Kalif warf ihm dann einen Blick zu und sagte: »Scheich Ibrahim! in welchem Zustande befindest du dich?« Jetzt erwachte Scheich Ibrahim aus seinem Rausche, warf sich nieder und rezitierte folgende Verse:

»Vergib mir den Fehltritt, den mein Fuß getan: oft fordern ja Untertanen Nachsicht von ihrem Herrn.«

»Ich habe eine Schuld auf mich geladen, der ich geständig bin; doch was vermag nicht Gnade und Großmut?«

Der Kalif verzieh ihm. Dann ließ er die Sklavin in seinen Palast bringen, wo ihr ein eigenes Gemach und die erforderliche Bedienung angewiesen ward. Er sagte ihr auch, dass er Nureddin als Sultan nach Bassrah geschickt habe und dass er mit Gottes Willen ihm ein Ehrenkleid und sie selbst wieder schenken werde.

Nureddin setzte inzwischen seine Rückkehr nach Bassrah fort und ging gerade nach dem königlichen Palaste, und schrie so laut, dass der Sultan ihn hörte und vortreten ließ. Als er in den Audienzsaal gelangte, warf er sich nieder, zog dann seinen Brief hervor und überreichte denselben. Als der König die Überschrift von der Hand des Kalifen sah, erhob er sich und küsste das Schreiben dreimal und sagte: »Ich gehorche Gott und dem Beherrscher der Gläubigen. Man rufe die vier Kadi der Hauptstadt, auch alle Fürsten und Großen des Reichs, damit ich der Regierung entsage.« Als unter anderen auch der Vezier Muin erschien, überreichte ihm der Sultan das Schreiben. Als er es gelesen hatte, zerriss er es in Fetzen, steckte diese in den Mund, kaute sie und spie sie wieder aus. Als der König dies sah, rief er ihm voll Zorn zu: »Was ist das, Muin? Wie kommst du dazu, so etwas zu tun?« - »Mein Herr und König!« antwortete Muin, »Nureddin ist niemals mit dem Beherrscher der Gläubigen, nicht einmal mit einem seiner Veziere zusammengekommen; er ist ein listiger Betrüger, ein junger Teufel. Vielleicht hat er irgend etwas vom Kalifen Geschriebenes gefunden und sich unterstanden, seine Handschrift nachzuahmen. Er hat keinen Chat Scherif, keinen Firman. Wie kannst du glauben, dass der Kalif ihn schickt, um dir die Regierung abzunehmen? Wäre dem so, er hätte ihm gewiss einen Kammerherrn oder einen seiner Veziere mitgegeben, während er ganz allein gekommen ist.«

Der Sultan fragte hierauf, was zu tun sei? Muin antwortete: »Ich will ihn mit einem Kammerherrn nach Bagdad senden: ist seine Behauptung wahr, so wird er mit einem Firman und einem Investiturdiplom vom Kalifen zurückkommen, wo nicht, so will ich die Strafe über ihn verhängen, welche sein Vergehen gegen mich verdient hat.« Der König übergab Nureddin der Willkür des Veziers, der ihn in sein Haus führte. Dort angelangt, rief er seine Diener herbei, ließ ihn knebeln und so lange schlagen, bis er für tot dalag, Dann ließ er ihn mit einer schweren Kette fesseln und schickte ihn ins Gefängnis, dann schickte er nach dem Gefängniswärter, welcher Katit hieß, und befahl demselben, Nureddin in eines seiner unterirdischen Gefängnisse zu werfen. Dabei schärfte er ihm ein, ihn bei Tag und bei Nacht zu peinigen. Der Gefängniswärter versprach zu gehorchen. Er sperrte Nureddin ein und riegelte die Türe hinter ihm zu, aber er ließ eine Bank hinter der Türe sauber abkehren, bereitete ihm ein gutes Lager von Teppichen und Polstern, nahm ihm die Fesseln ab und war äußerst liebreich gegen ihn, obschon der Vezier täglich zu ihm schickte und ihm befahl, seinem Gefangenen jeden Tag die Bastonnade geben zu lassen.

So vergingen vierzig Tage. Am einundvierzigsten kam ein Geschenk vom Kalifen, das dem Sultan wohl gefiel. Er beriet sich mit seinen Vezieren darüber und einer derselben sagte: »Es ist vielleicht ein Geschenk an den neuen Sultan.« Da sagte Muin: »Das beste wäre gewesen, ihn gleich bei seiner Ankunft zu töten.« Der Sultan erwiderte hierauf:« Bei Gott, du erinnerst mich wieder an ihn, geh' bring ihn her, ich will ihn enthaupten.« Der Vezier antwortete: »Ich gehorche, auch will ich in der Stadt ausrufen lassen, wer die Enthauptung Nureddins, des Sohnes Chakans, sehen will, der komme in das Schloss, so wird alle Welt herbei laufen und ich finde Gelegenheit, meine Rachgier zu stillen und meine Feinde zu beschämen.« Der Sultan versetzte: »Tu, was du willst!«

Voll Schadenfreude begab sich Muin alsbald zu dem obersten Polizeibeamten und befahl demselben zu tun, was er soeben dem König vorgeschlagen hatte. Die Verkündigung des Ausrufers erfüllte die ganze Stadt mit Trauer über Nureddin.

Alles strömte herbei, um die besten Plätze einzunehmen. Viele hatten sich vor dem Gefängnisse aufgestellt, um ihn zum Richtplatz zu begleiten. Endlich erschien der Vezier mit zehn Mameluken und forderte von dem Gefängniswärter die Herausgabe des gefangenen Verbrechers. »Mein Herr!« antwortete dieser, »ich habe ihn so geschlagen, dass er sich im erbärmlichsten Zustande befindet.« Als der Vezier sich hierauf dem Kerker näherte, hörte er Nureddin folgende Strophen hersagen:

»Wer hilft mir in meinem Elend? Wie meine Krankheit wächst, so schwindet die Möglichkeit meiner Heilung.«

»Die Trennung von ihr hat mein Herz gebrochen, und die Zeit meine Freunde in Feinde verwandelt.«

»O mein Volk, ist keiner unter dir, der sich meines Zustandes erbarmt und meinen Klagen antwortet?«

»Der Tod ist mir willkommen mit allen seinen Schrecken; denn meine Hoffnung ist von des Lebens Glück abgeschnitten.«

»O Herr, ich beschwöre dich bei dem Auserkorenen, dem Verkündiger, dem Führer zum Heil, dem Inbegriff aller Wissenschaften und dem Ausbund der Beredten!«

»Erlöse mich, hebe mich empor aus meiner Erniedrigung und wende von mir alle Pein und Qual!«

Inzwischen zog ihm der Gefängniswärter seine reinlichen Kleider aus und legte ihm schmutzige an und führte ihn vor den Vezier.

Als Nureddin sich seinem Feinde gegenüber sah, der nach seinem Tode trachtete, weinte er und sagte zu ihm: »Bist du sicher gegen das Schicksal? Hast du nicht gehört, was ein Dichter sagt:

»Sie richteten ungerecht; aber nicht lange dauerte ihr Richteramt, bald war es, als hätten sie nie die Gewalt in Händen gehabt.«

Dann fuhr er fort: »Bedenke, dass der erhabene Gott tun kann, was ihm gefällt.«

Muin erwiderte: »Willst du mir vielleicht mit deiner Rede Furcht einjagen? Mag geschehen, was da will, wenn ich dir nur ganz Bassrah zum Trotze den Kopf habe abhauen lassen. Ein anderer Dichter hat gesagt:

»Wer seinen Feind auch nur einen Tag überlebt, hat seinen höchsten Wunsch erreicht.«

Hierauf befahl er seinen Dienern, ihn auf dem Rücken eines Maultiers vor ihm herzuführen. Die Diener, denen dies wehe tat, sagten zu Nureddin: »Erlaube uns, ihn mit Steinen tot zu werfen und in Stücke zu zerhauen, wenn es auch unser Leben kostet.« Nureddin sagte aber: »Tut dies nicht, ein Dichter hat gesagt:

»Mir ist eine Zeit bestimmt, die ich gewiss erreiche, und diese Bestimmung ist längst beschlossen und gesiegelt.«

»Ist diese Zeit vorüber, so muss ich sterben.«

»Wollten mich auch Löwen in ihren Wald schleppen, so könnten sie die mir bestimmte Lebensdauer nicht abkürzen.«

Man rief dann vor Nureddin aus: »Das ist die Strafe und zwar die geringste Strafe für jeden, der es wagt, dem König gegenüber Briefe zu fälschen.« Ganz Bassrah folgte ihm, bis er endlich unter den Fenstern des Palastes auf die Blutmatte hingeworfen wurde. - Der Scharfrichter näherte sich ihm und sprach: »Herr!« ich bin nur ein Sklave und kann mich der Ausübung meiner Pflicht nicht entziehen; wenn du noch etwas begehrest, so will ich dir es besorgen, denn du hast nicht mehr Zeit übrig, als der König braucht, um aufzustehen und sein Gesicht am offenen Fenster zu zeigen.«

Da sprach Nureddin, indem er das Haupt zur Rechten und zur Linken, nach vorne und hinten drehte:

»Schon seh ich den Henker, das Schwert und die Matte bereit und rufe Wehe über meine Schmach, über die Größe meines Elends!«

»Ist einer unter euch, der Mitleid mit mir fühlt, o so zeige er mir's und antworte auf meinen Jammerruf!«

»Mein Leben schwindet dahin, mein Schicksal naht heran.«

»Erbarmt sich jemand meiner, um Gottes Lohn zu verdienen, will jemand meinen Zustand betrachten und meine Qual mit einem Trunke Wassers erleichtern?«

Alle Leute weinten und der Scharfrichter brachte sogleich ein Gefäß mit Wasser und reichte es Nureddin. Allein Muin erhob sich von seinem Platze, zerschlug das Gefäß und rief dem Scharfrichter zu: »Hau' zu!«

Nureddin wurden jetzt die Augen verbunden. Während dies geschah, ertönte der ganze Platz von lauten Verwünschungen gegen den Vezier. Es entstand ein großes Geschrei und es wurde viel hin und her gefragt. Auf einmal erhob sich in der Entfernung eine große Staubwolke, und als der König von seinem Palast aus dieselbe erblickte, befahl er, mit der Hinrichtung zu warten und nachzusehen, was dies bedeute. - Muin, der wohl ahnte, was es sein könnte, drang in den König, dem Scharfrichter das Zeichen zu geben. »Nein,« erwiderte der König, »zuvor will ich wissen, was es neues gibt.« Unterdessen hatte sich die Staubwolke genähert. Es war der Großvezier Djafar mit seinem Gefolge.

Die Ursache seiner Ankunft war folgendes: der Kalif hatte nämlich dreißig Tage lang nicht mehr an Nureddin gedacht und niemand hatte ihn an denselben erinnert, bis er endlich eines Abends vor das Gemach der Enis Aldjelis kam; da vernahm er folgende Verse:

»Bist du nah oder fern, so schwebt dein Bild vor meiner Seele, und dein Andenken wird nie von meiner Zunge weichen.«

Die Sängerin weinte nach Beendigung ihres Gesanges so heftig, dass Harun Arraschid sich nicht enthalten konnte, die Türe zu öffnen und hineinzutreten. Als sie ihn erblickte, warf sie sich vor ihm zur Erde, küsste sie dreimal und sprach:

»O du, von reinem Stamm und edler Geburt, blühender Sprössling des erhabensten Hauses, ich erinnere dich an das huldreiche Versprechen deines Edelmuts, ferne sei von dir, es zu vergessen!«

Der Kalif fragte sie, wer sie sei. Sie antwortete: »Ich bin die Sklavin, welche dir Nureddin Ali, Vadhleddins Sohn, zum Geschenke gemacht hat und wünsche, dass du das mir gegebene Versprechen haltest, mich mit den Ehrengeschenken Nureddin nachzusenden: denn seit dreißig Tagen hat der Schlaf meine Augen geflohen.« Der Kalif ließ unverzüglich seinen Vezier zu sich rufen. - Als Djafar kam, sprach der Kalif zu ihm: »Dreißig Tage sind vorüber, ohne dass ich etwas von Nureddin gehört habe. Ich fürchte sehr, er ist hingerichtet worden; aber bei meinem Haupte und bei dem Grabe meiner Väter, wenn ihm ein Leid widerfahren, so vernichte ich den Schuldigen und sollte er mir noch so teuer sein! Reise daher sogleich nach Bassrah, wenn du länger verweilst, als man braucht, um den Weg zu machen, so lass ich dir den Kopf abschlagen. Du erzählst meinem Vetter, dem König, wie ich mit Nureddins Geschichte bekannt geworden, dass ich ihn mit einem Brief an ihn abgesandt habe. Findest du, dass er meinen Befehlen zuwider gehandelt hat, so führe ihn her zu mir, samt dem Vezier, wie du sie findest und bleibe ja nicht länger aus, als zur Reise nötig ist.« Djafar machte sich sogleich reisefertig und legte den Weg nach Bassrah ohne Aufenthalt zurück. Der König war schon von seiner Reise im voraus unterrichtet. Als Djafar bei seiner Ankunft die hin- und herwogende, aufgeregte Volksmenge sah, fragte er, was es denn gebe. Man erzählte ihm, was mit Nureddin geschehen sollte. Da beeilte er sich, zum König zu gelangen. Er grüßte ihn und eröffnete ihm die Ursache seiner Ankunft und die Befehle des Kalifen. Der Sultan ließ alsbald Muin festnehmen und Nureddin losbinden. Dieser bat Djafar, ihn vor den Fürsten der Gläubigen zu führen. Hierauf bedeutete Djafar dem König, er möchte sich bis am folgenden Morgen nach dem Morgengebete bereit halten, die Reise nach Bagdad anzutreten. Nach dem Morgengebet brach Djafar auf und führte den jetzt reuigen Muin, den König von Bassrah und Nureddin mit sich.

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In Bagdad angekommen, stellte er sie dem Kalifen vor und nachdem er den Zustand, in welchem er Nureddin gefunden, ausführlich geschildert hatte, ging der Kalif auf Nureddin zu und sagte zu ihm: »Nimm dieses Schwert und schlage damit deinem Feinde den Kopf ab!« Nureddin nahm das Schwert und trat auf Muin zu. Muin aber sah ihn mit einem durchdringenden Blick an und sagte: »Wie ich an dir gehandelt habe, lag in meiner Natur; handle du jetzt nach der deinigen!« Auf diese Worte warf Nureddin das Schwert weg, wendete sich gegen den Kalifen und sagte: »Beherrscher der Gläubigen! er hat mich mit diesen Worten überlistet.« Er rezitierte dann folgenden Vers:

»Gebrauche List gegen ihn, wenn er naht, der Edle ist leicht durch ein gutes Wort zu hintergehen.«

Der Kalif sagte zu Nureddin: »Lasse du es sein.« Er rief aber Masrur herbei und befahl ihm, das Urteil an Muin augenblicklich zu vollstrecken. Der Kalif forderte dann Nureddin auf, seine Wünsche zu äußern. Er versetzte: »Ich sehne mich nach dem Fürstentum Bassrah, ich wünsche in deiner nähern Umgebung zu bleiben und deiner Person meine Dienste zu widmen.« Der Kalif willigte gern in dieses Begehren und nahm ihn in die Zahl seiner vertrautesten Gesellschafter auf. Dann ließ er die schöne Perserin holen, und wies dem reichlich beschenkten Paar einen prächtigen Palast in Bagdad zur Wohnung an. Nureddin führte das angenehmste Leben in der Nähe des Kalifen, bis ihn der Tod erreichte, der jeder Freude und jeder Vereinigung ein Ende macht.

Das ist die Geschichte Nureddins, schloss Schehersad, sie ist aber nicht wunderbarer, als die von dem Prinzen Kamr essaman, wie er Bedur, die Tochter des Königs Ghaiur, liebte und zu ihr reiste und sie heiratete, und welche Abenteuer sie und ihre Söhne Asad und Amadjad zu bestehen hatten.

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In der folgenden Nacht begann Schehersad also zu erzählen:

Die Geschichte des Prinzen Kamr essaman mit Bedur

Einst herrschte im grauen Altertum vor vielen Jahrhunderten ein König, Namens Schah Seman, welcher Herr vieler Städte und Länder und großer tapferer Heere war. Er hatte vier Gemahlinnen, sämtlich Königstöchter, und sechzig Beischläferinnen, und residierte auf einer nicht weit von Persien liegenden Insel, welche Chalidan hieß.

Schah Seman war kinderlos. Er ließ daher eines Tages seinen Vezier vor sich kommen und klagte ihm sein Unglück, keine Kinder zu haben. »Großmächtigster König!« antwortete der Vezier, »in dergleichen Anliegen kann man allein zu dem erhabenen Gott (gepriesen sei er!) seine Zuflucht nehmen; darum rate ich dir, eine große Mahlzeit bereiten zu lassen, Fakire und Arme dazu einzuladen, dass sie nach Lust essen, und dann zu Gott beten, dass er dir ein Kind schenke. Vielleicht findet sich unter ihnen eine reine Seele, deren Gebet vor Gott angenehm ist, so dass dein Wunsch erfüllt wird, und du einen Sohn bekommst, welcher dir in der Regierung folgt, dein Geschlecht fortpflanzt und dein Gedächtnis nach deinem Tode erhält.«

Schah Seman befolgte diesen Rat des Veziers, der ihm vortrefflich dünkte. Er ließ sogleich reiche Almosen austeilen, lud Fakire zu einer gemeinschaftlichen Mahlzeit ein und eröffnete ihnen seine Absicht, dass sie für die Erhörung seines Wunsches zu Gott beten möchten.

Wirklich erlangte Schah Seman durch die Gnade des Himmels, was er begehrte: eine seiner Frauen fühlte sich nach einiger Zeit gesegneten Leibes. Der König war außer sich vor Freude und gab aufs neue viele Almosen und erwies sich wohltätig gegen Witwen und Waisen, bis endlich ihre Tage und ihre Nächte um waren und sie mit Gottes Hilfe einen Sohn gebar, ein Geschöpf dessen, dem alles sein Dasein verdankt. Man veranstaltete Freudenfeste, Trommeln und Jubelgeschrei ertönten und die Stadt wurde sieben Tage lang geschmückt. Man färbte dann die Augenlider des Knaben mit Kohel, kleidete ihn in Gold und Seide und brachte ihn seinem Vater, der ihn zwischen die Augen küsste und so schön fand, dass er ihm den Namen Kamr essaman (Mond der Zeit) gab. Dann bestellte man ihm Ammen und Diener, und das Kind wuchs kräftig heran, bis es 18 Monate alt war. Jetzt wurde der Knabe entwöhnt, und nachdem er das vierte Jahr zurückgelegt hatte, war er das vollkommenste Bild von Schönheit und Anmut, seine Worte bezauberten jedes Herz und jedermann sah mit Wohlgefallen nach ihm, wie nach einem blühenden Garten, so dass ein Dichter folgende Verse auf ihn dichtete:

»Wo er erscheint, spricht man: Gepriesen sei Gott, der ihn geschaffen und gebildet!«

»Er ist der Fürst unter den Schönsten der Schönen, und alle müssen bekennen: Wir sind deine Untertanen.«

Der Prinz Kamr essaman wurde immer größer und kräftiger. Als er das siebente Jahr erreicht hatte, schickte ihn sein Vater in die Schule und es dauerte nicht lange, so hatte derselbe den ganzen Koran gelernt und war in der arabischen Sprachwissenschaft, in Theologie und anderen Wissenschaften so bewandert, dass er eine Ausnahme unter den Ausnahmen machte.

Als der Prinz vierzehn Jahre zählte, hatte sich seine Schönheit im höchsten Grad entwickelt; ein frischer Flaum verbreitete sich über seine roten Wangen, deren Glanz durch ein braunes Fleckchen wie ein Ambrakügelchen gehoben wurde, so dass folgende Verse auch von ihm galten:

»Schlank ist sein Wuchs; seine Haare sind so schwarz und seine Stirn so glänzend weiß, dass die Welt dadurch zugleich in Dunkelheit gehüllt wird und in hellem Lichte strahlt.«

»Missbilliget aber nicht das Mal auf seiner Wange: hat doch auch die Anemone schwarze Pünktchen.«

Der Sultan, der ihn so zärtlich liebte, dass er es keine Stunde ohne ihn aushalten konnte, sagte eines Tages zu seinem Vezier: »Wackerer Vezier! ich fürchte, es könnte meinen Sohn ein Missgeschick treffen, darum möchte ich, um vor meinem Tode mich noch an ihm zu erfreuen, mich von der Regierung zurückziehen und ihm meinen Thron einräumen.« Der Vezier erwiderte: »Tapferer Fürst und mächtiger Löwe! meine Ansicht ist, dass du ihn zuvor vermählest, ehe du ihn auf den Thron erhebest, denn die Ehe hält den Mann in Schranken.«

Die Ansicht des Veziers gefiel Schah Seman, und er beschloss, sich mit seinem Sohne darüber zu besprechen, und ließ ihn alsbald zu sich rufen. Kamr essaman erschien, grüßte seinen Vater, küsste ihm die Hand und neigte bescheiden, wie ein wohlgebildeter Jüngling, den Kopf zur Erde. Der König sagte zu ihm: »Weißt du, mein Sohn, warum ich dich habe rufen lassen?« - »Herr!« antwortete der Prinz, »Gott allein kennt das Verborgene; ich weiß nicht, was du mir zu sagen hast.« - »Es geschieht«, fuhr der Sultan fort, »um dir zu sagen, dass es mein Wunsch ist, dich vermählt zu sehen und mich daran zu freuen. Was hältst du davon?«

Als Kamr essaman die Worte seines Vaters hörte, stieg ihm die Röte der Scham ins Gesicht; er schlug voll Verwirrung die Augen nieder, und Schweißtropfen standen auf seiner Stirne. Endlich antwortete er: »Mein Vater! ich habe keine Lust, mich zu vermählen und mein Herz fühlt keine Neigung zu den Frauen, wie sollte es auch, da doch ein Dichter gesagt hat:

»Fragt ihr mich über die Weiber, so weiß ich euch Bescheid zu geben; ich kenne ihre Fehler:«

»Wenn des Mannes Haupt weiß wird, oder sein Reichtum abnimmt, so hat ihre Liebe keinen Bestand.«

»Ich kann deinen Wunsch unmöglich erfüllen, sollte mir auch aus meiner Weigerung Tod und Verderben erwachsen.«

Der König war über den Widerwillen des Prinzen sehr betrübt. Seine Liebe zu ihm war aber so groß, dass er ihm nichts weiter sagte, sondern ein ganzes Jahr ruhig abwartete. Nach Verfluss eines Jahres ließ er ihn wieder zu sich rufen und sagte zu ihm: »Nun, mein Sohn, wirst du mir noch nicht gehorchen und mir gestatten, dir eine Gattin zu geben, damit ich vor meinem Tode mich an dir freue?«

Der Prinz ließ den Kopf ein wenig sinken, dachte eine Weile nach, erhob ihn dann wieder und antwortete: »Mein Vater! mein Entschluss, unverheiratet zu bleiben, steht fest, so lange ich lebe. Denn ich habe in Geschichtsbüchern und anderen Werken gelesen, wie viel Jammer und Unglück die Arglist der Weiber zu aller Zeit in der Welt verursacht hat. Wenn du es verlangst, so will ich dich mit ihrem Tun und Treiben bekannt machen: sie sind voll List und Trug und treulos in Wort und Tat. Ein Dichter hat sie mit den Worten bezeichnet:

»Ihre Fingerspitzen sind gefärbt, ihre Haare geflochten, ihr Turban hängt auf die Seite und viel Kummer geben sie zu schlucken.«

»Kannst du den Blitz in einem Netze fangen oder Wasser in einem Siebe schöpfen?«

Damit verließ Kamr essaman seinen Vater und ging seines Weges. Der König Schah Seman ließ seinen Vezier rufen und setzte ihn in Kenntnis von allem, was zwischen ihm und seinem Sohne sich zugetragen hatte. Dann sagte er zu ihm: »Da du mir doch den Rat erteilt hast, ihn zu vermählen, sage mir, was ich jetzt, da er sich so ungehorsam zeigt, mit ihm anfangen soll!« - »Mein König!« antwortete der Vezier, »gib dem Prinzen noch ein Jahr Frist. Nach Verfluss des Jahres lässt du ihn wieder vor dem ganzen Divan zu dir rufen und sprichst wieder von seiner Vermählung. Er wird sich gewiss schämen und es nicht wagen, dir zu widersprechen.« Der König nahm diesen Rat an und wartete wieder ein Jahr. Dann versammelte er den Divan und ließ seinen Sohn rufen. Als er erschien, küsste er die Erde vor seinem Vater und blieb stehen. Sein Vater sagte zu ihm: »Mein Sohn! ich habe dich zu dieser Stunde vor dieser großen Versammlung hierher rufen lassen, um wegen deiner Vermählung mit dir zu sprechen, denn ich möchte, dass du heiratest und ich vor meinem Tode noch an deiner Familie meine Freude habe. Vielleicht schenkt dir Gott einen Knaben, wodurch unser Andenken erhalten und unser Reich bei unserem Geschlechte bleibt. Ich habe schon zweimal deshalb mit dir gesprochen und du hast das Gespräch abgebrochen, deshalb habe ich dich jetzt hierher beschieden und ich verlange von dir eine Antwort.«

Als Kamr essaman dies hörte, geriet er vor Ärger ganz außer sich, er neigte den Kopf eine Weile zur Erde, dann antwortete er, indem er schnell den Kopf in die Höhe warf, mit jugendlicher Tollkühnheit: »Ich habe schon tausendmal erklärt, dass ich nicht heiraten wolle. Du bist eben jetzt bejahrt und altersschwach, dein Verstand hat abgenommen, darum schwatzest du Unsinn und bist kaum mehr imstande, eine Herde Schafe zu hüten.« Der Sultan fühlte sich tief verletzt durch diese Worte vor den Anwesenden. Mit königlichem Stolze schrie er jetzt seinen Sohn an, dass er vor Schrecken bebte. Hierauf ließ er ihn durch seine Waffenträger und Mameluken festnehmen und befahl ihnen, ihn in Ketten zu legen. Als sie ihn gebunden vor seinen Vater brachten, ließ er sein Haupt sinken, und seine Stirne war mit Schweiß bedeckt. Der König schmähte ihn und sagte: »Wehe dir! kann deinesgleichen mir eine solche Antwort geben? doch hat dich bis jetzt noch niemand gezüchtigt.« Er befahl dann den Mameluken, ihm die Bande abzunehmen und ihn einzusperren. Sie führten ihn in ein altes Gemach eines uralten Turms, in dessen Mitte eine römische Zisterne war. Alsbald kamen die Kammerdiener herbei, reinigten das Zimmer, brachten ein Ruhebett, eine Matratze, ein Kissen und eine Laterne und ließen dann den Prinzen allein, nur ein Diener blieb vor der Türe stehen. - Kamr essaman stand auf, wusch sich, verrichtete sein Abendgebet, und nachdem er noch einige Kapitel des Koran gelesen hatte, legte er sich nieder. Die Laterne stand zu seinen Füßen und eine Wachskerze brannte über seinem Haupte. Er schlief bis ein Dritteil der Nacht vorüber war, ohne zu ahnen, was das geheime Geschick ihm bereitete.

Sowohl das Gemach als der Turm waren nämlich seit Jahren nicht bewohnt und die römische Zisterne diente einer Fee zum Aufenthalte, einer von den Nachkömmlingen des verfluchten Iblis. Sie hieß Maimuna und war die Tochter Damerjads, eines Königs der Genien. Es war um Mitternacht, als Maimuna sich nach ihrer Gewohnheit aus dem Brunnen emporschwang. Sie war sehr verwundert, in dem Turm, in welchem sich seit vielen Jahren niemand aufgehalten hatte, Licht zu erblicken, und da das Licht von dem Gemache herkam, schwebte sie hinein. Sie fand zu ihrem Erstaunen einen schlafenden Diener, und ein Ruhebett, auf welchem ein junger Mann schlief. Da senkte sie ihre Flügel, näherte sich ihm und hob die Decke ein wenig auf und erblickte einen Jüngling, dessen Antlitz heller strahlte, als die Flamme des Lichts neben seinem Bette. Sie war ganz betroffen über diese Fülle von Schönheit, Anmut und reizender Körperbildung und sprach zu sich selber, nachdem sie im stillen den Schöpfer gepriesen: Bei Gott, ich will ihm nichts zuleide tun! Ein solches Gesicht verdient vor jedem Unheil bewahrt zu werden. Allein ich begreife nicht, welchen Anlass er gegeben haben kann, dass er von seinen Leuten nach diesem verlassenen Orte gebracht worden ist. Nachdem sie sich dann zu ihm niedergebeugt und ihn auf die Wangen, auf den Mund und zwischen die Augen geküsst hatte, legte sie die Decke wieder, wie sie zuvor gewesen war, und schwang sich gen Himmel empor. Als sie eine Weile so geflogen war, vernahm sie einen Flügelschlag, was sie bestimmte, ihren Flug in derselben Richtung zu nehmen. Bald gelang es ihr, dem Geräusche nahe zu kommen, und sie erkannte, dass es von einem ungläubigen Geiste herrührte, welcher Dahnesch hieß und ein Sohn des Schamhurasch war. Als Dahnesch die gegen ihn herfahrende Maimuna erkannte, zitterte er vor Angst und Schrecken und sagte mit bittendem Tone zu ihr: »Ich beschwöre dich bei dem hohen, verehrten, unaussprechlichen Namen, sei gnädig gegen mich und tu' mir nichts zuleid; ich war ja nie dein Feind und bin dir nicht ebenbürtig.« »Verfluchter Geist!« erwiderte Maimuna, »du hast mich bei dem Heiligsten beschworen, doch sage mir zunächst, woher du kommst, und was du diese Nacht gesehen und getan hast?«

Dahnesch antwortete: »Ich will dir etwas Wunderbares erzählen, was ich diese Nacht gesehen habe. Wisse, Herrin! ich komme diese Nacht von dem äußersten China, von den innersten Inseln. Aber, du versprichst mir doch, mir zu verzeihen und mich in Freiheit zu lassen, wenn ich deine Neugier befriedigt habe?« - »Fahre fort, fahre fort, Verruchter!« erwiderte Maimuna, »und fürchte nichts. Hüte dich nur, mir etwas zu sagen, was nicht wahr ist: sonst reiße ich dir die Federn aus deinen Flügeln und schinde dir die Haut vom Leibe.« - Dahnesch erwiderte: »Gut, meine Herrin, so wisse denn, dass ich von den innersten Inseln komme, über welche Ghajur, der Herr des Meeres und der Inseln herrscht. Er hat eine einzige Tochter, von solcher Schönheit, wie man noch keine auf Erden gesehen hat. O ich kann mit meinen Lippen und meiner Zunge nicht einmal einen Teil ihrer Reize schildern. Doch will ich versuchen, sie zu beschreiben. Sie hat Haare so lang wie ein Roßschweif und in solcher Fülle, dass, wenn sie frei herunterwallen, sie ineinander verschlungenen Trauben gleichen. Unter diesen Haaren wölbt sich eine Stirn, glatt wie ein hellgeschliffener Spiegel und leuchtend wie die Strahlen der Sonne. Augen hat sie wie Narzissen, doch kann sie der wackerste Jäger nicht fesseln, das Weiße davon gleicht der Luft in der Morgendämmerung und das Schwarze der finstern Nacht; die Nase, fein und scharf wie eine geschliffene Schwertklinge, ist weder zu lang, noch zu kurz. An diese schließen zwei Purpurwangen, deren Färbung von der Röte der Kirsche in die Weiße des Marmors verschwimmt. Ihr Mund ist klein und rot wie die aufbrechende Knospe der Granatblüte; ihre Zähne gleichen einer Perlenschnur; wenn sie die Zunge zum Sprechen bewegt, so ertönt eine süße und anmutige Stimme, und was sie sagt, bekundet die Schärfe ihres Verstandes und die Lebhaftigkeit ihres Geistes. Ihre Lippen sind wie Korallen von Honig angefeuchtet. Ihr Kopf wiegt sich auf einem Nacken, der einer silbernen Waschkanne über einem marmornen Halse gleicht. Sie hat eine starke Brust, die zum Genusse reizt. An diese schließen sich ein Paar Oberarme, so rein und rund wie Perlen und Margarite. Die Vorderarme sind wie Silber mit Gold gepaart. Ihre Brüste gleichen Granatäpfeln, ihre Taille ist so zart, dass man glaubt, sie wollte fliegen und die runden glatten Schenkel und Beine werden von zierlichen Füßchen getragen, die Gott, so klein sie sind, doch stark genug gemacht hat, um alles, was darüber ist, in schwebender Bewegung zu halten. Der Vater dieser Prinzessin ist ein rauher Krieger und gewalttätig, unerschrockener Herrscher, er besitzt große Heere und regiert über viele Länder, Städte und Inseln. Dieser König liebt seine Tochter so sehr, dass er ihr sieben Paläste hat bauen lassen. Der erste Palast ist von Bergkristall, der zweite von Erz, der dritte von feinem Stahl, der vierte von Blei, der fünfte von schwarzem Stein, der sechste von Silber und der siebente von gediegenem Gold. Alle sind mit unerhörter Pracht ausgeschmückt, mit den kostbarsten seidenen Teppichen und mit Gerätschaften und Gefäßen von Gold und Silber versehen. Man sprach bald in allen Ländern von der Schönheit und Anmut dieser Prinzessin und Könige schickten Gesandte und ließen um sie werben. Wenn aber ihr Vater sich deshalb mit ihr besprach, sagte sie: ich habe keine Lust mich zu vermählen, ich bin Herrin und will mich nicht unter die Herrschaft eines anderen beugen. Der König ließ sie geraume Zeit in Ruhe, bis einst ein gewisser Fürst um sie werben ließ und große Reichtümer als Morgengabe sandte. Da wiederholte der König seinen Wunsch, sie zu vermählen. Sie zeigte sich aber ungehorsam, schrie ihren Vater an und nannte ihn einen Schwachkopf. Schließlich sagte sie zu ihm: wenn du mit mir noch einmal von meiner Vermählung sprichst, so mache ich meinem Leben ein Ende und du hast eine Tochter meinesgleichen verloren. Der König geriet in Zorn darüber und sagte: wenn dies dein fester Entschluss ist, so musst du auch ein einsames, zurückgezogenes Leben führen. Er ließ sie daher in ein einzelnes Gemach in einem seiner Paläste einsperren, woselbst er ihr nur zehn alte Weiber zur Gesellschaft gab, und gestattete ihr nicht mehr, nach ihren Palästen zu gehen, und zeigte ihr, dass er sehr aufgebracht gegen sie sei. Zugleich ließ er durch seine Gesandten den fürstlichen Bewerbern sagen, seine Tochter sei geisteskrank geworden, er werde alles anwenden, um sie zu heilen und sie dann dem zur Frau geben, den das Glück begünstigt. »Nun, Maimuna«, fuhr Dahnesch fort, »verfehle ich nicht, jede Nacht mich bei ihr einzufinden, ihre Schönheit und Anmut zu bewundern und sie zwischen die Augen zu küssen; denn ich liebe sie so sehr, dass ich ihr nicht das geringste Leid zufügen kann. Ich beschwöre dich, meine Herrin, komm und sieh wie schön sie ist, um dich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass ich wahr gesprochen.« Maimuna brach in ein lautes Gelächter aus, spuckte gegen Dahnesch aus und sagte zu ihm. »Wehe deinem Gesichte! Ich erwartete Wunder, was du mir erzählen würdest, und du unterhältst mich von einer Nichtswürdigen! Pfui, schäme dich! Was würdest du, Verruchter, erst sagen, wenn du meinen Geliebten gesehen hättest, bei welchem ich diese Nacht war? Fürwahr, du würdest närrisch darüber werden und zerplatzen.« - »Herrin«, erwiderte Dahnesch, »wer ist der Geliebte, von dem du sprichst?« - »Wisse«, antwortete ihm Maimuna, »dass es ihm ebenso ergangen ist, wie der Prinzessin, von welcher du mich hier unterhalten hast. Der König, sein Vater, wollte ihn mit aller Gewalt vermählen; er weigerte sich, und sein Vater ließ ihn in einen alten Turm sperren, der mir zum Aufenthalt dient und wo ich ihn diese Nacht erblickt habe.« - Dahnesch versetzte: »Meine Herrin, du wirst mir doch gestatten, deinen Prinzen zu sehen, um ihn mit meiner Geliebten zu vergleichen, damit ich erkenne, wer am schönsten ist, denn ich behaupte, dass meine Geliebte an Schönheit ihresgleichen in der Welt nicht findet.« - »Du lügst, Verruchter!« entgegnete Maimuna. »Ich will nicht den Eigensinnigen gegen dich spielen. Komm mit mir«, versetzte Dahnesch, »um meine Prinzessin zu sehen, und dann zeigst du mir deinen Prinzen.« Maimuna entschloß sich, dieser Aufforderung zu folgen, aber nur unter der Bedingung, dass Dahnesch eine Wette einging: wenn ihr Prinz schöner wäre, sollte Dahnesch verloren, würde aber die Prinzessin schöner gefunden, so sollte er gewonnen haben. Nachdem Dahnesch seine Zustimmung hierzu gegeben, sagte Maimuna: »So folge mir denn!« Dahnesch erwiderte aber: »Komm du zuerst mit mir, da wir doch der Prinzessin näher sind.« Sie begaben sich hierauf zusammen in das Gemach der Prinzessin und Maimuna fand sie so schön, dass sie zu Dahnesch sagte: »Ich beschwöre dich bei der Inschrift, die auf dem Siegelringe Salomos, des Sohnes Davids eingegraben ist, nimm sogleich die Prinzessin und lege sie neben den Prinzen.« Sie flogen dann beide wieder fort und trugen die Prinzessin mit sich und legten sie an die Seite Kamr essamans auf das Ruhebett, dann deckten sie ihr Gesicht auf und sie glichen zwei leuchtenden Vollmonden, wie der Dichter sagt:

»Mit meinen Augen sah ich zwei Schlafende auf der Erde, wohl wünschte ich, ich könnte ihnen meine Augenlider zum Bett anweisen.«

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»Sie sind wie zwei Halbmonde am Himmel, wie zwei Sonnen in der Mittagsstunde, wie zwei herrliche Gazellen, wie zwei blühende Zweige, in welche sich die Schönheit geteilt hat.«

Als der Prinz und die Prinzessin also neben einander lagen, erhob sich zwischen dem Geist und der Fee ein Zwist über den Vorzug ihrer Schönheit. Dahnesch sagte zu Maimuna: »Nun siehst du, dass meine Prinzessin schöner ist als dein Prinz.« Maimuna erwiderte: »Du musst blind sein, wenn du nicht siehst, dass mein Prinz deine Prinzessin weit übertrifft, betrachte seine Schönheit, seine Anmut, seinen Wuchs und das Ebenmaß seiner Glieder, doch höre, wie ich ihn näher beschreibe.« Dann neigte sie sich über Kamr essaman hin, küsste ihn zwischen die Augen und sprach folgende Verse:

»Was liegt daran, wenn mir auch deinetwegen die Freunde zürnen? Wo fände Trost, wer deine biegsame Gestalt gesehen?«

»Das schwerste Missgeschick kann mich nicht verderben, wenn der Wein deiner Lippen mich erquickt.«

»Dein Auge verschönert sich, so oft man es ansieht; die treueste Geliebte kann sich nicht mehr von ihm abwenden.«

»O du, der du meiner Sehnsucht dich entwindest, darf man so dem Versprechen der Liebe zuwiderhandeln?«

»Die schwerste Liebespein bürdest du mir auf, während ich zu schwach und unmächtig bin, mein Gewand zu tragen.«

»Du lässest mich so lange weinen, bis man fragt: Fließen ihr nicht blutige Tränen aus der Nase?«

»Wäre mein Herz so hart wie das deine, so wäre mein Körper nicht so geschwunden, dass er jetzt deiner Taille gleicht.«

»Weh' über den Anblick eines Mondes, dessen Schönheit und Anmut von allen Menschen gepriesen wird.«

»Weh' über dein hartes Herz! Lernte es doch Biegsamkeit von deinem Wuchse, so würd' es sich zärtlich mir zuneigen.«

»O mein Gebieter! Du hast über deine Schönheit einen Aufseher, der mir Unrecht tut, und einen Wächter, der grausam gegen mich ist.«

»Wer da sagte, die Schönheit sei in Joseph vereint, der hat nicht wahr gesprochen: wie manchen Joseph enthält deine Schönheit.«

»Schwarz ist das Haar, leuchtend die Stirne, das Auge ist das einer Huri, und schlank ist der Wuchs.«

Als Maimuna schwieg, schüttelte Dahnesch lachend den Kopf und sagte: »Bei Gott, Herrin, deine Beschreibung ist schön! Darauf verstehe ich mich nicht so gut wie du. Doch will ich versuchen, was in meinen Kräften steht.« Damit stellte er sich vor das Mädchen und sprach:

»Sie tadeln mich, weil ich die Schönheit liebe; aber wie ungerecht ist ihr Urteil!«

»Ihr Wuchs ist schlank wie der Zweig des Baumes Irak und biegsam wie der des Ban.«

»Erfreue deinen Geliebten durch deine Nähe: denn hältst du ihn noch lange fern von dir, so wird er vor Sehnsucht vergehen.«

Maimuna erteilte den Versen Dahneschs das gebührende Lob, wollte aber nun wissen, welcher von den beiden Personen der Preis der Schönheit zukommen solle. Dahnesch behauptete, die Prinzessin sei schöner, während Maimuna dem Prinzen den Vorzug gab. Nach langem Streit sagte Dahnesch: »Ich glaube, o Herrin, dass es dir schwer fällt, die Wahrheit einzugestehen, darum wollen wir einen Dritten entscheiden lassen und seinen Spruch anerkennen.« Maimuna willigte ein und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Sogleich tat sich die Erde auf, und daraus hervor stieg ein scheußlicher Geist, er war bucklig und halbblind. Seine Augen waren der Länge nach gespalten; er hatte sechs Hörner am Kopfe, und vier Haarbüschel hingen ihm bis zu den Füßen hinunter. Seine Hände waren wie die eines Kutrub und seine Füße wie die eines Wehrwolfs, mit Nägeln, gleich den Klauen des Löwen. Sobald er herauf war und Maimuna erblickte, so warf er sich ihr zu Füßen, küsste den Boden, legte die Hände hinter den Rücken und fragte, was seine Gebieterin zu befehlen habe. »Kaschkasch« (so hieß der Geist), sagte sie zu ihm, »ich rief dich, um einen Streit zu entscheiden, den ich mit diesem verfluchten Dahnesch habe. Wirf deinen Blick auf das Bett und sage uns, wer dir schöner dünkt, der Jüngling oder die Jungfrau?« Kaschkasch betrachtete den Prinzen und die Prinzessin, wie sie, in Schlaf versunken, neben einander lagen, unbewußt sich umarmend und an Schönheit und Liebreiz gleich, wie der Dichter sagt:

»Halte fest an dem Gegenstand deiner Liebe und laß dich durch das Gerede des Neides nicht irren: die Tadler führen zu nichts in der Liebe.«

»Gott hat nichts Schöneres geschaffen, als ein liebendes Paar auf einem Lager, das, eins durch das andre beglückt, mit dem Ausdruck innigster Zufriedenheit im Antlitz sich fest umarmt hält.«

»Ist einmal ein Herz mit der Liebe vertraut, so mag lange die Welt auf kaltes Eisen schlagen.«

»O du, der du Liebende der Liebe wegen tadelst, bist du wohl imstande, ein krankes Herz zu heilen?«

»Und begegnet dir in deinem Leben ein heiterer Tag, so sei zufrieden und lebe von diesem einen!«

Nachdem der Geist beide eine Weile betrachtet hatte, sagte er zu Maimuna: »Herrin! Keiner von beiden verdient den Vorzug, es ist einer schöner als der andre, aber es gibt ein Mittel, sich darüber aufzuklären. Das ist, sie nacheinander aufzuwecken und sich dahin zu vereinigen, dass, welches für das Andere durch seine Glut und Heftigkeit mehr Liebe bezeigt, gewissermaßen auch weniger Schönheit habe.« Der Rat gefiel Maimuna und Dahnesch, und Kaschkasch fragte die Erstere, ob er ihren Liebling aufwecken solle. Auf ihre Bejahung verwandelte er sich in einen Floh und sprang auf Kamr essamans Hals. Er stach ihn so heftig, dass er aufwachte und mit der Hand nach der Stelle fuhr; aber er fing nichts. Seine Hand fiel auf eine andere Hand, die zarter und weicher anzufühlen war als frische Butter. Er schlug die Augen auf und war höchst erstaunt, etwas der Länge nach neben sich liegen zu sehen. Er setzte sich aufrecht. Da lag vor ihm ein Mädchen, schön wie der Mond oder die Sonne, wie eine aufgeputzte Braut oder eine kostbare Perle, von schlankem Wuchs, blitzenden Augen und schön gewölbten Augenbrauen, wie der Dichter sagt:

»Vier Dinge haben sich vereint, um mein Herz zu verwunden und mir den Tod zu geben: Das Licht der Stirne, die Nacht der Haare, die Rose der Wangen und die Perlen des lächelnden Mundes.«

Wie er sie so da liegen sah, in dem feinen Hemde, das die Reize ihrer Gestalt nur halb verhüllte, die bloßen Anne mit kostbaren Spangen, die Hände mit Ringen und Hals und Busen mit goldner Kette geschmückt, die mit kostbaren Edelsteinen ausgestattet war, bemächtigte sich die Liebe auf die lebhafteste Weise seines Herzens, und er konnte sich nicht enthalten auszurufen: »Welche Schönheit! welche Reize! Mein Herz! meine Seele!« Und indem er dies sagte, neigte er sich zu ihr hin, küsste sie auf die Wangen und sog an ihren Lippen mit immer steigender Leidenschaftlichkeit; er wollte sie aufwecken, aber durch Dahneschs Bezauberung schlief sie sehr fest. Er schüttelte sie, während er zu sprechen fortfuhr: »Mein Herz! meine Seele! erwache doch, ich bin der Prinz Kamr essaman.« Aber sie wachte immer nicht auf, und Kamr essaman wurde verlegen und nachdenklich. »Wenn mich meine Vermutung nicht täuscht«, sagte er bei sich selber, »so ist dies das Mädchen, welches der Sultan, mein Vater, mir zur Gattin geben wollte. Gleich in aller Frühe will ich hingehen und ihn bitten, mir sie zur Frau zu geben, und ehe der Abend vergeht, wird sie mir als Gattin vorgeführt und ich kann mich ihrer Schönheit und Anmut freuen.« Er neigte sich abermals über die Schöne, um sie zu küssen. Da fuhr ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf, und indem er sich selbst bezwang, sprach er: »Vielleicht hat mein Vater dieses Mädchen abgeschickt und ihr befohlen, sich nicht wecken zu lassen und ihm zu berichten, was geschehen wird. Oder wer weiß, ob er sich nicht irgendwo versteckt hat, wo er alles sieht: wenn ich mich nun von der Leidenschaft hinreißen lasse, wird er mir morgen Vorwürfe machen und mich beschämen. Er wird sagen: hast du nicht behauptet, du habest keine Lust zu heiraten, warum hast du denn dieses Mädchen geküßt und umarmt? Bei Gott, ich will sie nicht berühren oder lieber gar nicht mehr ansehen; auf jeden Fall aber will ich mir ein Andenken von ihr nehmen.« Er ergriff dann ihre Hand und sah an ihrem Finger einen goldnen Siegelring mit einem Rubin aus Balchaschan, auf welchem folgende Verse eingegraben standen:

»Glaube nicht, dass ich vergessen habe, was du mir geschworen;«

»Seitdem du mich verlassen, ist mein Herz auf glühenden Kohlen.«

Diesen Ring zog er der Prinzessin vom Finger und steckte ihr den seinigen dafür an. Hierauf kehrte er ihr den Rücken zu, und es währte nicht lange, so schlief er wieder ein. Sobald er eingeschlafen war, sagte Maimuna zu Dahnesch: »Hast du gesehen, verfluchter Geist, wie wenig sich mein Prinz aus deiner Prinzessin macht? Er hat sie nicht umarmt, er hat ihr den Rücken zugekehrt und ist wieder eingeschlafen.« Dahnesch erwiderte: »Ich habe alles gesehen«, und verwandelte sich in einen Floh, sprang hin und stach die Prinzessin. Sie wachte auf und richtete sich empor, und als sie die Augen öffnete, war sie sehr erstaunt, sich neben einem Mann liegen zu sehen, mit Augen und Augenbrauen, wie sie kein Mädchen hatte, mit einem kleinen Munde und zarten Lippen, die Farbe der Wangen gleich einem Apfel. Kurz, seine Zunge vermochte seine Reize zu schildern, und es ließen sich die Worte des Dichters auf ihn anwenden:

»Man brachte die Schönheit selbst, dass sie sich mit ihm messe, und sie beugte beschämt ihr Haupt vor ihm.«

»Man fragte sie: Hast du je so etwas gesehen? und sie antwortete: Nein, ein solcher Anblick ist mir noch nie zuteil geworden.«

Als sie diese Reize eine Weile bewundert hatte, schrie sie: »Wehe! Wehe! welche Schande, so neben einem Jüngling zu liegen! Hätte ich gewußt, dass du bei meinem Vater um mich geworben, ich hätte dich nicht abgewiesen. Wach' auf, wach' auf, mein Geliebter! und ergötze dich an meinen Reizen!« Indem sie dieses sprach, faßte sie den Prinzen Kamr essaman und schüttelte ihn, aber er erwachte nicht, denn die Fee Maimuna hatte ihn durch ihre Bezauberung in einen tiefen Schlaf versenkt. Die Prinzessin schüttelte ihn auf diese Weise zu wiederholten Malen, und als sie sah, dass er nicht aufwachte, fuhr sie fort: »Mein Geliebter! Ich beschwöre dich bei meinem Leben, erwache doch, dass wir uns freuen! Öffne deine Augen und sieh' meine Narzissen! Fühle meinen zarten Körper! Sollte ein auf unser Glück neidischer Nebenbuhler dich behext und in diesen unüberwindlichen Schlaf versenkt haben? Oder ist es vielleicht Veranstaltung von meinem unglückseligen Vater, dass du dich nicht mit mir unterhalten willst?« Aber der Jüngling erwachte nicht, und ihre Leidenschaft ward immer heftiger. Sie verschlang ihn mit Blicken, welche tausendfachen Schmerz in ihrem Busen zurückließen. Endlich küsste sie seine Hand und bemerkte ihren Ring an seinem Finger. Da seufzte sie tief auf und sagte: »Wehe dir, was verstellst du dich so? Gewiß hast du gewacht, während ich schlief, und hast mich geküßt, und - o Gott! Ja, diesen Ring nehme ich nicht zurück.« Sie küsste ihn dann zwischen die Augen, auf die Wangen und auf den Mund, öffnete seinen Hemdkragen und suchte nach etwas, das sie als Andenken nehmen könnte, fand aber nichts; zuletzt streckte sie sich neben ihn hin, legte eine Hand unter, die andere über ihn, und in dieser Umarmung schlief sie wieder ein. Als sie fest schlief, sagte Maimuna zu Dahnesch: »Nun, du Verfluchter! Hast du's gesehen? Bist du nun überzeugt, dass deine Prinzessin nicht so schön ist als mein Prinz? Doch ich verzeihe dir.« Und indem sie sich zu Kaschkasch wandte, fügte sie hinzu: »Geh' mit Dahnesch und hilf ihm die Prinzessin an ihren Platz zurücktragen, denn die Nacht ist vorüber und ich kann mein Ziel nicht weiter verfolgen.« Kaschkasch gehorchte, und die beiden Geister flogen mit dem Mädchen nach ihrer Heimat, wo dann jeder seines Weges ging, und Maimuna entfernte sich gleichfalls.

Als der Prinz Kamr essaman am folgenden Morgen erwachte, blickte er um sich, fand aber das Mädchen nicht mehr. Da sagte er bei sich selber: »Ich hatte mir es doch gleich gedacht, dass mich mein Vater nur necken will.« Er rief dann dem Sklaven und sagte zu ihm: »Wehe dir, du nichtswürdiger Hund! wie lange willst du noch schlafen? Steh' einmal auf!« Der Diener stand ganz betäubt auf und brachte ihm Waschbecken und Wasser. Kamr essaman erhob sich von seinem Lager, wusch sich, und nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, nahm er den Koran und las eine zeit lang. Dann ging er wieder zum Sklaven und sprach zu ihm: »Wehe dir, wenn du mich belügst! Komm her und sage mir die Wahrheit: wo ist das Mädchen hingekommen, das heute Nacht an meiner Seite geschlafen hat?« - »Mein Herr!« versetzte der Sklave, »ich schwöre dir, dass ich nichts davon weiß. Wie sollte denn ein Mädchen hereingekommen sein, da ich doch an der Türe schlafe?« - »Du lügst, verdammter Sklave!« erwiderte der Prinz. »Du bist auch mit ihnen im Einverständnis.« Der Verschnittene wich erschrocken vor ihm zurück und wiederholte: »Bei Gott, mein Herr, ich habe nichts gesehen!« Aber Kamr essaman hieß ihn näher treten, faßte ihn an der Kehle, warf ihn zu Boden, kniete auf ihn und trat ihn mit Füßen; dann schleppte er den Ohnmächtigen zum Brunnen hin, band ihm das Seil unter die Arme, ließ ihn daran hinab und tauchte ihn mehrmals mit dem Kopf unters Wasser. »Ich lasse dich nicht herauf«, rief er ihm zu, als er nach Hilfe schrie, »wenn du mir nicht sagst, wer das Mädchen ist, und wie es zu mir hereinkommen ist.« Der Sklave dachte: Ohne Zweifel hat der Prinz, mein Herr, den Verstand verloren, und ich kann nur durch eine Lüge mich retten. - »Mein Herr!« sagte er hierauf, »ziehe mich herauf, ich verspreche dir, alles zu sagen.«

Der Prinz zog nun den vor Furcht zitternden Sklaven wieder herauf. Dieser sagte aber: »Mein Herr, vergönne mir, meine Kleider zu wechseln, dann will ich dir über das Mädchen Auskunft geben.« - »Ich gewähre es dir«, erwiderte Kamr essaman; »aber mach' geschwind, du elender Sklave, hättest du nicht den Tod vor Augen gesehen, so würdest du mir nicht die Wahrheit eingestehen.« Der Sklave ging hinaus und lief, wie er war, in den Palast. Der König unterhielt sich eben mit seinem Großvezier über Kamr essaman. Er hatte eine lange schlaflose Nacht gehabt und an die Worte des Dichters gedacht:

»Mir wird die Nacht so lange, während die Verleumder ruhig schlafen; ist es nicht genug an einem Herzen, das unter Gram und Kummer erliegt?«

»Während die Nacht noch immer nicht weichen will, rufe ich dem Tageslichte zu: Willst du gar nicht mehr erscheinen?«

Er konnte kaum den Morgen erwarten, bis er mit dem Vezier allein war. Dieser sagte: »Gott verfluche diese Welt! Aber, lasse den Prinzen eine Weile eingesperrt, bis die jugendliche Hitze verraucht, dann wird er deinem Wunsche, sich zu vermählen, willfahren.«

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Der Vezier endigte soeben diese Rede, als der Sklave in seinen durchnäßten Kleidern vor den König Schah Seman trat. »Herr!« sagte er zu ihm, »dein Sohn spricht von einem Mädchen, welches vergangene Nacht bei ihm geschlafen habe, er ist rasend geworden und hat mich in den Zustand versetzt, in welchem du mich hier siehst.« Nachdem der König den Sklaven angehört hatte, warf er einen vorwurfsvollen Blick auf den Vezier und rief: »O mein Sohn, mein armer Sohn!« Hierauf befahl er dem Vezier, selbst hinzugehen und zu erforschen, was sich zugetragen. Der Vezier gehorchte auf der Stelle. Beim Eintritt in das Zimmer fand er den Prinzen lesend. Er grüßte ihn, und Kamr essaman erwiderte den Gruß. Nachdem er sich hierauf neben ihm niedergelassen, sprach er zu ihm: »Gott verdamme deinen Sklaven, der dem König etwas eingeflüstert, das ihn in solchen Schrecken gesetzt hat!« - »Wieso?« erwiderte der Prinz, »ich glaube doch eher, dass er mir was vorgeschwatzt hat.« - »Prinz!« versetzte der Vezier, »verhüte Gott, dass dasjenige, was er von dir berichtet hat, wahr sei! Es wäre jammerschade um deine Jugend und Schönheit.« - »Nun«, erwiderte der Prinz, »da ihr doch meinen Sklaven über seine Rede tadelt, so sage du mir, du bist doch ein verständiger Mann, wo das Mädchen ist, welches diese Nacht bei mir geschlafen hat.« Bei dieser Frage rief der Vezier: »Gott schütze dich, mein Sohn! Wie wäre es möglich, dass ein Mensch bei Nacht hier eingedrungen sein sollte, da doch die Türe verriegelt ist und ein Sklave vor derselben schläft? Nimm deinen Verstand zusammen!« Der Prinz geriet in heftigen Zorn und rief: »Wehe dir! sage mir, wo das Mädchen hingekommen ist, das ich nur aus Furcht und Scheu vor meinem Vater unberührt gelassen?« Der Vezier war sehr erstaunt über diese Worte und rief: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht außer bei dem erhabenen Gott! Sage mir, mein Herr! hast du das Mädchen mit deinen eigenen Augen gesehen?« - »Ja, ja!« antwortete der Prinz, »ich habe sie gesehen und wohl gemerkt, dass sie eurer Weisung zufolge kein Wort mit mir sprach, doch habe ich an ihrer Seite geschlafen und des Morgens sah ich sie nicht mehr.« - Der Vezier versetzte; »Mein Herr! du hast vielleicht das Mädchen nur im Traume gesehen.« - »Du kommst also auch nur, um deinen Spott mit mir zu treiben«, erwiderte zornig der Prinz, »und um mir zu sagen, dass dasjenige, was ich dir erzähle, ein Traum sei. Der Diener wird aber sogleich kommen und mir die Wahrheit berichten.« Mit diesen Worten griff Kamr essaman dem Vezier in den Bart, schlang denselben um seine Hand und bearbeitete den Unglücklichen so lange mit Schlägen, bis er das Bewußtsein verlor. Sobald er sich erholt hatte, dachte er bei sich selber: Hat sich doch der Diener aus der Gefahr zu ziehen gewußt, warum sollte ich nicht auch mein Leben retten. Er rief daher dem Prinzen zu, er möchte aufhören ihn zu schlagen, und als er einhielt, sagte er: »Entschuldige mich, mein Sohn! ich bin nur dem Befehl deines Vaters gefolgt, dem ich mich nicht widersetzen konnte, warte nur, ich will dir alles erzählen.« - »So steh' auf«, versetzte der Prinz, »und erzähle!« - »Mein Herr!« sprach der Vezier, »du willst über das schöne Mädchen Auskunft haben?« - »Ja«, antwortete der Prinz, »sage mir, wer sie hergebracht hat und wo sie jetzt ist, damit ich sie heirate, sage dies meinem Vater und bitte ihn herzukommen, und mir sie zur Frau zu geben. Mache geschwind!« Der Vezier hörte kaum die Worte, als er sich auf den Weg machte, und zwar so schnell, dass er über die Schleppe seines Kaftan stolperte. Er glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis er aus dem Turme war. Als er vor dem König erschien, fragte dieser, »Was bringst du?« - »Herr«, antwortete der Vezier, »dein Sohn ist wahnsinnig.« Schah Seman sagte zu dem Vezier: »Daran ist der Rat schuldig, den du mir gegeben hast! Bei Gott, wenn meinem Sohn etwas widerfahren ist, so lasse ich dir den Kopf abschlagen und alles wegnehmen, was du besitzest!« Hierauf erhob er sich und machte sich auf den Weg nach dem Turme. Der Vezier begleitete ihn.

Als Kamr essaman seinen Vater eintreten sah, stand er auf, küsste ihm die Hand, trat dann ehrerbietig wieder einige Schritte zurück und neigte sein Haupt, während ihm Tränen aus den Augen stürzten. Der König setzte sich auf den Divan, rief den Prinzen an seine Seite und wendete sich mit zornigem Blicke zuerst an den Vezier: »Wie kommst du dazu, von meinem Sohne zu sagen, er sei wahnsinnig? du Hund von einem Vezier.« Dann fragte er ihn: »Welchen Tag haben wir heute?« Er antwortete: »Freitag«, und zählte dann die Tage in ihrer Reihenfolge her bis Donnerstag, ebenso die zwölf Monate des Jahres. Voll Freude darüber rief der König aus: »Gelobt sei Gott für dein Wohl, mein Sohn! Du Hund von einem Vezier! da siehst du, dass er den Verstand nicht verloren hat; wohl aber wird es bei dir nicht ganz richtig sein.« Der Vezier schüttelte den Kopf und dachte: Warte nur ein wenig, du wirst's schon noch erfahren.

Endlich sagte der König zu dem Prinzen: »Mein Sohn, sage mir doch, was für eine Bewandtnis es mit dem Mädchen hat, welches diese Nacht bei dir geschlafen haben soll.« - »Mein Vater«, antwortete Kamr essaman, »ich beschwöre dich bei Gott, meinen Verdruß über diesen Gegenstand nicht noch zu vermehren; beeile dich, sie mir zur Gattin zu geben.«

Der König Schah Seman versetzte: »Besinne dich doch, und der Name Gottes schütze dich und bewahre deinen Verstand und deine Jugend! Bei dem erhabenen Gott, ich weiß nicht das geringste von dem Mädchen, von welchem du redest. Gewiß warst du gestern Abend in einem aufgeregten Zustand und hast im Traum ein Mädchen gesehen, drum nimm deine Zuflucht zu Gott vor dem Satan!« - »Mein Herr und Vater«, versetzte der Prinz, »lasse solche Reden! ich will dir beweisen, dass das, was ich sage, kein Traum, sondern wirklich und wahrhaftig ist. Hat je in seinem Leben einer geträumt, er sei im Gefecht und kämpfe, und hat beim Erwachen ein bluttriefendes Schwert gefunden?« - »Nein, mein Sohn«, antwortete der König, »das ist nie der Fall gewesene - »Nun«, fuhr Kamr essaman fort, »ich träumte gestern gegen Mitternacht, ich sei wach, und fand ein Mädchen an meiner Seite, helleuchtend wie der Mond und mir gleich an Jugend und Gestalt. Ich wollte sie küssen, fürchtete aber, du möchtest dich irgendwo versteckt haben, um uns zu belauschen. Ich hielt daher an mich, nahm aber doch ein Andenken von ihr.« Auf die Frage seines Vaters, worin dieses Andenken bestehe, zog er den Ring vom Finger und überreichte denselben seinem Vater.

Der König rief in höchstem Erstaunen aus: »Ich stehe in Gottes Hand und wende mich zu ihm: ich begreife nicht, wie hier jemand hat eindringen können.« Da sagte Kamr essaman: »Bei Gott, mein Vater, wenn du mir nicht bald dieses Mädchen bringst, sterbe ich vor Verzweiflung.« Darauf sprach er folgende Verse:

»Wollt ihr euer Versprechen, mich zu besuchen, nicht in Wirklichkeit halten, so erscheint mir wenigstens im Traume, denn ihr habt am Trennungstage in meinem Herzen eine brennende Flamme zurückgelassen. Doch hat ein Traumbild je einen Menschen besucht, den der Schlaf flieht? Meine Neider werden sich an meinem Zustande freuen, und während ich früher ein Beneideter war, bin ich jetzt ein Verschmähter.«

Dann fuhr er fort: »Mein Vater, meine Leidenschaft ist schon so heftig, dass ich mich nicht stark genug fühle, ihr zu widerstehen.« Der König schlug die Hände übereinander und rief aus: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott! Ich weiß kein Mittel, deinen Wunsch zu erfüllen.« Indem er dies sprach, faßte er den Prinzen bei der Hand und führte ihn wieder in den Palast, wo derselbe liebeskrank wurde und sich zu Bette legte. Der König setzte sich ihm zu Häupten und trauerte mehrere Tage mit ihm, ohne weder bei Tag oder bei Nacht von seiner Seite zu weichen, bis endlich der Vezier eines Morgens kam und ihm vorstellte, dass sein ganzes Heer und sein Volk über seine Zurückgezogenheit zu murren anfange. »Meine Meinung ist daher«, fuhr er fort, »den Prinzen nach dem inneren Schlosse mit Aussicht auf das Meer zu bringen und zwei Tage in der Woche den Regierungsangelegenheiten zu widmen. Die übrigen Tage bringst du dann bei deinem Sohne zu, bis Gott helfen wird.« Der König Schah Seman billigte diesen Rat, begab sich zu dem Prinzen in das innere Schloss, das mitten im Meere lag, zu welchem ein 500 Ellen langer Damm führte. Das Schloss hatte 40 Fenster nach dem Meere hin, der Boden war mit farbigem Marmor gepflastert, in die Wände waren die kostbarsten Steine eingelegt, die Decke war mit den verschiedenartigsten Malereien geschmückt, Es war mit seidenen Teppichen, Ruhebetten, Vorhängen und Polstern versehen. Der König verließ den Prinzen nur an den beiden Tagen, welche für die Besorgung der Staatsgeschäfte bestimmt waren. Die übrige Zeit brachte er an dem Bette Kamr essamans zu, der wenig aß und schlief und bald sehr mager und blaß wurde.

So viel, was Kamr essaman angeht. Was die Prinzessin Bedur betrifft, so hatten die Genien sie wieder in ihren Palast zurückgebracht und aufs Bett gelegt. Am Morgen beim Erwachen setzte sich die Prinzessin aufrecht und blickte rechts und links; als sie aber ihren Geliebten nicht fand, geriet sie in die äußerste Unruhe und rief ihren Sklavinnen mit so lauter Stimme, dass diese schleunig herbeiliefen und ihr Bett umgaben. Die älteste von ihnen näherte sich und fragte:

»Meine Gebieterin, was ist dir geschehen?« - »Sage mir«, sprach die Prinzessin, »wo ist der Jüngling hingekommen, den ich von ganzem Herzen liebe, mit schwarzen Augen und zusammenlaufenden Augenbrauen?« - »Gebieterin!« antwortete die Alte in höchstem Erstaunen, »was soll diese Rede bedeuten?« - »Wisset«, fuhr die Prinzessin fort, »ein schöner Jüngling hat diese Nacht bei mir geschlafen, und ich habe ihn vom Abend bis zum Morgen in meinen Armen gehalten.« - »Bei Gott! meine Herrin«, versetzte die Sklavin, »du willst uns sicherlich nur zum besten haben. Aber spaße nicht: denn nach Mutwillen und Scherz kommt der Tod. Ich bin ein altes Weib und stehe am Rande des Grabes; soll ich noch vor der Zeit sterben?« - »Du verdammte Alte«, erwiderte Bedur; »du willst meiner spotten.«

Die Prinzessin fiel hierauf über die Alte her, warf sie zu Boden und schlug sie, bis sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, begab sie sich zu der Mutter der Prinzessin und erzählte ihr, was sich zwischen ihr und der Prinzessin zugetragen. Dann fuhr sie fort: »Eile zu deiner Tochter, denn sie ist von Sinnen.« Die Königin eilte zur Prinzessin. Nachdem sie sich gegenseitig begrüßt hatten, ließ sich die Königin neben ihrer Tochter auf den Divan nieder und erkundigte sich nach ihrem Befinden und nach dem Sinne ihrer an die Sklavin gerichteten Worte. »O meine Mutter«, antwortete die Prinzessin, »du willst mich auch verspotten; aber ich erkläre, dass ich eher keine Ruhe haben werde, als bis der liebenswürdige Jüngling, der die verflossene Nacht bei mir geschlafen hat, mein Gemahl ist.« Zugleich sprach sie folgende Verse eines Dichters:

»Ach, wie wunderbar war seine Schönheit! und doch ist seine Schönheit nur ein geringer Teil seiner Eigenschaften. In allen seinen Bewegungen liegt ein Zauber.«

»Wenn jemand zu dem Monde sagte: Rühme dich! so würde er sprechen: Ich verdanke meinen Glanz den Tulpen seiner Wangen.«

»Wie der Punkt im Buchstaben, so entsage ich ihm doch nicht, möge ihm Gott auch diese als Tugenden anrechnen.«

»Ich hörte nicht auf, von der Zeit zu fordern, dass sie mich mit ihm vereinige, und er in meine Nähe komme; allein sich fern zu halten, scheint ihm eigen zu sein.«

»Ich verzieh dem Schicksal all seine Ungerechtigkeit, als es ihn zu mir führte, und warf einen Schleier über all seine Unbilden.«

»In fester Umarmung haben wir die Nacht zugebracht: trunken war er von meinen Liebkosungen und ich von dem Becher seines Mundes.«

»Ich drückte ihn fest an mich, wie ein Geiziger seinen Reichtum hält, aus Furcht, es möchte mir eine von seinen Schönheiten geraubt werden.«

»Ich hielt ihn in meinen Armen, als wäre er eine Gazelle, von der ich besorgte, sie möchte mir entfliehen.«

»Wehe dir, meine Tochter!« erwiderte die Königin, »was sollen diese Reden bedeuten?« Die Prinzessin rief: Verruchte Alte! Der König, mein Vater, sucht schon lange mich zur Vermählung zu bewegen, als ich keine Lust dazu hatte: jetzt ist mir diese Lust gekommen, und ich will durchaus den Jüngling, der vergangene Nacht bei mir war, zum Gatten haben, oder ich bringe mich um.«

Die Königin sprach: »Es ist kein Mann zu dir hereingekommen.« Die Prinzessin aber fiel über sie her, schnitt ihr die Haare ab und schlug sie, wobei sie immer wiederholte: »Du lügst, du weißt es, sage mir, wo mein Geliebter ist!« Die Königin rief: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott!« machte sich mit Hilfe der Sklavinnen von Bedur los und eilte fort zum König. Dieser war eben vom Bett aufgestanden, als die Königin eintrat und ihm zurief: »Stehe auf, geh zu deiner Tochter, denn sie ist wahnsinnig geworden.« Der König machte sich auf und begab sich zu der Prinzessin. Er grüßte sie, und Bedur erwiderte seinen Gruß und küsste ihm die Hand. Hierauf fragte der König: »Meine Tochter, welche Reden habe ich von deiner Mutter hören müssen?«

Bedur antwortete: »Mein Vater, reden wir nicht davon; gib mir nur schnell den Jüngling zum Gatten, der diese Nacht bei nur geschlafen hat.« - »Was, meine Tochter«, versetzte der König, »hat jemand diese Nacht bei dir geschlafen?« - »Mein Vater«, erwiderte die Prinzessin, »es war ein schöner Jüngling mit schmachtenden Augen, und er lag in meinen Armen bis zum Morgen.« Als der König dies hörte, hielt er sie für besessen, kniete auf sie und ließ sie in ein Gemach bringen und verließ sie höchst traurig, nachdem er einige alte Frauen und Eunuchen vor die Türe gestellt hatte. Er berief dann den Vezier und die Großen seines Reichs und setzte sie in Kenntnis von dem, was seiner Tochter widerfahren war. Er sagte ihnen, dass er an ihrem Finger einen wertvollen Ring gesehen habe, und fügte hinzu: »Wenn jemand so geschickt ist, ihre Heilung zu unternehmen und zu bewirken, so will ich sie ihm zur Frau geben und ihm die Hälfte meines Reiches schenken; wer aber ihre Heilung unternimmt und sie nicht zu bewirken imstande ist, dem schwöre ich zu, dass ihm der Kopf abgeschlagen wird und keine Fürbitte was nützt.«

Als die Anwesenden die Worte des Königs vernahmen, wünschten sie ihm alle, dass Gott die Prinzessin heilen möchte. Unter den Anwesenden war auch ein Emir, welcher der Beschwörungskunst kundig war, er sagte dem König: »Ich will sie heilen.« Der König hielt ihm nochmals die Bedingungen vor, unter denen er es wagen müßte; jener bestand darauf, die Heilung zu versuchen. Er ließ sich von dem König zu Bedur begleiten und nahm allerlei Beschwörungen mit ihr vor. Als die Prinzessin den Mann sah, sagte sie zu ihrem Vater: »Wozu bringst du diesen Mann her? Schämst du dich nicht, einen fremden Mann herzuführen?« - »Meine Tochter«, erwiderte der König, »ich habe ihn nur hierher gebracht, damit er den bösen Geist austreibe, der von deiner Seele Besitz genommen hat.« - »Von meiner Seele«, versetzte die Prinzessin, »hat niemand anders Besitz genommen, als der schöne Jüngling, den ich von ganzem Herzen liebe.« Der Emir erkannte wohl, dass ihr Wahnsinn nichts anderes als eine heftige Liebe sei. Er wagte es nicht, dies dem König zu erklären, sondern küsste die Erde vor ihm und sagte: »Mein König! ich weiß kein Mittel gegen ihr Übel.« Der König ließ ihn sogleich festnehmen und hinrichten.

So blieb nun die Sache eine Zeit lang, und dem König schmeckte weder Speise noch Trank. Er ließ in seiner Hauptstadt, auf den anderen Inseln, in den Festungen am Meere und in allen Ortschaften des platten Landes ausrufen: jeder Sterndeuter möchte zum König kommen. Da kam einer, den jemand im Spital getroffen hatte, und erbot sich, die Prinzessin zu heilen und willigte ein, sein Leben zu verwirken, wenn es ihm nicht gelingen sollte. Der König ließ ihn durch einen Diener zur Prinzessin führen. Als der Sterndeuter in Bedurs Zimmer trat und die Ketten an ihrem Hals erblickte, glaubte er nicht anders, als dass sie in der Tat wahnsinnig sei. Er zog aus seinem Sack kupferne Federn, Blei und Papier, zündete Feuer an, streute Weihrauch darauf, spielte die Mandoline und machte alle möglichen Beschwörungen. Die Prinzessin fragte, was alle diese Anstalten bedeuten. Der Sterndeuter antwortete: »Ich bin ein Sterndeuter und will den bösen Geist beschwören, von welchem du besessen bist. Ich will ihn in eine von diesen kupfernen Büchsen sperren, sie mit Blei verschließen und in das Meer werfen, wo es am tiefsten ist.« - »Verfluchter, schweig!« rief die Prinzessin aus; »ein schöner, anmutiger Jüngling, der bis zum Morgen bei mir geschlafen, hat sich meines Herzens bemächtigt, kannst du mir den wieder herbringen und mich mit ihm vereinen?« Bei diesen Worten fing die Prinzessin an zu weinen, und der Sterndeuter sagte zu ihr: »Wenn es sich so verhält, Gebieterin, dann wende dich an deinen Vater: der und nicht ich kann dir verschaffen, was du begehrst.« Hierauf packte er seine Gerätschaften wieder zusammen und entfernte sich, höchst verdrießlich.

G

Als er vor den König kam, sagte er: »Habt ihr mich zu einer Wahnsinnigen oder zu einer Verliebten gebracht?« Der König ergrimmte über diese Worte und ließ ihm den Kopf abschlagen. So kam noch ein Dritter und Vierter, welche dasselbe Los hatten, wie die beiden ersten. Der König ließ ihre Köpfe auf der Zinne seines Palastes aufstecken; aber es kamen noch viele, bis endlich hundert und fünfzig Köpfe auf der Zinne des Schlosses hingen, zu deren Betrachtung täglich eine große Schar aus der Stadt herbeiströmte. Nun hatte die Amme der Prinzessin einen Sohn, Namens Marsawan, der mit Bedur erzogen und gesäugt worden, folglich ihr Milchbruder war und erst im Jünglingsalter von ihr getrennt worden war. Marsawan hatte Astronomie und Astrologie, Sympathie und Magie studiert und er war darin sehr geschickt geworden. Auch hatte er sich auf Reisen begeben, und zehn Jahre lang unter Ärzten und Wahrsagern gelebt.

Als Marsawan endlich in die Hauptstadt zurückkam, sah er die auf der Zinne des Palastes aufgesteckten Köpfe, und er erkundigte sich nach der Prinzessin, seiner Milchschwester, und man erzählte ihm ihre Geschichte. Hierauf begab er sich zu seiner Mutter, die ihn alsbald fragte, ob er schon wisse, was seiner Milchschwester zugestoßen, und erzählte ihm alles ausführlich. Er erwiderte, er habe schon davon gehört und fragte, ob sie ihm nicht dazu verhelfen könnte, die Prinzessin Bedur heimlich zu sehen, ohne dass der König, ihr Vater, etwas davon erfahre.

Als Marsawans Mutter dies hörte, senkte sie den Kopf; nach einer Weile erhob sie ihn wieder und sagte zu ihm: »Mein Sohn! warte bis morgen früh, dann werde ich ein Mittel ausfindig machen.« Sie wandte sich an den Diener, der die Wache an der Türe hatte, und sagte zu ihm: »Ich habe eine Tochter, die ich mit der Prinzessin gesäugt, und vor einiger Zeit verheiratet habe; sie denkt viel an die Prinzessin, wegen des Unglücks, das ihr widerfahren, ich wünschte daher, sie zu ihr zu bringen, dass sie nach ihr sehe, und sie dann wieder verlasse, ohne dass jemand etwas davon erfahre.« Der Verschnittene sagte zu ihr: »Komm in Gottes Namen diese Nacht mit deiner Tochter, nachdem sich der König entfernt hat.« Die Amme küsste dem Diener die Hand und entfernte sich.

Sobald die Nacht anbrach, ging sie zu ihrem Sohne Marsawan, zog ihm Frauenkleider an, verschleierte ihn und führte ihn nach dem Palaste. Der Verschnittene ließ sie eintreten. Marsawan setzte sich, nachdem er das Obertuch abgenommen und Bücher und Amulette und Beschwörungssprüche aus seiner Tasche gezogen hatte. Die Prinzessin begrüßte ihn und beklagte sich über seine lange Abwesenheit, während derer sie nichts von ihm gehört. Er erwiderte: »O meine Schwester, ich bin aus der Fremde zurückgekommen, als ich Dinge über dich gehört, die meinem Herzen heißen Schmerz bereiteten, in der Hoffnung, dich retten zu können.« Diese aber rief aus: »Wie, mein Bruder! auch du glaubst, ich sei wahnsinnig geworden?« Und sie sprach folgende Verse:

»Sie sagen, Liebe habe meinen Verstand verrückt; ich aber antworte ihnen: Ist das nicht die wahre Wonne des Lebens, wenn Liebe so heftig ist, dass sie den Verstand raubt?«

»Es ist wahr, ich bin verrückt, bringt mir den, um dessen willen ich wahnsinnig bin, und wenn er meinen Wahnsinn heilt, so tadelt mich nicht.«

Aus diesen Reden erkannte Marsawan, dass sie verliebt war und bat sie, ihm alles zu erzählen, was ihr widerfahren sei. Bedur tat es und verschwieg ihm auch nicht den geringsten Umstand.

Als die Prinzessin geendigt hatte, stand Marsawan eine Zeitlang nachdenkend mit niedergeschlagenen Augen. Endlich erhob er den Kopf und sprach: »Meine Schwester, ich kann nicht daran zweifeln, dass sich alles so verhält, wie du gesagt hast. Ich bitte dich nur, den Mut nicht sinken zu lassen und noch eine Weile Geduld zu tragen, ich will alle Länder durchreisen, vielleicht bringe ich dir Trost.«

Nach diesen Worten nahm Marsawan Abschied von der Prinzessin, und bei seinem Weggehen hörte er sie noch folgende Verse sagen:

»Die Sehnsucht malt dein Bild in meinem Herzen, obgleich es schon lange ist, dass wir uns besuchten.«

»Die Hoffnung bringt dich mir nahe, gleich einem Blitz, der in die Augen dringt und verschwindet.«

»O, zögere nicht länger! Du bist das Licht meiner Augen; so lange du dich entfernt hältst, bleibt alles dunkel um mich her.«

»Freut dich die Trennung von mir, so freue ich mich mit deiner Freude.«

»Sei stille, mein Herz, und enthalte dich, ihm Vorwürfe zu machen; denn an dem Tage, wo wir uns finden, müßtest du dich selbst darüber anklagen.«

»Klagt er ja doch mich auch nicht an, und doch verstehen sich unsere Herzen.«

Die Liebesklagen, welche Marsawan beim Weggehen von ihr noch gehört hatte, gingen ihm zu Herzen und trieben ihn zu solcher Eile, dass er sich sogleich reisefertig machte und am folgenden Morgen die Stadt verließ. Er zog von Ort zu Ort, von Land zu Land und von Insel zu Insel und überall, wo er hinkam, hörte er nur von der Prinzessin Bedur und von ihrer Geschichte.

Nach Verfluss von vier Monaten gelangte er nach Tarf, wo er nicht mehr von der Prinzessin Bedur, sondern von dem Prinzen Kamr essaman und seiner Krankheit sprechen hörte, und von dem bösen Geiste, der ihm den Verstand getrübt. Er erkundigte sich, in welcher Stadt dieser Prinz lebe, und erfuhr, dass er zu Lande sechs Monate, zu Wasser aber nur einen Monat brauche, um sie zu erreichen. - Marsawan bestieg einen eben reisefertigen Kauffahrer, auf welchem er nach Verlauf eines Monats die Hauptstadt von Schah Semans Königreich erblickte, denn das Schiff war nur noch eine Tagesreise weit vom Ufer entfernt. Da stieß das Schiff auf einen Felsen. Die Bretter flogen auseinander und das Schiff versank mit allem, was darauf war. Marsawan wurde aber von der Strömung dem Ufer zugetrieben. So gelangte er bis in die Nähe des Schlosses, in welchem Kamr essaman sich aufhielt. Zufälligerweise war es an einem Tage, an welchem die Emire dem König ihre Aufwartung machten. Der König saß auf dem Ruhebette und hatte den Kopf seines kranken Sohnes auf dem Schoße liegen, während ein Diener die Fliegen von ihm verscheuchte. Der Prinz rief in einem fort: »O ihr Wuchs! o ihre Wangen!« Endlich schlief er ein, und der Vezier, der ihm zu Füßen saß, blickte nach dem Meere hin und sah, wie Marsawan dem Ertrinken nahe war. Voll Mitleid mit ihm, benachrichtigte er den König davon und sagte: »Wenn du es erlaubst, so will ich hingehen und ihn vom Tode retten: wer weiß, ob nicht Gott auch deinen Sohn von seinem Übel befreit.«

Der König willfuhr der Bitte, und der Vezier öffnete die Türe, die nach dem Meere führte und ging den Damm entlang und kam gerade am Ufer an, als Marsawan noch einmal aus den Wellen auftauchte. Er reichte ihm die Hand und half ihm heraus und wartete eine Weile, bis er wieder zu sich gekommen war, dann zog er ihm seine Kleider aus und gab ihm andere. Dann sagte er ihm: »Mein Sohn! Ich bin das Werkzeug deiner Rettung, und so kann vielleicht durch dich auch anderen geholfen werden.«

Marsawan bat, ihm zu erzählen, wem geholfen werden sollte und der Vezier sagte ihm alles, was sich mit Kamr essaman zugetragen hatte, von Anfang bis zu Ende.

Die Erzählung des Veziers traf genau mit demjenigen zusammen, was Marsawan schon anderwärts gehört hatte, er konnte jetzt nicht mehr zweifeln, dass der Prinz Kamr essaman derjenige sei, für den die Prinzessin von China in Liebe entbrannte, und er sah sich am Ziel seiner Wünsche. Er folgte dann dein Vezier ins Schloß. Dieser setzte sich zu den Füßen des Prinzen, während Marsawan vor letztern hintrat. Als er ihn erblickte, rief er: Gepriesen sei der Schöpfer! Sein Wuchs, seine Farbe, seine Wangen sind wie die der Prinzessin. Als der Prinz die Augen aufschlug und mit seinen Ohren aufhorchte, sprach Marsawan, nach dem Gebete über Mohammed, folgende Verse:

»Ich sehe dich kummervoll und vernehme dein Seufzen. Deine Gedanken schwärmen bis zu den äußersten Wolken des Himmels.«

»Hat Liebe sich deiner bemächtigt, oder bist du von Pfeilen getroffen? Denn alles, was ich an dir sehe, ist Zeichen eines verwundeten Herzens.«

»Hüte dich, an nächtliche Besuche mich zu erinnern; denn schon der Mund, der von ihr spricht, erregt meine Eifersucht.«

»Ich beneide ihre Kleider, weil sie ihren zarten Körper umgeben, und den Becher mit Getränk, weil er ihre Lippen berührt.«

»Tödlich bin ich verwundet, doch nicht von der Schneide des Schwerts, sondern von Blicken, die gleich Pfeilen in mich drangen.«

»Als wir uns begegneten, fand ich ihre Fingerspitzen rot, als wären sie mit dem Safte des Drachenblutes gefärbt.«

»Ach, sagte ich zu ihr, wie kannst du deine Hände noch färben, wenn ich ferne von dir bin? Ist das der Lohn für Liebespein und Trennungsschmerz?«

»Bei deinem Leben, antwortete sie mir, und ihre Rede schleuderte einen unauslöschlichen Liebesbrand in mein Herz, und kam aus einem Herzen, das aus seiner Liebe kein Geheimnis macht: das ist nicht Farbe, womit ich meine Finger gefärbt habe! laß dich durch diesen Schein nicht trügen und vermehre nicht deinen Kummer durch solche Vermutung;«

»Wisse, als ich dich ferne von mir sah, der du mein Ober- und Unterarm warst, entquoll Blut meinen Augen: davon sind meine Finger so rot.«

»Leicht hätte ich mich trösten können, wenn ich zuerst geweint hätte; aber sie weinte vor mir, und ihre Tränen brachten auch mich zum Weinen und der Vorzug gebührte dem Vorangehenden.«

»O scheltet mich nicht, dass ich sie liebe: denn bei meiner Liebe! es ist schon Leid genug bei der Liebe!«

»Schönheit sondergleichen hat ihr Antlitz geschmückt, und in keinem Lande hat mein Aug' etwas Ähnliches gesehen.«

»Schmachtend sind ihre Augen, fein ihr Wuchs; Rosen sind ihre Wangen, und Wohlgeruch ist ihr Mund. Sie hat die Weisheit Lokmans und die Schönheit Josephs, die Stimme Davids und die Keuschheit Marias.«

»Aber ich empfinde den Schmerz Jakobs und die Angst des Jonas, die Qualen Hiobs und die Reue Adams.«

»Schont ihres Lebens, wenn ihr auch Macht habt, sie zu töten; fragt sie nur, wie sie mein unschuldiges Blut vergießen mochte.«

Der Prinz Kamr essaman fühlte bei diesen Worten Marsawans eine süße Erquickung in seinem Herzen, seine Zunge bewegte sich in seinem Munde und er gab seinem Vater durch Winke zu verstehen, er möchte erlauben, dass der Fremdling sich neben ihn setze. Der König, außer sich vor Freude, stand auf und setzte Marsawan zu Häupten seines Sohnes. Er fragte ihn dann, wer er sei und woher er komme, und nachdem Marsawan ihm geantwortet hatte, er sei ein Untertan des mächtigen Königs von China und komme aus dessen Staaten, sagte er: »Wollte Gott, dass du meinen Sohn von seiner Krankheit heilen könntest.« »So Gott will, wird es geschehen,« erwiderte Marsawan. Er näherte sich hierauf dem Ohre des Prinzen und sprach zu ihm: »Mein Herr, fasse Mut und höre auf, dich so zu betrüben! Frage nicht nach der, um welcher willen du leidest, noch nach ihrem Zustande: du hast dein Geheimnis in deine Brust verschlossen und bist dadurch krank geworden; sie aber hat alles geoffenbart und leidet noch mehr; ihr Zustand grenzt an Wahnsinn, und sie trägt deshalb Ketten an Händen und Füßen.«

Marsawans Worte brachten auf den Zustand Kamr essamans eine so mächtige Wirkung hervor, dass dieser seinen Vater herbeiwinkte, um ihn im Bette aufrecht zu setzen. Der König und der Vezier richteten ihn empor und unterstützten ihn mit zwei Polstern. Die Emire waren hoch erfreut und der König ließ die Pauken schlagen und sagte zu Marsawan: »Das verheißt uns eine glückliche Zukunft.« Dann ließ er Speisen und Getränke bringen. Kamr essaman trank und aß, der Sultan war beglückt durch die Genesung seines Sohnes, der sich den ganzen Abend von Marsawan erzählen ließ, was er von der Prinzessin Bedur wußte. Zuletzt sagte Marsawan: »Mein Herr! was dir mit deinem Vater widerfahren ist, hat sich auch bei ihr mit ihrem Vater ereignet, doch fasse Mut und stärke dein Herz, ich werde dich zu ihr bringen und euch vereinen.« So unterhielt er den Prinzen, bis er gegessen und getrunken und sich wieder gestärkt hatte.

Der König ließ die Stadt sieben Tage hintereinander festlich schmücken, Geschenke unter die Truppen austeilen, alle Gefängnisse öffnen, jede Gewalttat aufhören und die Zölle abschaffen. Als der Prinz mit Marsawan allein war, sagte er zu ihm: »Wie wird es mir mit der Reise gehen? Mein Vater liebt mich so sehr, dass er sich nicht eine Stunde von mir trennen kann; sage mir, wie ich es angreifen soll: ich werde deinem verständigen Rat pünktlich gehorchen und mich in allem deinen Befehlen fügen.« Bei diesen Worten konnte der Prinz seine Tränen nicht zurückhalten. - »Mein Herr«, antwortete Marsawan, »der Zweck meiner Reise hierher war kein anderer, als meinem Herrn, dem König Ghejjur, seine Tochter geheilt wieder zu geben, ich rate dir nun: bitte den König, deinen Vater, er möchte dir vergönnen, morgen mit mir auf die Jagd zu gehen. Willigt er ein, so besteigst du ein gutes Pferd und führst ein zweites neben dir her, ich tue desgleichen, und wir nehmen auch einen Sack Geld mit auf die Reise und flehen Gott um seinen Schutz an.

Am folgenden Morgen ging der Prinz Kamr essaman zu seinem Vater und bezeigte ihm seinen Wunsch, mit Marsawan auf die Jagd zu reiten. »Ich erlaube es gern«, antwortete der König, »jedoch nur unter der Bedingung, dass du nicht mehr als eine Nacht ausbleibest. Du weißt, dass ich fern von dir am Leben keine Freude habe und eine längere Abwesenheit würde mir Sorge machen: denn ich befinde mich in dem Zustande, welchen der Dichter beschreibt:

»Lebte ich im schönsten Wohlbehagen und besäße das Reich der Chosroen, ja die ganze Welt, so würde das alles in meinen Augen nicht den Wert der Flügel einer Mücke haben, wenn mein Auge dich nicht sähe.«

Der König ließ alles zu dem Ausfluge vorbereiten, vier Pferde satteln und einen Dromedar mit Wasser und Lebensmitteln bepacken. Hierauf nahm er von seinem Sohne Abschied, schloss ihn in seine Arme, küsste ihn und war voller Angst und Sorge. Er wollte ihm einen Diener mitgeben, aber Kamr essaman schlug es aus und ritt mit Marsawan hinweg.

Sie beschleunigten ihre Reise und ritten den ganzen Tag. Abends stiegen sie ab, stärkten sich mit Speise und Trank und ritten dann wieder die ganze Nacht durch bis zum Morgen.

Beim Anbruche des Tages befanden sie sich auf einem Kreuzwege. Marsawan tötete eines von den Pferden, zog ihm die Haut ab und begrub dieselbe samt den Knochen; das Fleisch aber nahm er und schnitt es in Stücke. Hierauf nahm er Kamr essamans Mantel, Oberkleid und Hemd, zerriß sie, färbte sie mit Blut und wickelte einige Stücke von dem Pferdefleisch hinein. Auf gleiche Weise machte er es mit seinem eigenen Oberkleid und warf die Fetzen hierhin und dorthin rechts und links auf den Kreuzweg. Kamr essaman fragte Marsawan, was er damit beabsichtige. »Mein Herr«, antwortete Marsawan, »nur dadurch kann unsere Sache gelingen, denn sobald der König, dein Vater, sehen wird, dass wir länger als eine Nacht ausbleiben, wird er uns nachreiten und uns einholen, oder Postboten nachschicken und uns aufsuchen lassen. Kommen sie nun bis hierher und finden diese zerrissenen Kleider und die Spuren von Fleisch und Blut, so werden sie nicht zweifeln, dass uns entweder Straßenräuber ermordet oder wilde Tiere gefressen haben. Der König wird die Hoffnung aufgeben, dich lebend wieder zu finden, und wir können indessen gemächlich unsere Reise fortsetzen.« - »Du hast wohl getan«, erwiderte Kamr essaman. - Sie setzten hierauf ihre Reise ohne ferneren Aufenthalt fort, bis ihnen endlich nach Verfluss geraumer Zeit die Inseln des Königs Ghejjur entgegenleuchteten. Dieser Anblick erfüllte sie mit großer Freude. Sie wünschten sich gegenseitig Glück, und Kamr essaman dankte dem Marsawan für das, was er getan.

G

In der Stadt angekommen, stieg Marsawan mit dem Prinzen vor einem Chan ab, woselbst sie drei Tage blieben. Am vierten Tage gingen sie zusammen ins Bad und als sie herauskamen, zog Marsawan dem Prinzen das Gewand eines Kaufmanns an, dann ließ er ihm eine goldene geomantische Tafel machen, welche mit Edelsteinen besetzt war, nebst anderen Instrumenten, wie sie Sterndeuter haben und sagte ihm: »Gehe jetzt, stelle dich unter das Tor des königlichen Palastes und rufe, du seist ein Sterndeuter. Der König wird dich sogleich kommen lassen und zu deiner Geliebten führen. Sobald diese dich sieht, wird sie geheilt sein, und der König, voll Freude, wird dich mit ihr vermählen und dir Anteil an seiner Regierung geben.« Kamr essaman merkte wohl auf alles, was Marsawan ihm angab, verließ den Chan in obigem Aufzug mit seinem Apparat, ging nach dem königlichen Palast und rief hier mit lauter Stimme: »Ein Sterndeuter, ein Sterndeuter.«

Die Neuigkeit verbreitete sich schnell in der ganzen Stadt und versammelte eine unzählige Volksmenge um den Prinzen Kamr essaman. Denn es war schon lange Zeit vergangen, dass sich ein Sterndeuter gemeldet hatte. »Wo denkst du hin, Herr?« sagten die Leute zu ihm, »setze dein Leben nicht einem gewissen Tode aus, um eine Prinzessin zur Frau zu bekommen; haben dich die Köpfe, die du dort siehst, nicht abgeschreckt? Um Gottes Willen, tu dies nicht!«

Aber der Prinz Kamr essaman wiederholte seinen Ausruf. »Du bist ein Eigensinniger«, riefen sie, »bei Gott, erbarme dich deiner Jugend!« - Kamr essaman rief zum dritten Mal: »Ein Sterndeuter, ein Sterndeuter!« und jetzt endlich kam der Großvezier des Königs und führte ihn hinein. Sobald der Prinz den König erblickte, warf er sich nieder und küsste den Boden vor ihm. Der König ließ ihn näher treten und sich neben ihn setzen. »Mein Sohn«, sagte er zu ihm, »nenne dich nicht einen Sterndeuter und unterwirf dich meiner Bedingung nicht, denn ich habe beschlossen, den hinrichten zu lassen, der zu meiner Tochter geht, ohne sie zu heilen und sie nur dem zur Frau geben, der sie heilt. Laß dich von ihrer Schönheit und Anmut nicht verleiten, denn bei dem erhabenen Gott, ich lasse dir den Kopf abschlagen, wenn du sie nicht heilst.« Kamr essaman erwiderte: »Ich unterwerfe mich deinen Bedingungen bereitwillig.«

Der König ließ ihn dies vor Zeugen erklären und befahl nun einem Diener, Kamr essaman zu der Prinzessin Bedur zu führen. Der Diener ergriff seine Hand und führte ihn durch den Gang. Kamr essaman eilte so schnell vorwärts, dass er strauchelte. Der Diener rief ihm zu: »Wo läufst du denn so schnell hin? Nicht einer von so vielen Sterndeutern, die ich hier gesehen, hat eine solche Eile bezeigt.« Kamr essaman sah den Diener an, und sprach folgende Verse:

»Ich kenne alle Vorzüge deiner Schönheit; sie haben mich ganz verwirrt, ich bin wie besinnungslos und weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Nenne ich dich Vollmond, so spreche ich unrichtig: denn der Vollmond ist dem Abnehmen unterworfen; deine Schönheit aber bleibt stets unvermindert.«

»Sage ich Sonne zu dir, so weiß ich, dass deine Schönheit sich nie vor meinen Augen verdunkelt, während die Sonne sich oft meinen Blicken entzieht.«

»Vollkommen, ohne Mangel sind deine Reize: sie zu beschreiben ist der Beredsamste unfähig und der Verständigste zu schwach.«

Der Diener ließ dann den Prinzen hinter einem Vorhang vor dem Zimmer der Prinzessin stehen. Kamr essaman sagte zu dem Diener: »Was willst du lieber, soll ich mit dir zu deiner Gebieterin hineingehen, oder soll ich sie von hier aus heilen?« Der Diener war höchst erstaunt über diese Frage und erwiderte: »Es ist besser, wenn du die Heilung von hier aus vollbringst.«

Kamr essaman setzte sich hinter den Vorhang, zog Tinte und Kalam heraus und schrieb folgenden Brief: »Gegenwärtiges ist der Brief eines Menschen, den Unglück verfolgt, den Liebespein verzehrt, den Schmerz und Kummer vor Sehnsucht vernichtet: für ihn ist jede Lebenshoffnung dahin, er sieht dem gewissen Tod entgegen. Nichts kann sein trauerndes Herz vom Gram befreien, und niemand vermag seinem von Kummer stets wachenden Auge beizustehen. Sein Tag vergeht ihm in Flammen und seine Nacht in Qualen. In der Schwäche seines Zustands wiederholt er folgende Verse:

»Ich schreibe dir mit einem Herzen, welches von deinem Andenken glüht, und mit Augen, welche die Sehnsucht entzündet hat, so dass sie Tränen vergießen.«

»Brennende Liebespein umhüllt meinen Leib mit dem Gewande der Magerkeit und erniedrigt ihn.«

»Ich klage die Liebe an um deswillen, was sie mir geschadet: denn nimmer länger bin ich im Stande, ihre Schläge zu ertragen.«

»O sei doch milde und huldreich gegen mich, erbarme dich mein und neige dich mir zu; nimm in deinen Schutz einen Jüngling, dessen Innerstes schon ganz zerrissen ist.«

Unter diesen Brief schrieb er noch folgendes: »Heilung der Herzen ist nur bei Wiedervereinigung der Geliebten, und ihre schrecklichste Qual ist die Trennung. Wer seinen Geliebten hintergeht, den wird Gott zur Verantwortung ziehen, und wer von uns beiden dem anderen treulos wird, dem möge keiner seiner Wünsche erfüllt werden. Du erhältst diesen Brief von dem, der sich nicht zu nennen braucht, um erkannt zu werden; an das schönste und lieblichste der Mädchen, vom treuen Liebenden an die grausame Geliebte, vom Verzweifelnden, Umherirrenden an die schmachtende Gazelle, an die vollkommene Jungfrau, die Perle ihres Geschlechts. Die Nächte bring' ich schlaflos zu, die Tage in düsterem Sinnen; zunehmend ist meine Magerkeit und Entstellung, gering meine Erholung und Ruhe. Ich habe keinen Freund und niemand teilt meinen Kummer. In meiner Brust brennt eine Flamme, die nicht zu ersticken ist; mein Inneres verzehrt eine Glut, die stets sich nur wilder anfacht. Heil wünsch' ich und Segen aus den unerschöpflichen Quellen der Gnade Gottes - dir, bei der mein Herz und meine Seele ist! Der Friede des Himmels sei mit dir, so lange das Siebengestirn über dein holdes Angesicht aufgeht!« Im Übermaß meines Hinsiechens schreibe ich dir:

»Voll Sehnsucht und Verwirrung schreibe ich dies aus schmerzbeengter Brust an den Halbmond, an die Sonne, an die Gazelle, an den Myrtenzweig.«

Und auf die Rückseite setzte er den Schluß:

»Forsche in meinem Brief und in meinen Schriftzügen nach: Sie werden dir von meinem peinlichen Zustande Kunde geben.«

»Während meine Hand schrieb, rannen Tränen aus meinen Augen, und der Kalam klagte meinen Schmerz dem Papier. Meine Tränen flossen unaufhaltsam auf das Papier, und als sie versiegten, folgte ihnen mein Blut.«

»Sei mir also huldreich, gewogen und günstig! Ich sende dir hiermit deinen Ring, sende du mir auch den meinigen.«

Als der Prinz Kamr essaman den Brief vollendet hatte, tat er den Ring der Prinzessin hinein und legte ihn zusammen. Hierauf gab er beides dem Diener und sagte zu ihm: »Geh' und bring dies deiner Gebieterin und öffne das Schreiben vor ihr.« Der Diener trat in das Zimmer der Prinzessin und öffnete das Schreiben vor ihr. Sobald sie es gelesen hatte, tat sie einen lauten Schrei, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand, zerriß die Kette, mit welcher sie angeschlossen war, lief nach der Türe und öffnete den Vorhang. Sie erkannte den Prinzen, der Prinz erkannte sie, und beide stürzten aufeinander zu und umarmten sich zärtlich und waren voll Verwunderung, wie sie sich nun nach ihrer ersten Zusammenkunft in jener Nacht wieder sahen. Der Diener staunte sie eine Weile an, dann entfernte er sich, um den König von China von dem Vorgang zu benachrichtigen. »Mein Herr«, sagte er zu ihm, »dieser Sterndeuter, der wackerste von allen, hat die Prinzessin geheilt, während er hinter dem Vorhang war.« Nachdem er nun dem König das Vorgefallene berichtet, machte letzterer sich freudig auf und begab sich zu seiner Tochter, die er auf dem Divan sitzend fand. Als sie ihren Vater erblickte, stand sie ehrerbietig auf, ging ihm entgegen und küsste ihm die Hand. Der König küsste sie auf dem Haupte und zwischen die Augen; desgleichen den Prinzen und dankte ihm und fragte ihn nach seinen Verhältnissen. Der Prinz sagte zu ihm: »Ich bin ein Prinz, Sohn eines Königs, mein Name ist Kamr essaman, mein Vater heißt Schah Seman und beherrscht die Kanarieninseln.« Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte, wobei er die Zusammenkunft mit der Prinzessin in jener Nacht heraushob, in welcher er den Ring von ihrem Finger genommen. Als der Prinz Kamr essaman geendigt hatte, rief der König erstaunt aus: »Bei Gott, diese Geschichte ist so außerordentlich, dass sie verdient, urkundlich aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert zu werden.« Die Vermählung wurde noch an demselben Tag gefeiert. Die beiden Liebenden sahen sich am Ziel ihrer Wünsche und erfreuten sich der Seligkeit ihrer Vereinigung.

Nach einiger Zeit dachte Kamr essaman an seine Eltern und sein Leben trübte sich. Eines Nachts hatte er einen Traum, in welchem er seinen Vater zu sehen glaubte, wie er ihm Vorwürfe machte und zu ihm sagte: »Mein Sohn, ist es auch recht, dass du so gegen deinen Vater handelst, der dir das Leben gegeben? Wie schnell hast du mich vergessen! Bei Gott! du musst wiederkehren, dass ich meine Sehnsucht nach dir stille, ehe ich sterbe!« Dieser Traum machte den Prinzen sehr traurig, und er teilte ihn seiner Gemahlin mit. Bedur ging zu ihrem Vater, küsste ihm die Hand und bat ihn um die Erlaubnis, mit Kamr essaman zu ihrem Schwiegervater reisen zu dürfen, da sie es keine Stunde ohne ihn aushalten könne. Der König von China gewährte seiner Tochter die Bitte und gestattete ihr, ein Jahr am Hofe des Königs Schah Seman zu bleiben; nach Verfluss desselben sollte sie zurückkehren und ihn jedes Jahr besuchen. Die Prinzessin versprach es, und der König gab Befehl zu den Anstalten der Reise; er machte Kamr essaman viele wertvolle Geschenke, empfahl ihm seine Tochter, ließ die Pferde und Kamele vorführen und reiste mit bis an die Grenzen seines Reichs. Dann nahm er von ihnen Abschied und kehrte nach seiner Hauptstadt zurück.

Ungefähr nach Verlauf eines Monats kam das neuvermählte Paar auf seiner Reise in eine große, grüne, fruchtbare Ebene, und da die Hitze außerordentlich drückend war, so beschloss Kamr essaman, hier zu lagern und sich und den Pferden Ruhe zu gönnen, und sie stiegen ab. Die Zelte wurden aufgeschlagen. Die Prinzessin Bedur schlief bald ein. Als Kamr essaman in ihr Zelt trat, fand er sie auf dem Rücken schlafend, nur von einem leichten Hemde und einer Kopfbinde bedeckt, und er ergötzte sich an ihrem Anblick. Dann bemerkte er einen Knoten am Bande ihrer Beinkleider, und als er ihn löste, fand er einen dunkelroten Stein, auf welchem zwei Zeilen ihm unbekannter Namen eingegraben waren. »Dieser Stein«, sagte er leise vor sich hin, »muß meiner Gemahlin sehr wert sein, sonst würde sie ihn nicht so sorgfältig bei sich tragen.« Um ihn besser betrachten zu können, trat er aus dem Zelte. Indem er ihn nun auf der Hand hielt, schoß plötzlich ein Vogel aus der Luft nieder, ergriff ihn und flog damit weg; doch erhob er sich nicht weit vom Boden.

Kamr essaman, sehr bestürzt darüber, lief auf den Vogel zu, wie er aber herankam, flog der Vogel auf. Der Prinz verfolgte ihn so von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel bis zum Abend, da schwang sich der Vogel auf den Gipfel eines hohen Baumes und ließ sich darauf nieder. Kamr essaman blieb erschrocken stehen. Er wollte umkehren, wußte aber nicht, von welcher Seite er gekommen war, bald ward es vollständig Nacht und er rief: Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück, legte sich dann unter den Baum und schlief. Am folgenden Morgen verließ der Vogel den Baum, und Kamr essaman lief ihm wieder den ganzen Tag nach, indem er sich von Kräutern nährte und aus Bächen trank, denn der Vogel flog nur langsam vor ihm her. Wunderbar, rief der Prinz aus, der Vogel lockt mich entweder in eine Einöde, in der ich umkomme, oder in ein bewohntes Land, wo ich Rettung finde. Die Nacht brachte der Vogel wieder auf einem Baume und der Prinz unter demselben zu. So trieb er es bis zum zehnten Tage. Endlich am elften Tage gelangte Kamr essaman mit dem Vogel in die Nähe einer großen Stadt. Hier verschwand der Vogel in einem Nu seinen Blicken. Kamr essaman näherte sich den Toren der Stadt, setzte sich vor denselben nieder, wusch Hände, Füße und Gesicht, ruhte ein wenig aus und dachte über sein unglückliches Schicksal nach. Dann ging er in die Stadt hinein, welche, wie er jetzt bemerkte, am Ufer des Meeres lag. Er schlenderte längs des Ufers hin, und nachdem er an verschiedenen Baumgruppen vorübergewandelt war, blieb er endlich vor der Türe eines Gartens stehen. Der Gärtner kam zu ihm heraus, hieß ihn willkommen und sagte: »Gelobt sei Gott, dass du den Bewohnern dieser Stadt glücklich entronnen bist; tritt herein!« Kamr essaman gehorchte und fragte den Alten: »Was ist es denn mit den Leuten dieser Stadt?« - »Wisse, mein Sohn, diese Stadt ist von lauter Götzendienern bewohnt, doch was führt dich hierher?« Da erzählte ihm Kamr essaman, was ihm widerfahren. Der Alte erstaunte sehr darüber und sagte: »Mein Sohn! man braucht zur See vier Monate, um auf islamitisches Gebiet zu gelangen, zu Land aber ein volles Jahr!« Dann sagte er ihm: »Jedes Jahr geht ein Schiff nach der Ebenholzinsel ab, von wo aus du nach den Kanarieninseln gelangen kannst.« Nach einigem Bedenken hielt es Kamr essaman für das beste, bis zur Abfahrt des Schiffes nach der Ebenholzinsel in diesem Garten zu verweilen. Er blieb also da und half dem Gärtner in seinen Gartenarbeiten; die Nacht aber brachte er bei der Erinnerung an seinen Vater und an seine Geliebte mit Seufzen, Klagen und Weinen hin. So viel von Kamr essaman.

Was die Prinzessin Bedur betrifft, so war dieselbe sehr verwundert, als sie beim Erwachen den Prinzen Kamr essaman nicht fand und bemerkte, dass der Knoten an den Beinkleidern gelöst und der Stein nicht mehr darin war. Sie sagte: »Bei Gott, ich glaube, Kamr essaman hat ihn genommen, und er kennt dessen Geheimnis nicht, es muß ihm was zugestoßen sein, sonst würde er nicht fern von mir weilen. Gott verdamme den Stein«, rief sie aus, »und die Stunde, in welcher er solches Unheil herbeigeführt.«

Die Prinzessin Bedur dachte dann über ihren Zustand nach und sagte zu sich selbst: »Wenn ich hinausgehe und dem Gefolge sage, dass ich meinen Gatten vermisse, so wird es lüstern nach mir werden, und ich bin doch nur ein Weib.« Sie stand daher schnell auf, zog Kamr essamans Kleider an, setzte seine Kopfbedeckung auf, legte seine Sandalen an, ergriff seine Keule und warf ein Tuch um ihr Gesicht. Dann befahl sie einer ihrer Sklavinnen, den Kamelsattel einzunehmen, auf welchem sie die Reise bis hierher gemacht hatte, bestieg ein Pferd, das sie den Dienern ihr vorzuführen befahl, ließ die Kamele bepacken und reiste weiter, ohne dass jemand von der Veränderung etwas bemerkte; denn ihre Person hatte große Ähnlichkeit mit der des Prinzen Kamr essaman.

Die Reise ging nun fort, bis man an eine Stadt am Ufer des Meeres gelangte. Die Prinzessin stieg vor den Toren ab, ließ ihr Lager aufschlagen, erkundigte sich nach dem Namen der Stadt und ihres Beherrschers und erfuhr, dass sie vor der Hauptstadt des Reichs der Ebenholzinseln angekommen sei, deren König Armanus heiße und der eine Tochter mit Namen Hajat Alnusus habe. Als der König Armanus von der Ankunft der Fremden hörte, schickte er einen Boten, um zu hören, wer die Ankömmlinge seien und was sie hierher geführt habe. Der Bote brachte die Nachricht, es sei der Sohn des Königs Schah Seman, welcher auf der Rückkehr in seine Heimat sich verirrt habe und seinen Weg nach den Kanarieninseln fortzusetzen wünsche. Der König Armanus ging sogleich, von seinen Großen umgeben, Bedur entgegen, und nach gegenseitiger Begrüßung führte er sie in die Stadt und bot ihr seinen Palast zur Wohnung an. Er ließ ihr Lager abbrechen und ihre Dienerschaft nebst allem, was sie mit sich führte, in seinem Palast unterbringen. Er bewirtete sie drei Tage hindurch, und als die drei Tage verflossen waren, kam der König Armanus zu ihr. Sie war eben aus dem Bade gestiegen, hatte ihr Gesicht unverhüllt und trug einen seidenen Kaftan, der mit Gold durchwirkt war. Der König sprach zu ihr: »Mein Sohn, wisse, dass ich ein bejahrter Greis bin ohne männliche Nachkommen, aber ich habe eine Tochter, welche dir, gelobt sei Gott! an Schönheit und Anmut nahe kommt. Da ich nun zu schwach bin, um noch länger zu regieren, so könntest du wohl in meinem Lande dich niederlassen, meine Tochter heiraten, ich übergebe dir die Regierung und begebe mich in den Ruhestand.«

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Die Prinzessin Bedur senkte ihren Kopf zur Erde, um die Schamröte zu verbergen, welche ihr Schweißtropfen auf die Stirne trieb. Was soll ich tun? dachte sie; ich bin ja selber ein Weib. Weigere ich mich, so bin ich meines Lebens nicht sicher, der König wird mir nachstellen lassen, mich in seine Gewalt bringen und mein Geheimnis entdecken, und ich weiß ja nicht, was aus meinem Geliebten geworden ist. Es bleibt mir also nichts übrig, als hier zu bleiben und zu erwarten, wie der Himmel weiter hilft.

Sie erhob daher ihr Haupt wieder und gab ihre Zustimmung zu erkennen. Der König war sehr erfreut darüber und ließ das freudige Ereignis in seinem ganzen Reiche bekannt machen und sowohl in seiner Hauptstadt als auf den umliegenden Inseln Feste veranstalten. Auch versammelte er seinen Rat, entsagte in Gegenwart desselben der Regierung zugunsten seines Eidams, der in königlichem Ornat erschien, und die Großen seines Reiches, die obersten Staatsbeamten und die Truppenbefehlshaber huldigten der Prinzessin Bedur, welche alle für einen Prinzen hielten. Hierauf ordnete der König die Ausstattung und die Hochzeitsfeierlichkeiten an, und am Abend wurde Prinzessin Hajat al Rufus ihrem vermeintlichen Bräutigam zugeführt, und sie glichen zwei Monden. Als hierauf Bedur sich in das Brautgemach begab, fiel ihr die lange Trennung von ihrem geliebten Kamr essaman schwer aufs Herz. Sie seufzte und setzte sich schweigend neben Hajat al Rufus und küsste sie; dann stand sie auf, wusch ihre Hände und betete so lange, bis Hajat al Rufus die Augen schloß. Dann legte sie sich neben ihr nieder, kehrte ihr den Rücken zu und erwartete den Anbruch des Morgens.

Da begab sich der König Armanus und seine Gemahlin in das Gemach ihrer Tochter und erkundigten sich, wie es ihr in der verflossenen Nacht ergangen sei und sie erzählte ihnen, was sich zugetragen hatte. Da sprach der König Armanus zu ihr: »Meine Tochter, das muß dir keinen Kummer machen. Der Prinz Kamr essaman dachte wahrscheinlich an seinen Vater und seine Familie und gab sich deshalb nicht der Liebe hin, in der kommenden Nacht wird es anders werden.« Die Prinzessin Bedur beschäftigte sich den Tag hindurch mit Annahme der Glückwünsche ihrer Veziere, Emire und Truppen, denen sie freundlich zulächelte. Sie verteilte Ehrenkleider und andere Geschenke und vermehrte die Lehengüter der Emire, gab Befehle und erließ Verbote, erwarb sich den Beifall und die Liebe aller.

Es war schon Abend, als sie den Divan entließ und sich wieder in den Palast der Königin Hajat al Nufus begab. Beim Eintritte fand sie dieselbe auf einem Divan sitzend, neben welchem eine Wachskerze brannte. Bedur setzte sich neben sie und küsste sie auf die Wangen, dann fiel ihr wieder ihr Geliebter ein, sie erhob sich, begann ihr Gebet zu verrichten, machte es aber wieder so lange, dass Hajat al Nufus darüber einschlief. Jetzt legte sie sich neben sie und schlief auch. Am folgenden Morgen stand sie auf, legte den königlichen Schmuck an und begab sich wieder in die Versammlung des Staatsrates. Der König Armanus ermangelte auch diesen Morgen nicht, seine Tochter zu besuchen, und fragte sie nach ihrem Zustande und sie erzählte ihm wieder, was sich ereignet hatte. Da sagte er zu ihr: »Meine Tochter, habe noch Geduld bis zur nächsten Nacht! Benimmt er sich nochmals so, so will ich ihn wieder absetzen und aus meinem Lande verbannen.«

Es war schon Nacht, als Bedur wieder zu Hajat al Nufus kam, welche wieder dasaß bei einer brennenden Wachskerze und wie der Vollmond aussah. Sie betrachtete sie, dachte dabei an ihren Geliebten, wusch sich, betete und wollte aufstehen; aber Hajat al Nufus sagte zu ihr: »Schämst du dich nicht vor meinem Vater und denkst du nicht an das Gute, das er dir erwiesen?« Bedur setzte sich wieder und sagte: »Was sagst du da?« »Was ich sage«, versetzte Hajat al Nufus, »hat man je einen von seiner Schönheit so eingenommenen Menschen wie du gesehen? sind etwa alle hübschen Männer so eingebildet? doch bei Gott, ich sage das nicht aus Verlangen nach dir, sondern aus Liebe und Mitleid. Wisse, der König, mein Vater, wartet nur noch den folgenden Tag ab. Er hat sich vorgenommen, wenn er von mir nicht erfährt, was er sich wünscht, dich morgen der Regierung zu entsetzen und davonzujagen, er könnte dich, wenn seine Entrüstung zu heftig wird, sogar ums Leben bringen. Ich habe dir jetzt meinen Rat erteilt: tue nun, was du willst.« Diese Rede setzte die Prinzessin Bedur in Verlegenheit. Sie senkte ihr Haupt und überlegte: Widersetze ich mich, so bin ich verloren. Nun bin ich aber doch Königin der Ebenholzinseln. Mein Gemahl, der Prinz Kamr essaman muß auf dem Wege nach dem Reiche seines Vaters notwendig hierher kommen.

Nachdem Bedur auf diese Weise überlegt hatte, sagte sie mit ihrer natürlichen Frauenstimme: »Geliebte Prinzessin, was ich getan habe, ist nicht freiwillig, sondern gezwungen geschehen.« Sie vertraute ihr dann ihre Lage an, erzählte ihr ihre ganze Geschichte. Zu gleicher Zeit entblößte sie ihren Busen und fuhr fort: Du siehst, ich bin ein Weib wie du, und bat sie, ihr Geheimnis zu bewahren, bis der Prinz Kamr essaman ankommen wird. Hajat al Nufus fühlte das innigste Mitleid mit der Prinzessin. Sie versicherte dieselbe, dass sie keinen sehnlicheren Wunsch habe, als sie möchte mit ihrem Gemahl bald wieder vereinigt werden. Hierauf umarmten die beiden Prinzessin einander zärtlich, scherzten und lachten bis sie einschliefen. Kurz vor dem Morgengebete stand Hajat al Nufus auf und traf alle Anstalten, um die Ihrigen über das Vorgefallene zu täuschen und Jubelgeschrei ertönte aus dem Munde der Sklavinnen. Die Prinzessin Bedur begab sich nach wie vor in die Versammlung des Divans, und fuhr fort zu regieren. So verging eine geraume Zeit, während welcher Bedur ihre Tage mit Staatsangelegenheiten und ihre Abende in freundlichen und vertraulichen Gesprächen mit der Prinzessin Hajat al Nufus zubrachte.

Während diese Dinge auf der Ebenholzinsel vorgingen, war der Prinz Kamr essaman noch immer in der Stadt der Götzendiener bei dem Gärtner, der ihn aufgenommen hatte. Sein Vater aber, der König Schah Seman, war äußerst niedergeschlagen, als er ihn die ersten Nächte nicht von der Jagd zurückkommen sah. Mit der größten Ungeduld erwartete er den dritten Morgen. Sogleich mit Tagesanbruch bestieg er ein Pferd, nahm eine große Zahl Soldaten mit sich und verteilte sie nach verschiedenen Seiten und bestimmte ihnen den Kreuzweg zum Sammelplatz. Auf diese Weise streiften sie mehrere Tage umher. Am dritten Mittag endlich kamen sie bei dem Scheidewege zusammen. Da erblickten sie die zerrissenen Kleider und die Spuren von Fleisch und Blut. Als er dies sah, stürzte er mit dem Ausruf: »Wehe, mein Sohn!« ohnmächtig zu Boden. Nachdem er durch seine Leute, welche ihm Wasser ins Gesicht spritzten, wieder zu sich gebracht worden war, schlug er mit geballten Fäusten gegen sein Haupt, zerriß seine Kleider und glaubte fest, dass er seinen Sohn auf immer verloren habe. Die Leute des Königs stimmten in die Klagen des Vaters mit ein, zerrissen gleichfalls ihre Kleider, streuten Erde auf ihr Haupt und schrien und weinten, bis die Nacht hereinbrach. Verzweiflung im Herzen und dem Tode nahe, kehrte der König in seine Hauptstadt zurück und ließ auf allen Inseln seiner Herrschaft ausrufen, dass man wegen des Todes seines Sohnes Trauerkleider anlege, er ließ auch ein Gebäude aufführen, das er das Haus der Trauer nannte, und brachte außer den zwei Wochentagen, an welchen er die Regierungsangelegenheiten besorgte, alle seine Zeit weinend und Trauergedichte rezitierend, daselbst zu.

Indessen hatte der Prinz Kamr essaman den Gärtner, bei welchem er sich aufhielt, in seiner Arbeit unterstützt. Eines Morgens, als er wieder in seine Geschäfte gehen wollte, hielt ihn der Gärtner davon ab. »Die Götzendiener«, sagte er zu ihm, »haben heute ein großes Fest, deshalb magst du auch feiern. Ich lasse dich hier, und da die Zeit herannaht, dass das Schiff, von welchem ich dir gesagt habe, nach der Ebenholzinsel unter Segel gehen wird, so will ich mich nach dem Tage seiner Abfahrt erkundigen, und zugleich dafür sorgen, dass du mitfahren kannst.« Als der Prinz Kamr essaman allein war, tauchte die Erinnerung an sein Schicksal wieder in ihm auf; er wandelte im Garten umher, bis er auf einem Baume zwei Vögel erblickte, die miteinander in Streit waren. Einer derselben hackte dem anderen mit dem Schnabel den Hals ab, so dass er tot vom Baume herabfiel, worauf jener sich wieder in die Luft schwang und verschwand. Sogleich kamen von einer anderen Seite zwei große Vögel, setzten sich, der eine zu dem Haupte, der andere zu den Füßen des Toten, betrachteten ihn eine Weile kopfschüttelnd, kratzten ihm dann mit ihren Klauen ein Grab und legten ihn hinein. Sobald die beiden Vögel das Grab zugescharrt hatten, flogen sie weg, kamen aber nach kurzer Zeit wieder und hielten mit ihren Schnäbeln den Vogel, der den ersten getötet hatte. Sie schleppten ihn auf das Grab des Ermordeten, knieten auf ihn und hackten so lange auf ihn los, bis er tot war. Zuletzt rissen sie ihm den Bauch auf, zogen die Eingeweide heraus, und ließen die zerstreuten Stücke des Leichnams liegen. Kamr essaman hatte mit großer Verwunderung zugesehen. Er näherte sich dem Platze, auf welchem der Kampf stattgefunden hatte, und indem er die Augen auf die zerstreuten Eingeweide warf, sah er aus dem Magen des getöteten Vogels etwas Rotes hervorragen, das wie Feuer glitzerte. Er hob den Magen auf, trocknete ihn ab und fand, dass der Stein darin war, der seine Trennung von seiner Geliebten verursacht. Außer sich vor Freude, warf er sich zur Erde nieder und rief: »Bei Gott, das ist ein gutes Zeichen! Ich nehme es als Vorbedeutung, dass der Himmel beschlossen hat, mich wieder mit meiner Geliebten zu vereinigen.« Nach diesen Worten küsste er den Edelstein, drückte ihn an sich und legte sich schlafen. Am folgenden Morgen umgürtete sich Kamr essaman, nahm eine Hacke und einen Korb und durchstreifte den Garten, bis er an einen Johannisbrotbaum gelangte. Als er nun einen Ast der Wurzel durchhieb, traf er auf etwas, das einen hellen Klang gab. Er räumte die Erde weg und entdeckte eine große eherne Platte, unter welcher er, nachdem er sie rings herum frei gemacht und aufgehoben hatte, eine ausgehauene Treppe von zehn Stufen fand. Er stieg hinab und kam in ein Gewölbe in Form eines großen Saals, in welchem er fünfzig große eherne Gefäße, wie Urnen gestaltet, rings herum stehen sah. Er nahm eine Hand voll davon und siehe da, sie waren voll mit Goldstaub, so fein wie Mehl. Da dachte er: das Unglück ist verschwunden, und das Glück ist wieder bei mir eingekehrt, stieg aus dem Gewölbe herauf, deckte die Platte wieder auf die Treppe und ging nach Hause.

Als der Gärtner nach Hause kam, rief er: »Gute Nachricht, mein Sohn! das Schiff ist ausgerüstet und wird in drei Tagen absegeln. Ich werde dir einen Platz belegen.« Kamr essaman erwiderte: »Ich kann dir auch eine Neuigkeit mitteilen, welche dir Vergnügen machen wird.« Er erzählte ihm hierauf von der Platte und den Urnen. Der Alte freute sich und sagte: »Ich bin schon achtzig Jahre hier - denn ich wohnte schon zu meines Vaters Lebzeit hier - ohne etwas Ähnliches zu entdecken; du bist noch nicht ganz ein Jahr hier. Das ist ein Beweis, dass dir Gott diesen Schatz beschert, um dein Unglück zu enden, und dich zu den Deinigen zurückkehren zu lassen.«

Der Prinz beteuerte aber, dass er durchaus nichts davon nehmen würde, wofern nicht der Gärtner die Hälfte für seinen Teil behielte, und so gingen sie miteinander hin und teilten sich jeder fünfundzwanzig Gefäße zu. Nach geschehener Teilung sagte der Gärtner zu Kamr essaman: »Mein Sohn, du musst auch eine Anzahl große Töpfe mit Oliven aus unserm Garten mitnehmen, denn die hiesigen sind so gut, dass sie nach allen Ländern versendet werden. Fülle die Töpfe zur Hälfte mit Goldstaub und lege die Oliven oben darauf; und lasse sie auf das Schiff bringen.« Kamr essaman befolgte diesen Rat und verpackte fünfzig Töpfe und stellte sie unter die Mauer des Gartens, nachdem der Gärtner einen Platz für ihn auf dem Schiffe bestellt hatte, auf welchem noch andere Kaufleute sich befanden. Er unterhielt sich hierauf mit dem Gärtner, dachte dann an seine Geliebte und sagte zu sich selbst: wird sie wohl in ihre Heimat zurückgekehrt sein, oder ihre Reise nach der meinigen fortgesetzt haben, oder ist ihr gar ein Unglück widerfahren? Wehe! Wehe! o meine Geliebte! Er wünschte, dass die Zeit bis zur Abfahrt schon zu Ende ging und erzählte dem Gärtner die Geschichte von den Vögeln und dem Edelsteine, worüber dieser sehr erstaunte. In der folgenden Nacht wurde der Gärtner krank; die Krankheit nahm am zweiten Tage überhand, und am dritten Morgen befand er sich noch schlechter. Kamr essaman war sehr betrübt darüber. Da kamen Leute zu dem Gärtner und sagten: »Das Schiff ist zur Abfahrt bereit; wo ist der Reisende, den wir nach den Ebenholzinseln mitnehmen sollen?« - »Ich bin es selber«, antwortete Kamr essaman. »Der Gärtner liegt krank und bewußtlos, traget diese Töpfe inzwischen auf das Schiff.« Die Matrosen trugen die Töpfe fort und stellten sie beiseite und sagten zu Kamr essaman: »Verfehle nicht, unverzüglich nachzukommen; der Wind ist günstig.«

Er ließ dann all sein Gepäck und seinen Proviant auf das Schiff bringen und ging wieder zu dem Gärtner hinein, um ihm Lebewohl zu sagen, aber er fand ihn in den letzten Zügen, und kaum hatte er ihn noch sein Glaubensbekenntnis hersagen lassen, so sah er ihn verscheiden. Kamr essaman drückte ihm die Augen zu, wusch den Leichnam, kleidete ihn in das Totengewand und beerdigte ihn. Als er damit fertig war, neigte sich der Tag bereits zu seinem Ende. - Mit brennendem Herzen lief er nun nach dem Hafen, um sich einzuschiffen; aber als er ankam, fand er das Schiff nicht; es hatte längst die Segel gespannt und war bereits außer Sicht. Die Kaufleute hatten bereits drei Stunden auf ihn gewartet, waren aber dann, da der Wind günstig war, ohne ihn abgereist.

Kamr essaman geriet ganz außer sich, streute Erde auf sein Haupt und schlug sich auf die Brust und ins Gesicht. Er kehrte dann nach dem Garten zurück und mietete denselben von dem Eigentümer. Er nahm einen Arbeiter in Dienst, welchen er lehrte, wie er die Pflanzen begießen sollte, dann begab er sich in das unterirdische Gewölbe und tat den Goldstaub in fünfzig andere Krüge, die er oben mit Oliven füllte und gab die Hoffnung auf, vor Ablauf eines Jahres abreisen zu können, denn man sagte ihm, dass kein zweites Schiff in diesem Jahre mehr abgehen würde. Er war außer sich vor Schmerz und weinte Tag und Nacht, denn auch den Edelstein hatte er mit dem Golde verpackt, das auf das Schiff gebracht worden war. - Mittlerweile setzte das Schiff seine Fahrt mit sehr günstigem Winde fort und langte glücklich in der Hauptstadt der Ebenholzinsel an. Das Schicksal wollte, das die Königin Bedur gerade am Fenster stand und zusah, wie das Schiff vor Anker ging. Da pochte ihr Herz und ihr Innerstes geriet in die größte Aufregung. Sie ließ alsbald Pferde vorführen und ritt in Begleitung mehrerer Emire und Kammerherrn nach dem Hafen und kam gerade dort an, als die Waren ausgeschifft und von den Kaufleuten in ihre Magazine gebracht worden. Sie ließ den Schiffshauptmann vor sich kommen und fragte ihn, was er mitgebracht habe. Dieser nannte ihr unter anderen Waren kostbare Stoffe, Spezereien und Wohlgerüche, Moschus, Ambra, Kampfer, Oliven u. s. w. Als die Prinzessin Bedur von Oliven hörte, welche sie leidenschaftlich liebte, so sagte sie, um die wahre Absicht, welche sie herbeigeführt hatte, durch längeren Aufenthalt nicht zu verraten: »Bei Gott! nach Oliven sehne ich mich schon lange; wieviel hast du an Bord?« - Es sind fünfzig sehr große Krüge«, antwortete der Schiffshauptmann, »aber der Eigentümer ist nicht mitgekommen: doch mag der König, den Gott bewahre, davon so viel nehmen, als ihm beliebte.« »Bringet sie her!« sagte Bedur.

Der Hauptmann schickte seine Leute nach dem Schiff und ließ die Oliven holen. Die Prinzessin erklärte ihren Wunsch, alle fünfzig Krüge zu kaufen und fragte nach dem Preise. »Mein Herr«, antwortete der Schiffshauptmann, »in dem Lande, aus dem sie kommen, sind sie gar nichts wert; dort kosten fünfzig Krüge hundert Dirham und ihr Eigentümer ist nur ein armer Mann.« »Und was sind sie hier wert?« fragte Bedur. »Tausend Dirham«, antwortete der Schiffshauptmann. »Wohl«, sagte Bedur, »ich nehme sie für tausend Dirham«, und nachdem sie in ihrer Gegenwart die Krüge wegtragen lassen, kehrte sie nach dem Palaste zurück und begab sich zu Hajat al Nufus, und sie ließ die fünfzig Olivenkrüge bringen. Sie öffnete einen und leerte den Inhalt des Gefäßes in eine große Schüssel. Ihr Erstaunen konnte nicht größer sein, als sie die Oliven mit Goldstaub vermischt sah. »Was ist das?« rief sie aus, stand auf und leerte auch die anderen Krüge aus, und, siehe da! alle waren mit Goldstaub gefüllt und nur einige Oliven darauf gelegt. Als sie das Gold näher untersucht, fand sie zuletzt auch noch ihren Edelstein und erkannte ihn. Bei diesem unerwarteten Anblick war ihre Überraschung so groß, dass sie ohnmächtig auf den Divan zurücksank.

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Sobald Bedur ihrer Sinne wieder mächtig war, sprach sie zu Hajat al Nufus: »Dieser Stein ist die Ursache der Trennung von meinem Geliebten gewesen: er wird nun auch, so Gott will, unsere baldige Wiedervereinigung herbeiführen.«

Die Prinzessin Bedur konnte den Morgen kaum erwarten, und schickte, sobald es Tag war, hin, und ließ den Schiffshauptmann holen. Als er gekommen war, sagte sie zu ihm: »Wehe dir! wo hast du den Eigentümer der Oliven gelassen?« Der Schiffshauptmann antwortete: »Der Eigentümer der Oliven ist ein Gärtner in der Stadt der Götzendiener.« »Bei dem erhabenen Gott.« sagte die Prinzessin Bedur, »wenn du nicht sogleich zurückkehrst und mir ihn herbringst, so wirst du sehen, was dir und den Kaufleuten, welche mit deinem Schiff angekommen sind, widerfährt!« Sie ließ dann die Magazine der Kaufleute versiegeln und die Vornehmsten unter ihnen bewachen und sagte: »Der Eigentümer dieser Oliven hat eine Schuld gegen mich abzutragen, wenn ihr ihn nicht herbringt, so lasse ich euch alle hinrichten und bemächtige mich eurer Güter.« Die Kaufleute baten den Schiffshauptmann, mit dem Schiffe sogleich wieder umzukehren, und sie von diesem König zu befreien, Gottes Lohn werde ihm nicht ausbleiben.

Der Kapitän ging sogleich auf sein Schiff, rief seine Matrosen herbei und ließ Lebensmittel an Bord schaffen, so viel er zur Reise nötig hatte, und ging unter Segel. Gott ließ ihn in Frieden ziehen, und nach einer glücklichen Fahrt kam er vor der Stadt der Götzendiener an und begab sich alsbald nach Kamr essamans Garten.

Kamr essaman hing seinem Schmerze über die Trennung von seiner Gattin nach, und weinte und stöhnte, als er an die Gartentüre pochen hörte. Er eilte hin, um zu öffnen, kaum aber hatte er dies getan, als der Kapitän und die Matrosen, ohne ein Wort zu reden, über ihn herfielen und ihn auf das Schiff brachten, welches dann unverzüglich wieder nach der Ebenholzinsel segelte.

Kamr essaman fragte jetzt den Kapitän, was ihn veranlasse, ihn so gewaltsam zu entführen. »Bist du nicht der Schuldner des Königs der Ebenholzinsel?« fragte ihn dagegen der Kapitän. Kamr essaman erwiderte: »Ich habe nie sein Königreich betreten.« - Sie fuhren dann immerfort, bis sie wieder zur Hauptstadt kamen. Ob es gleich schon Nacht war, als sie in dem Hafen ankerten, so stieg der Kapitän dennoch ans Land und führte den Prinzen Kamr essaman zum König.

Sobald Bedur den Prinzen erblickte, erkannte sie ihn sogleich. Doch tat sie sich Zwang an und sagte: »Laßt ihn bei meinen Dienern.« Darauf gab sie den Kaufleuten ihre Waren frei und machte dem Kapitän des Schiffs reiche Geschenke, ging zu Bette und erzählte alles Hajat al Nufus und sagte zu ihr: »Halte ja alles verborgen, bis ich meinen Zweck erreicht habe.« Am anderen Morgen ließ sie Kamr essaman ins Bad führen und anständig kleiden, ernannte ihn darauf zum ersten Emir, und schenkte ihm Mamelucken, Diener, Pferde und Schätze und alles, was sonst ein Emir bedarf. Kamr essaman kam aus dem Bade wie der Zweig eines Ban; er ging ins Schloss und küsste die Erde vor der Prinzessin. Als Bedur ihn sah, mußte sie sich wieder viel Gewalt antun, um ruhig zu erscheinen; sie nahm ihm die Emirstelle ab, machte ihn zum Schatzkämmerer und näherte sich ihm so viel wie möglich; sie machte allen Großen seinen Rang bekannt, und alle liebten und verehrten ihn, und machten ihm viel Geschenke. Bedur brachte ihn sich immer näher, überhäufte ihn mit Geschenken und Kamr essaman war nicht wenig erstaunt darüber und konnte es sich gar nicht erklären. Auch machte er viele Geschenke, teilte Geld aus und diente dem König Armanus, und näherte sich ihm mehr und mehr, bis er ihn heftig liebte; auch alle Großen und alle Stadtbewohner liebten ihn sehr und schworen bei seinem Leben. Als die Königin Bedur sah, dass er alle Herzen gewonnen, sagte sie zu ihm: »Kamr essaman, du musst diese Nacht bei mir zubringen; ich habe etwas mit dir zu beraten.« Er sagte: »Ich werde gehorchen.« Als es Nacht war und alle Leute weggingen, blieb Bedur allein mit ihm und stellte den Obersten der Verschnittenen an die Türe; sie setzte sich auf ein Sofa und lehnte sich an ein Kissen und streckte ihre Füße aus. Kamr essaman blieb unten stehen mit gefalteten Händen; er war sehr verlegen und dachte, warum will wohl der König mit mir allein bleiben; doch es geschehe, was Gott will! Bedur sagte ihm: »Komm herauf zu mir!« Kamr essaman aber antwortete: »Mein Platz hier ist gut.« Sie sagte: »Willst du nicht gehorchen, wenn ich dir etwas zu sagen habe?« Er wiederholte: »Ich stehe hier ganz gut.« Da sagte sie: »Wehe dir! darfst du wohl mir widerspenstig sein? Komm zu mir her, dass ich dich um Rat frage.« Kamr essaman trat ängstlich zu ihr hin und fürchtete, der König möchte Ungebührliches von ihm verlangen. Nachdem er sich aber eine Weile geängstigt hatte, gab sich ihm Bedur zu erkennen; worauf sie sich umarmten und sich gegenseitig erzählten, was ihnen seit ihrer Trennung widerfahren. Kamr essaman machte dann seiner Gattin Vorwürfe, dass sie ihre Verstellung so lange fortgesetzt, sie bat ihn um Entschuldigung, indem sie ihm sagte: durch diesen Scherz, den sie sich erlaubt, sei die Freude nachher um so größer geworden.

Am folgenden Morgen ließ Bedur den König Armanus zu sich rufen und teilte ihm ihre ganze Geschichte und ihr Verhältnis zu Kamr essaman mit. Er war sehr erstaunt, als er erfuhr, dass er seine Tochter mit einer Frau vermählt, und dass Kamr essaman der Sohn eines Sultans. Er wendete sich dann zu diesem und sagte ihm: »Da du König und Sohn eines Königs bist, so wünsche ich, dass du meine Tochter Hajat al Nufus zur Gattin nehmest.« Kamr essaman willigte ein und alsbald wurde der Heiratsvertrag geschrieben und die Ehe vollzogen.

Am folgenden Morgen teilte Kamr essaman unter den Truppen Geschenke aus und leitete alle Regierungsgeschäfte mit Unparteilichkeit, so dass der Ruf seiner Gerechtigkeit sich über alle Länder verbreitete. Die Nächte brachte er abwechselnd bei Bedur und bei Hajat al Nufus zu und vergaß ganz seinen Vater und seine Mutter. Er bekam zwei Söhne, einen von Bedur und einen von Hajat al Nufus, und nannte den einen Asad (der Glückselige), den anderen Amdjad (der Glorreiche). Als sie groß wurden, lernten sie Philosophie, schöne Wissenschaften und Kalligraphie, bis sie das männliche Alter von zwanzig Jahren erreicht hatten. Sie liebten einander sehr, schliefen in einem Bett, und alle Leute beneideten sie wegen ihrer Schönheit und Eintracht. Sooft Kamr essaman auf die Jagd ging, setzte er einen seiner Söhne, jeden Tag einen andern, auf den Thron. Die beiden Königinnen hatten eine unglaubliche Zärtlichkeit für sie, und wenn die Prinzen nach Hause kamen, sah jede der beiden Frauen den Sohn der anderen mit Liebe an. Bedur war ganz für Amdjad, und Hajat al Nufus für Asad eingenommen, und sie scherzten und liebkosten mit ihnen; denn der Teufel hatte ihnen ihr Betragen als schön vorgemalt, so dass jede von ihnen den Sohn der anderen an ihre Busen drückte und ihn küßte. Dadurch nahm ihre Leidenschaft immer mehr zu, und die liebenden Frauen konnten weder essen, noch trinken, noch schlafen. Eines Tages ging Kamr essaman auf die Jagd, und Amdjad saß auf dem Thron als Richter. Da schrieb ihm Bedur, die Mutter Asads, einen Brief, in dem sie ihm offen ihre Liebe erklärte. Sie schickte den Brief durch einen Diener nach der Wohnung der Königin Hajat al Nufus; aber der Diener fand ihn nicht dort, denn er hielt Sitzung bis nach zwei oder drei Uhr Mittags: dann erst gab er das Zeichen zum Aufbruch und schickte sich an, wegzugehen. Er war gerade auf den Treppen des Schlosses, da übergab ihm der Verschnittene den Brief. Amdjad öffnete ihn und las, dass die Frau seines Vaters ihm untreu werden wolle. Mit einem zornigen Ausrufe: »Gott verdamme die Weiber!« zog er das Schwert, ging auf den Diener los und sagte ihm: »Wehe dir, nichtswürdiger Diener! an dir ist nichts Gutes, du machst den Briefträger der Frau deines Herrn!« Er schlug ihm dann den Kopf herunter, ging zu seiner Mutter, erzählte ihr, was vorgefallen, schmähte sie und sagte: »Ihr seid alle eine schlimmer als die andere. Bei dem erhabenen Gott! fürchtete ich nicht Allah, ich würde ihr den Hals abschneiden.« Der Prinz ging dann zornig von ihr weg, seine Mutter aber ward ihm böse und dachte auf eine List gegen ihn.

Am folgenden Tage saß Asad auf dem Thron; da schrieb ihm Hajat al Nufus auch einen Brief, in dem sie ihn bat, zu ihr zu kommen, und sandte den Brief durch eine Alte. Diese wartete, bis die Sitzung zu Ende war, dann gab sie ihm den Brief. Als er ihn las, ward er sehr aufgebracht, zog sein Schwert und hieb die Alte mitten auseinander. Darauf ging er zu seiner Mutter, gab ihr den Brief hin und machte ihr Vorwürfe; aber sie schimpfte ihn und ward ihm feind, und sann darauf, ihn zu verderben. Asad erzählte dann die Geschichte seinem Bruder, und dieser sagte ihm auch, was ihm widerfahren. Die beiden Frauen aber kamen zusammen, hielten Rat, und beschlossen, ihre Kinder zu verderben. Sie legten sich ins Bett und stellten sich krank. Am folgenden Tage kehrte Kamr essaman von der Jagd zurück und brachte den Tag mit Regierungsangelegenheiten zu. Als der Divan aufgehoben war, kam er nach Hause und fand die beiden Frauen im Bette. Da er glaubte, sie seien krank, fragte er sie, wo es ihnen fehle? Bedur sagte: »Dein Sohn Amdjad ist zu mir mit entblößtem Schwert gekommen und hat mich zur Treulosigkeit zwingen wollen; davon erschrak ich so sehr, dass ich krank geworden bin.« Hajat al Nufus erzählte dasselbe von Asad. Kamr essaman war sehr aufgebracht gegen seine Söhne, und wollte sie umbringen. Der König Armanus aber bat für sie und sagte: »Mein Sohn, schicke sie lieber mit einem Mamelucken ins Freie, der soll sie umbringen, damit du ihren Tod nicht vor Augen siehst.« Der König übergab sie einem seiner Mamelucken, der Emir Djandar hieß, und befahl ihm, sie zu töten. Dieser ging mit ihnen bis zur Zeit des Nachmittagsgebets in eine öde Wüste; dann stieg er von seinem Pferde ab, um sie zu töten und dem erhaltenen Befehle gemäß ihre Kleider dem Könige zu bringen. Als er aber abgestiegen war, auf sie losging, um ihr Blut zu vergießen, und sie ansah, übermannte ihn die Rührung und er mußte weinen. Er sagte: »Prinzen, es tut mir sehr weh, euch etwas zuleide zu tun; doch euer Vater hat mir befohlen, euch umzubringen.« Sie antworteten: »Tu', was dir befohlen worden, du bist an unserm Blute nicht schuldig.« Sie umarmten sich dann und weinten. Asad sagte: »Mein Freund, laß mich nicht meines Bruders Amdjad Tod sehen, bring mich lieber zuerst um!« Sie weinten dann beide, und Emir Djandar mußte mit weinen. Asad sagte: »Das ist eine ruchlose Tat; doch es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott!« Sie sagten dann dem Emir Djandar: »Binde uns mit einem Strick fest zusammen, ziehe dein Schwert, haue kräftig zu, so dass wir, zusammen sterben.« Er antwortete: »Ich will euch gehorchen,« nahm dann weinend ein breiten Riemen, schlang ihn um die beiden, zog sein Schwert und sagte: »Nun, meine Herren, habt ihr noch etwas zu bestellen?« - »Ja«, erwiderten sie, »wenn du zu unserm Vater kommst, grüße ihn und sage ihm: deine Söhne haben dich von ihrem Blute freigesprochen; denn du bist im Irrtum über ihr Vergehen.« Djandar hob dann die Hand mit dem Schwerte auf, um sie zu töten. Durch die Bewegung seines Armes erschrak sein Pferd, zerriß den Zaum, sprang fort und floh ins Weite. Dieses Pferd war fünfhundert Dinare wert, und hatte einen goldenen Sattel mit einem ägyptischen Sattelknopf und Verzierungen von großem Wert. Als der Emir sein Pferd entfliehen sah, warf er das Schwert aus der Hand, denn er war ganz außer sich, und lief dem Pferde in einen Wald nach, stets weiter hinein. Das Pferd schlug auf den harten Grund mit seinen Hufen und wieherte; das hörte ein alter, häßlicher Löwe, der in diesem Walde hauste, er kam aus seiner Höhle, um zu sehen, was es gäbe. Als der Emir sah, dass er auf ihn loskam, erschrak er sehr; er wollte entfliehen, wußte aber nicht, wohin; auch hatte er sein Schwert nicht bei sich, denn er hatte es weggeworfen, als er dem Pferde nachlief, er sagte zu sich: »Das ist mir gewiss wegen Asad und Amdjad widerfahren.« Diesen ward indessen sehr heiß und sie wurden so durstig, dass sie Gott um Hilfe baten. Amdjad sagte: »Siehst du, mein Bruder, wie wir nun verdursten müssen, weil der Emir das Schwert weggeworfen hat und dem Pferde nachgelaufen ist. Nun sind wir hier gebunden, und wenn ein wildes Tier kommt, zerreißt es uns; besser, wir wären durch das Schwert umgekommen, als von einem wilden Tiere aufgefressen zu werden.« - »Habe Geduld, mein Bruder«, erwiderte Asad, »das Pferd ist gewiss nur entronnen, damit wir das Leben behalten; nur plagt uns der Durst sehr.« Er schüttelte und dehnte sich dann rechts und links, zersprengte seine Bande und befreite auch seinen Bruder, dann gingen sie an eine Quelle und stillten ihren Durst. Hierauf ergriff Amdjad Djandars Schwert, und sie gingen zusammen in den Wald, den Spuren des Pferdes folgend. Amdjad sagte: »Laß uns beisammen bleiben, es möchte ein Löwe hier sein.« Sie gingen dann miteinander und trafen gerade den Löwen, wie er über Djandar herfiel, mit der Tatze nach ihm langte und ihn zu Boden warf, während Djandar nach dem Himmel blickte. Amdjad sprang auf ihn zu und sagte: »Du bist gerettet, Emir Djandar!« und versetzte dem Löwen, der jetzt auf ihn lossprang, einen so gewaltigen Schlag, dass er tot niederfiel. Als Djandar aufstand, sah er, dass er den Söhnen seines Herrn, die er hatte töten wollen, seine Rettung verdanke. Er warf sich ihnen zu Füßen und sagte: »Meine Herren! ihr verdient nicht, dass euch Gewalt angetan werde. Bei Gott! das soll nie geschehen.« Sie aber sagten: »Nein, Emir Djandar, tu', was dir befohlen worden.« Sie fingen dann sein Pferd, gingen zum Walde hinaus an ihren frühern Platz und sagten dann wieder. »Tu', was unser Vater dir befohlen.« Djandar aber sagte: »Das verhüte Gott! Alles, um was ich euch bitte, ist, dass ihr nur euere Kleider auszieht und die meinigen dafür nehmt; ich gehe dann zum König zurück und sage, ich habe euch umgebracht, und ihr reist indessen von Land zu Land; denn Gottes Erde ist weit.« Sie taten, wie er ihnen geraten. Er wechselte dann mit ihnen die Kleider, gab ihnen, wovon sie leben konnten und nahm Abschied von ihnen. Darauf besudelte er die Kleider der Prinzen mit dem Blute des erschlagenen Löwen, und brachte sie dem König Kamr essaman. Dieser fragte: »Hast du sie umgebracht?« Djandar antwortete: »Ja, hier sind ihre blutigen Kleider.« Kamr essaman fragte weiter: »Wie haben sie ihren Tod ertragen?« Er antwortete: »Ich habe sie standhaft im Tode gefunden, und sie haben gesagt: Gottes Wille geschehe, wir sterben unschuldig, aber unser Vater ist an unserm Tode nicht schuld, denn er kannte die Wahrheit nicht.«

Kamr essaman ward sehr betrübt darüber, nahm die Kleider seiner Kinder, durchsuchte sie und fand in Amdjads Rock einen Brief. Er öffnete ihn und erkannte die Handschrift seiner Frau Bedur und fand auch Haare von ihr dabei. Er las den Brief und sah daraus, dass sie Liebe von ihm forderte, und er seinem Sohn Unrecht getan. Er durchsuchte dann auch die Kleider Asads, und fand auch darin den Brief, den seine Frau Hajat al Rufus geschrieben, und in dem sie ihn zu verführen suchte. Er schrie laut auf und fiel in Ohnmacht, denn er erkannte, dass er seine Söhne unschuldig verurteilt hatte. Er ward sehr traurig und betrübt darüber, und er sah daraus die List der Frauen, trennte sich von ihnen und besuchte sie nicht wieder.

Asad und Amdjad durchwanderten indessen die Wüste, aßen die Pflanzen des Bodens und tranken Regenwasser. Während der Nacht schlief der eine, und der andere wachte bis Mitternacht; dann schlief der zweite und der erste hielt Wache. So lebten sie einen ganzen Monat lang, bis sie endlich an einen schwarzen, felsigen Berg kamen, von dem man gar kein Ende sah. Sie fanden wohl einen Weg, der hinauf führte, aber sie scheuten sich, ihn einzuschlagen, weil sie auf dem Berge Mangel an Wasser und Pflanzen fürchteten. So gingen sie vier bis fünf Tage am Fuße des Berges umher, fanden aber gar keinen Ausweg und kamen endlich sehr müde wieder an ihren ersten Ort zurück. Da entschlossen sie sich, den Weg einzuschlagen, der auf den Berg führte. Sie stiegen den ganzen Tag immer aufwärts, je höher sie aber hinauf kamen, um so höher schien sich auch der Berg über sie zu erheben. Als die Nacht über sie hereinbrach, sagten sie: »Wir gehen zugrunde.« Asad sagte: »Mein Bruder! ich bin so müde, dass ich's nimmer aushalte, ich gebe den Geist auf.« Amdjad antwortete: »Mach dir Mut, mein Bruder! Vielleicht wird Gott uns helfen.« Asad aber war so müde, dass er sich setzen mußte, und so brachten sie die Nacht zu; bald gingen sie ein wenig, bald ruhten sie wieder. Des Morgens endlich erreichten sie den Gipfel des Berges und fanden dort eine sprudelnde Wasserquelle und einen Granatapfelbaum. Sie konnten kaum den Augenblick erwarten, wo sie über die Quelle herstürzen und sich satt trinken konnten. Dann ruhten sie, bis die Sonne aufging, wuschen hierauf ihre Hände und Füße und aßen Granatäpfel. Sie waren noch so müde, dass sie den ganzen Tag hier sitzen blieben und auch die Nacht durch hier schliefen.

Am folgenden Morgen wollten sie wieder weiter; aber Asad klagte und wollte noch bleiben; sie ruhten daher noch einen Tag, am dritten Tage setzten sie ihren Weg auf dem Berge fort. Nach fünftägiger Reise leuchtete ihnen aus der Ferne eine Stadt entgegen, was ihnen große Freude machte. Amdjad sagte zu Asad: »Laß mich nun in die Stadt gehen, um zu sehen, was es für eine Stadt ist und von wem sie beherrscht wird; ich will auch Speisen daraus mitbringen und mich erkundigen, in welchem Lande wir sind.« Asad entgegnete: »Bei Gott! mein Bruder, ich will in die Stadt gehen, und gerne gebe ich mein Leben für deine Rettung hin. Wenn du in die Stadt gingest und nicht mehr wiederkehrtest, würde ich mir tausend Vorwürfe machen.« Er beschwor dann seinen Bruder Amdjad und sagte: »Halte mich nicht länger auf, ich will in die Stadt gehen.« Er nahm Geld und stieg den Berg hinunter, Amdjad aber wartete hier seiner. Als Asad in die Straßen der Stadt kam, begegnete ihm ein alter Mann, dessen grauer Bart in zwei Teilen über seine Brust fiel; er trug einen Stock in der Hand, war sehr vornehm gekleidet und hatte einen roten Turban auf dem Kopfe. Asad sah ihn mit Verwunderung an, grüßte ihn und sagte: »Herr! führt dieser Weg auf den Markt?« Der Alte sah in lächelnd an und sagte: »Du scheinst hier fremd zu sein, mein Sohn!« Asad antwortete: »Ja, Herr, ich bin ein Fremdling.« Der Alte hieß ihn vielmals willkommen und sagte: »Du hast mit deiner Gegenwart unser Land beglückt; sage mir, was willst du auf dem Markte?« Asad antwortete: »Ich und mein Bruder, wir kommen von einem fernen Lande, und sind schon drei Monate auf der Reise. Während dieser Zeit sind wir ohne Unterbrechung fortgereist, und heute erst haben wir uns dieser Stadt genähert; ich habe meinen älteren Bruder auf dem Berge gelassen, weil er sehr müde ist von der weiten Reise, und bin herunter gekommen, um Nahrungsmittel zu kaufen, dann will ich wieder zu ihm zurückkehren.« - »Mein Sohn«, erwiderte der Alte, »erwarte nur alles Gute. Ich habe heute eine große Mahlzeit für viele Gäste zugerichtet und viele Tiere geschlachtet und unter sie verteilt. Noch ist aber das Beste von den Gerichten übrig geblieben, und wenn du mit mir nach Hause gehen willst, so gebe ich dir Brot und andere Speisen, bis du genug hast für dich und deinen Bruder. Ich werde dir auch während der Mahlzeit Auskunft über unsere Stadt geben. Gelobt sei Gott, dass du keinem anderen in die Hände gefallen bist, als mir!« Asad sagte: »Verfahre mit mir, wie es dir geziemt!«

Der Alte ergriff Asad bei der Hand, ging mit ihm in eine enge Gasse und sagte lachend: »Gelobt sei der, der von den Leuten dieser Stadt dich befreit hat.« Als er an sein Haus kam, führte er ihn in einen großen Saal, in dem vierzig steinalte Männer einen Kreis um ein Feuer bildeten, das sie als ihren Gott anbeteten. Asad erschrak sehr, als er dies sah, und wußte gar nicht, was es bedeute. Der Alte rief dann: »O ihr Alten, Diener des Feuers, wie gesegnet ist dieser Tag!« Dann rief er: »Ghadban! komm her!« Auf diese Worte erschien ein schwarzer Sklave, stürzte auf Asad zu, schlug ihn ins Gesicht, warf ihn zu Boden und fesselte ihn. Als er fertig war, sagte der Alte: »Trage ihn ins unterirdische Zimmer, rufe schnell meine Tochter Bestan und meine Sklavin und sage ihnen, dass sie ihn Tag und Nacht schlagen und peinigen, und ihm nur ein Laibchen Brot des Tags und eins jede Nacht geben, bis die Zeit zur Reise nach dem blauen Meere und dem Feuerberge kommt: dann wollen wir ihn auf dem Berge als ein Opfer schlachten.«

Sobald der Greis diesen Befehl gegeben hatte, ergriff der schwarze Sklave den Prinzen Asad, schleppte ihn zur Türe des Saales hinaus, zu einer anderen Türe hinein, hob eine Platte auf, ging eine Treppe von zwanzig Stufen mit ihm hinunter in ein großes Gemach, und legte ihm eine schwere Kette an die Füße. Als er dies getan, stieg er wieder hinauf und gab seinem Herrn davon Nachricht. Der Alte brachte diesen Tag mit seinen Feueranbetern zu, dann ging er zu seiner Tochter und Sklavin und sagte: »Steigt hinunter zu dem Muselmann, den ich heute gefangen habe, peiniget ihn und habet kein Mitleid mit ihm.« Die Sklavin sagte: »Wohl, mein Herr!« Sie ging dann zu ihm hinunter, entkleidete ihn und prügelte ihn, bis das Blut von seinen Seiten herunterlief und er ohnmächtig niedersank. Nach dieser Mißhandlung stellte sie einen Wasserkrug mit einem Laibchen trockenen Brotes neben ihn und ging wieder hinauf. Asad erwachte erst um Mitternacht aus seiner Ohnmacht und weinte so, dass die Tränen ihm über die Wangen herunterströmten; er dachte an seinen Bruder und an seinen frühern glücklichen Zustand als Prinz.

Als Amdjad indessen den ganzen Tag hindurch bis Mitternacht seinen Bruder vergebens erwartet hatte, ward er immer trauriger; sein Herz klopfte und er fürchtete, schon von ihm getrennt zu sein. Am folgenden Tage ging er den Berg hinunter, und Tränen strömten über seine Wangen. Er ging in die Stadt und fragte nach ihrem Namen; man sagte ihm, es sei die Stadt der Magier, und die meisten Einwohner beteten das Feuer an. Er erkundigte sich auch, wie weit es von hier nach den Ebenholzinseln sei, und man sagte ihm, zu Land brauche man ein Jahr und zu Wasser vier Monate, um dahin zu kommen, und dort regiere Kamr essaman, der Gemahl der Hajat al Rufus. Als er den Namen seines Vaterlandes und seines Vaters hörte, erwachte sein Schmerz aufs neue, und er ging traurig in der Stadt umher, um seinen Bruder aufzusuchen. Indem er nun so die Stadt durchstreife, kam er zu einem Schneider, der ein Muselmann war. Er grüßte ihn, setzte sich zu ihm in seinen Laden und teilte ihm seine Geschichte mit. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, sagte ihm der Schneider: »Mein Sohn, wenn dein Bruder in die Hand eines Magiers gefallen ist, so wirst du ihn nie mehr wieder sehen. Willst du nun bei mir bleiben?« Amdjad nahm das Anerbieten an. Er blieb dann etwa einen Monat bei demselben, der ihn wegen seines Bruders tröstete, ihm Geduld einflößte und ihn das Schneiderhandwerk lehrte.

Eines Tages ging Amdjad nach dem Meere hin und wusch seine Kleider, er badete sich auch, zog reine Kleider an und nahm wieder den Weg nach dem Laden des Schneiders; da begegnete ihm eine schöne, anmutige Frau; als sie ihn sah, hob sie den Schleier ein wenig in die Höhe und sagte: »Wohin gehst du, Herr?« und lächelte dabei so reizend, dass er seinen Verstand verlor. Er sagte: »Ich gehe nach Hause oder zu dir, wie du es wünschest.« Sie antwortete: »Gott strafe die Weiber! Sie haben keine andere Gelegenheit, als bei den Männern.« Amdjad beugte den Kopf gegen die Erde, denn er schämte sich, mit ihr zum Schneider zu gehen. In dieser Verlegenheit ging er immer vorwärts, und das Mädchen folgte ihm von einer Straße zur anderen und von einem Platz zum andern. Endlich fragte sie ihn: »Wo wohnst du denn?« - Er sagte: »Meine Herrin, wir werden bald an mein Haus kommen.«

G

In seiner großen Verwirrung geriet er endlich in eine Straße, die keinen Ausgang hatte, und sagte: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Gott.« Am Ende der Straße sah er ein großes, geschlossenes Tor, und auf jeder Seite desselben war eine Bank. Amdjad ging dahin und setzte sich auf eine Bank, und das Mädchen auf die andere. Sie sagte dann: »Worauf wartest du?« - »Ich habe den Schlüssel nicht«, antwortete er; »ich habe ihn einem Mamelucken gegeben, dem ich befohlen, Getränke und Speisen einzukaufen und alles herzurichten, während ich ins Bad ging. Nun ist er aber noch nicht zurückgekommen und wird wohl noch lange ausbleiben; es ist sonst niemand da, was soll ich tun?« Amdjad hoffte durch diese Worte sie zu vertreiben und von ihr befreit zu werden. Als das Mädchen dies hörte, sagte sie: »Ist es nicht eine Schande, hier zu sitzen, weil der Sklave zu lang ausbleibt?« Sie stand dann auf, nahm einen Stein, schlug das Schloss auf und die Türe öffnete sich. Amdjad kam ganz von Sinnen, er sagte: »Was fällt dir ein, das Schloss herunter zu reißen?« Sie antwortete: »Nun, mein Herr, ist dies nicht dein Haus? was tut das?« - »Es tut weiter nichts«, erwiderte er, »als dass eben das Schloss verdorben ist.« Er seufzte dann und jammerte; aber das Mädchen ging voran ins Haus. Amdjad blieb an der Türe, mit einem Fuße drinnen und dem anderen außen, in großer Verwirrung stehen. Das Mädchen sah sich nach ihm um und sagte: »Warum gehst du nicht in deine Wohnung? Er neigte den Kopf zur Erde und sagte: »Wohl, aber der Sklave bleibt gar zu lange aus; ich habe ihm gesagt, er solle kochen, das Zimmer aufräumen und den Marmor abputzen, und ich weiß nicht, ob er etwas von dem, was ich ihm befohlen, getan hat oder nicht.« Endlich ging er hinein. Er fand einen schönen, geräumigen Saal mit vier einander gegenüberliegenden Erhöhungen, mit Speisegemächern und anderen kleinen Kabinetten. Der Boden war mit seidenen Teppichen und Kissen bedeckt, und mitten im Saal war ein kostbarer Springbrunnen, daneben standen Tische und Schüsseln voll Speisen, Früchten und Wohlgerüchen, Flaschen von Wein und ein Leuchter mit festlichen Wachskerzen und Gefäße mit klarem und wohlriechendem Wasser gefüllt. In dem Saal sah man überall kostbare Waren und verschlossene Kästen. Auf den Erhöhungen standen zwei Reihen Stühle, und auf jedem derselben lag ein Bündel Kleider und ein Beutel mit Gold. Als Amdjad das alles sah, erschrak er, legte den Finger an den Mund und dachte: Amdjad, es ist aus mit dir! du kommst von Gott und kehrst wieder zu ihm zurück. Das Mädchen hingegen freute sich, als sie dies sah, und sagte: »Mein Herr, dein Sklave hat nichts vernachlässigt; er hat den Marmor gereinigt, das Fleisch gekocht und alles hergerichtet. Was stehst du so nachdenkend da? Hast du allenfalls eine andere hierher bestellt, so will ich mich umgürten und dich und sie bedienen.« Amdjad mußte ungeachtet seines Kummers über diese Worte lachen und dachte, schwer atmend: welchen schlimmen Tod werde ich erdulden müssen. Das Mädchen setzte sich neben ihn, scherzte und lachte. Amdjad war ernst und traurig und machte sich tausend Gedanken; er dachte: alles wird damit enden, dass der Hausherr kommt, und was wird der dazu sagen? gewiss geht's um meine Seele. Das Mädchen schürzte sich auf, nahm die Schüssel mit Speisen, deckte den Tisch und aß. Dann sprach sie zu Amdjad: »Wirst du mir nicht die Freude gönnen, zwei Bissen mit mir zu essen, denn dein Sklave bleibt gar zu lange.« Amdjad setzte sich endlich zu ihr, um zu essen, aber es schmeckte ihm nicht, er sah immer nach der Türe hin, bis das Mädchen gegessen hatte und satt war; dann tat sie die Schüssel weg, bracht die Platte mit Früchten und aß davon. Darauf öffnete sie den Weinkrug, füllte einen Becher und trank; dann füllte sie ihn wieder und reichte ihn Amdjad. Er nahm ihn und dachte: Wehe, wenn der Hausherr uns sieht. Er blickte immer ängstlich nach dem Gang, und auf einmal kam der Hausherr. Derselbe war Oberster aller Mamelucken des Königs der Magier und ihr Anführer; in dieser einsamen Wohnung ließ er sich oft wohl sein in Gesellschaft derjenigen, deren Umgang er liebte.

An diesem Tage nun hatte er gerade hierher geschickt, um alles herzurichten. Sein Name war Bahdar und er ein Mann der.... Gott bewahre jeden guten und ehrlichen Menschen vor seinesgleichen. Als er an den Saal kam und die Türe offen fand, schlich er ganz leise näher, streckte den Kopf hinein und sah hier Amdjad mit dem Mädchen an seiner Seite, und vor ihnen stand eine Platte mit Früchten und Weingefäßen. In diesem Augenblicke nahm gerade Amdjad den Becher in die Hand, sah nach der Türe und begegnete dem Auge des Hausherrn. Bei diesem Anblicke ward er ganz blaß und zitterte an allen Gliedern. Bahdar gab ihm dadurch, dass er den Finger auf den Mund legte, zu verstehen, er möge nur schweigen; dann gebot er ihm durch einen Wink mit der Hand, zu ihm zu kommen. Amdjad stand auf, setzte den Becher weg und sagte dem Mädchen, das ihn fragte, wo er hin wolle: er müsse sich einen Augenblick entfernen. Amdjad ging dann barfuß in den Gang. Als Bahdar ihn sah, ging er schnell auf ihn zu und sagte: »Wie kommst du hierher?« Amdjad küsste ihm die Hände und erwiderte: »Ich beschwöre dich bei Gott, Herr! höre mich an, ehe du mich zum Polizeimeister der Stadt führst.« Er erzählte ihm dann seine ganze Geschichte von Anfang bis zum Ende; wie er nicht gerne in das Haus haben gehen wollen; wie das Mädchen das Schloss aufgeschlagen und an allem schuld sei, und entdeckte ihm seine Herkunft. Als Bahdar die Rede Amdjads hörte und seine Abenteuer, und dass er ein König, Sohn eines Königs sei, bekam er Mitleiden mit ihm und erbarmte sich seiner. »Höre, Amdjad«, sprach er, »ich schwöre bei dem erhabenen, barmherzigen Gott, dass, sobald du dich meinem Willen in etwas widersetzest, ich dich umbringen lasse.« Amdjad sagte: »Du kannst befehlen, Herr, ich werde dir nie ungehorsam sein; bin ich doch von deinem Schwerte befreit und habe nichts von dir zu befürchten.« Da sage der Hausherr: »Gehe jetzt gleich wieder in den Saal und bleibe ruhig sitzen. Ich heiße Bahdar und werde später kommen. Wenn ich dann eintrete, so schimpfe, schmähe und schlage mich, und nimm gar keine Entschuldigung an; sage immer: wo bist du heute so lange geblieben, nichtswürdigster aller Sklaven? und behandle mich ohne alle Rücksichten. Jetzt geh', iß und trinke und mache dir Vergnügen; laß dir wohl sein die ganze Nacht durch, und morgen gehst du dann wieder deines Wegs. Ich will dich als Fremder auf diese Weise ehren, denn ich bin ein Freund der Fremden.« Amdjad küsste ihm darauf die Hand und ging wieder in den Saal zurück; seine Wangen hatten ihre Blässe verloren und waren wieder rot. Ehe er noch ganz im Saale war, sprach er zu dem Mädchen: »Meine Gebieterin! du hast diesem Orte viel Anmut verliehen.« Sie freute sich dieser Worte und sagte: »Ich wundere mich, dich endlich heiter zu sehen.« Er antwortete: »Bei Gott! Herrin, ich glaubte, mein Sklave habe mir einige Schnüre Edelsteine gestohlen, von denen jede zehntausend Dinare wert ist, doch habe ich sie wieder gefunden, aber sein langes Ausbleiben soll er schon büßen.« Dann setzten sie sich zu Tische und scherzten miteinander und aßen und tranken bis gegen Sonnenuntergang.

Bahdar wechselte seine Kleider, zog einen Schurz und grobe Schuhe an, und trat dann in den Saal zu Amdjad und dem Mädchen. Er grüßte sie, küsste die Erde vor Amdjad, kreuzte die Arme und neigte den Kopf zur Erde. Amdjad aber sah ihn zornig an und sagte: »Wehe dir, du verfluchtester aller Sklaven! wo bist du gewesen? warum bleibst du so lange aus?« - »Mein Herr!« antwortete Bahdar, »ich habe meine Arbeit getan und darauf meine Kleider gewaschen, ich wußte nicht, dass du schon hier bist, denn ich war erst zur Zeit des Nachtgebets bestellt.« Amdjad schrie ihn an und sagte: »Du lügst, du verruchter Sklave! Ich bringe dich um!« Und damit stand er auf, streckte Bahdar auf den Boden hin, nahm einen Stock und gab ihm damit einige nicht starke Schläge. Das Mädchen aber riß Amdjad den Stock aus der Hand und fiel über Bahdar mit so derben Schlägen her, dass ihm die Tränen über das Gesicht herabflossen, er um Hilfe schrie und die Zähne zusammenbiß. Amdjad rief ihr zu, bat sie, aufzuhören; sie aber sagte: »Laß mich nur meinem Herzen Luft machen, damit er dir ein andermal nicht mehr so lange ausbleibe.« Und so fuhr sie fort, aus allen Kräften auf ihn loszuschlagen, bis Amdjad aufstand, ihr den Stock aus den Händen wand und sie zurückstieß. Bahdar hatten die Schläge sehr weh getan; er trocknete seine Tränen, bediente sie und schenkte ihnen ein. Dann schürzte er sich auf und reinigte den Saal, ging darauf hinaus, die Lampen anzuzünden, kam wieder und bereitete alles, was sie brauchten. So oft er aber in den Saal kam, verfehlte das Mädchen nie, ihn mit Schimpf- und Schmähreden und Drohungen zu überschütten. So blieben sie bis Mitternacht, aßen und tranken, und Bahdar bediente sie. Um Mitternacht bereitete er ihnen auf dem Sofa ein Bett, verließ den Saal und ging hinaus, um sich zum Schlafen niederzulegen, denn er war sehr müde von seiner Arbeit und den vielen Schlägen; dann schlief er auch bald ein und schnarchte. Nach einer Weile erwachte das Mädchen und mußte hinausgehen; sie fand Bahdar schlafend und schnarchend, und sprach beim Eintreten zu Amdjad: »Herr, ich beschwöre dich bei meinem Leben, steh' auf, nimm das Schwert und schlage deinem Diener den Kopf ab; tust du es nicht, werde ich dich ins Verderben stürzen.« Amdjad sagte: »Was fällt dir ein, dass du ihn umbringen willst?« Das Mädchen versetzte aber: »Ich will es nun einmal so haben, und wenn er nicht durch deine Hand stirbt, so soll er durch meine eigene sterben.« Amdjad erwiderte: »Bei Gott! tu' das nicht und laß mich damit in Ruhe.« Sie aber sagte: »Es bleibt dabei, er muß umgebracht werden.« Und mit diesen Worten ergriff sie das Schwert und zog es aus der Scheide. Amdjad eilte dem Mädchen nach, als er sah, dass sie ihn durchaus umbringen wolle und sagte: »Gib mir das Schwert; wenn es durchaus geschehen soll, ziemt es mir eher, einen Sklaven umzubringen, als dir.« Er nahm ihr dann das Schwert aus der Hand, schwang es und schlug ihr den Kopf vom Rumpfe, so dass er auf den Hausherrn fiel. Dieser richtete sich auf, öffnete seine Augen und sah Amdjad mit einem blutigen Schwerte in der Hand und neben ihm das getötete Mädchen. Er fragte, was geschehen sei, und Amdjad erzählte ihm alles. Bahdar stand auf, küsste Amdjad und sagte: »Nun müssen wir sie vor Tag aus dem Hause schaffen,« umgürtete sich hierauf, nahm das Mädchen auf die Schulter und sagte Amdjad: »Unbekannt, wie du bist, in dieser Stadt, bleibe ruhig hier und erwarte mich bis Sonnenaufgang. Kehre ich bis dahin nicht zurück, so ist dies ein Zeichen, dass mein Urteil gefällt ist. Für diesen Fall schenke ich dir mein Haus mit allem Geräte darin und Friede sei mit dir - du kannst dann ohne weiteres davon Besitz nehmen.« Nachdem Bahdar so gesprochen, verließ er das Haus und ging von Straße zu Straße dem Meere zu.

Er war schon nahe an dem Ufer des Meeres, da kam ihm der Polizeioberste mit einigen Polizeibeamten entgegen. Die Diener des Richters umringten ihn, nahmen ihm den Korb ab, öffneten denselben und fanden das erschlagene Mädchen darin. Der Richter, welcher den Obersten Bahdar erkannte, ließ ihn festnehmen und führte ihn am anderen Morgen zu dem König. Der König ward sehr zornig, als ihm der Richter das Verbrechen des Obersten berichtete und sprach: »Wehe dir! Bringst du immer die Leute um und wirfst sie ins Meer, um zu nehmen, was sie besitzen? Wieviel hast du schon erschlagen?« Bahdar neigte den Kopf zur Erde und sprach kein Wort. Der König befahl nun, dass man ihn hinrichte. Man brachte ihn weg, und ließ durch den Ausrufer seine Hinrichtung verkünden.

Als Amdjad aber bei Tagesanbruch dies ausrufen hörte, weinte er und sprach bei sich: Das ist Unrecht und Gewalt, ich bin ja der Mörder, bei Gott, dies darf nicht geschehen! Er ging dann aus dem Saale, schloss ihn zu und lief nach dem Hinrichtungsplatze. Hier sah er den Polizeiobersten: er trat zu ihm und sagte: »Herr! tu' Bahdar nichts, er ist, bei Gott! unschuldig; ich war's, der das Mädchen erschlagen hat.« Der Richter nahm beide, Bahdar und Amdjad, und führte sie vor den König, dem er den Vorfall berichtete.

Der König sah Amdjad an und sprach: »Du hast also das Mädchen ermordet?« Dieser antwortete: »Ja!« und erzählte ihm alles, wie es sich ereignet hatte von Anfang bis zu Ende.

Der König verwunderte sich sehr darüber und sagte hierauf: »Ich verzeihe dir und Bahdar.« Der König schenkte dann beiden Ehrenkleider und ernannte Amdjad zum Vezier. Dieser verwaltete sein Amt, indem er Gerechtigkeit übte. Er ließ auch durch einen öffentlichen Ausrufer zur Auffindung seines Bruders auffordern, konnte aber nichts von ihm erfahren.

Asad wurde indessen fortwährend gepeinigt, bis endlich das Fest der Feueranbeter herannahte. Da machte Bahram (so hieß der Magier, bei dem Asad war), Vorbereitungen zur Reise, rüstete ein Handelsschiff aus und ließ alles, was er nötig hatte, an Bord schaffen. Als alles in Ordnung war, nahm er den Prinzen Asad, legte ihn in eine Kiste und deckte ihn mit allerlei Waren zu.

Als der Prinz Amdjad Bahrams Diener mit den Waren kommen sah, schlug ihm das Herz in der Brust; er befahl sogleich seinen Dienern, ihm ein Pferd vorzuführen, begab sich mit seinen Mamelucken auf das Schiff und ließ es durch seine Leute untersuchen. Da er aber nichts darin sah als Waren, so kehrte er traurig und mit bewegtem Herzen in seinen Palast zurück.

Als aber der Hund Bahram auf hoher See war, ließ er Asad aus der Kiste hervorholen, legte ihm eine Kette an und steuerte nach dem Feuerberge, da erhob sich ein harter Sturm und trieb sie mitten ins Meer. Schon waren sie dem Untergange sehr nahe, da ward ihnen Gott gnädig und leitete sie. Sie sagten dann dem Schiffsmann: »Steig einmal auf den Mastbaum und sieh' wo wir sind.« Er stieg ganz hinauf, sah sich um und sagte: »Wir sind an der Insel der Königin Murdjane, die eine rechtgläubige Muselmännin ist; wenn sie erfährt, dass wir Feueranbeter sind, nimmt sie unser Schiff und lässt uns bis auf den letzten Mann umbringen.« Bahram sagte: »Ich meine, dass wir den Muselmann, welchen wir mit uns führen, heraufbringen und ihm Sklavenkleider anziehen.«

Alle Schiffleute stimmten Bahram bei und sagten: »Das ist ein guter Gedanke.« Kaum war er mit diesen Worten zu Ende, als das Schiff in den Hafen einlief, wo er Anker werfen ließ. Sobald die Königin Murdjane das Schiff vor Anker liegen sah, verließ sie den Palast, Bahram landete sogleich mit dem Prinzen Asad, den er als Mamelucken kleidete und dem er vorher befohlen hatte, auf Befragen zu bestätigen, dass er sein Sklave sei. Als er vor die Königin kam, warf er sich vor ihr nieder und küsste die Erde zu ihren Füßen und gab ihr Auskunft über die Verhältnisse. Asad hatte von dem Augenblicke an, als ihn die Königin Murdjane sah, ihr Herz gewonnen. Sie fragte ihn: »Wie heißest du?« Er antwortete: »Dein Sklave«, und seine Augen schwammen dabei in Tränen. Gerührt darüber fragte sie ihn nochmals: »Wie heißest du, Jüngling?« und er sagte: »Willst du wissen, wie ich jetzt heiße oder wie ich früher hieß?« - »Wie?« versetzte die Königin, »hast du denn zwei Namen?« - »Ach, leider ist es so!« sagte Asad: »ehemals hieß ich Asad (Glückseliger), jetzt aber heiße ich Mu'tarr (Unglückseliger).« Murdjane fragte: »Kannst du lesen und schön schreiben?« Er antwortete: »Ja.« Da überreichte sie ihm Papier und sagte: »Schreibe etwas darauf!« Er schrieb folgende Verse:

»Oft weicht der Blinde einer Grube aus, in die der Sehende stürzt. Der Unwissende hütet sich oft vor einem Worte, das den Gelehrtesten ins Verderben stürzt. Der Rechtgläubige hat oft wenig Lebensunterhalt, während der Ruchlose und Ungläubige im Überfluss schwelgt. Was nützt dem Klügsten Geist? Alles dies hat der Allmächtige vorherbestimmt.«

Als er das Blatt vollgeschrieben hatte, überreichte er es der Königin, welche den Inhalt las und zum tiefsten Mitgefühle bewegt ward. Sie wandte sich zu Bahram und sagte: »Verkaufe mir diesen Sklaven.« - »Ich kann ihn nicht verkaufen,« entgegnete dieser; »denn er ist der einzige den ich noch besitze.« - »Du musst ihn mir aber verkaufen,« sprach sie, »oder mir ihn schenken.« Bahram aber sagte: »Ich kann ihn weder verschenken, noch verkaufen.« Hierüber ward die Königin Murdjane sehr aufgebracht, schrie Bahram an, ergriff Asad beim Arme, und ging mit ihm auf die Zitadelle. Bahram aber ließ sie durch einen Boten sagen: »Verlasse sogleich unsere Stadt, oder ich nehme alles, was du besitzt, und lasse dein Schiff zertrümmern.« Als ihm diese Botschaft zukam, ward er sehr betrübt und sagte: »Das ist keine glückliche Reise.« Er machte dann seine Vorbereitungen bis Nacht und sprach zu seinen Leuten: »Packt eure Effekten zusammen und füllt eure Schläuche, denn bei Anbruch der Nacht wollen wir absegeln.« Soviel, was diese angeht. Die Königin Murdjane aber ging mit Asad ins Schloss und ließ die Fenster öffnen, die aufs Meer gingen; dann befahl sie ihren Sklavinnen, das Essen zu bereiten, und hieß Asad neben sich sitzen. Dann ließ sie Wein auftragen und trank mit ihm und Gott flößte ihr immer mehr Liebe zu ihm ein. Sie sprach ihm so viel zu, bis er mehr getrunken hatte, als er ertragen konnte. Nachdem die Tafel aufgehoben war, wollte Asad sich ein wenig in der frischen Luft erquicken. Er ging zum Saal hinaus und kam in eine Halle, und als er dort eine offene Türe fand, ging er hinein und kam in einen großen Garten, in dem Bäume mit den verschiedenartigsten Früchten standen. Er setzte sich unter einen Baum, ruhte eine Weile aus, stand wieder auf und wandelte im Garten umher. So kam er an den Springbrunnen, der mitten im Garten war, und wusch darin seine Hände und sein Gesicht. Eben wollte er wieder weggehen, da erhob sich eine so angenehme frische Luft, dass er sich wieder auf den Rasen niederlegte und nach einer Weile einschlief. So brach die Nacht an und Bahram rief seinen Leuten zu: »Machet euch fertig, dass wir absegeln!« Sie erwiderten: »Wir wollen nur noch unsere Schläuche füllen.« Sie gingen dann um die Zitadelle herum und überstiegen die Gartenmauer. Dann gingen sie einem Wassergraben nach, bis sie an den Springbrunnen kamen, wo sie Asad im tiefsten Schlafe, gleich einem Toten, liegen fanden. Sie erkannten ihn sogleich und füllten die Schläuche und schleppten Asad mit sich fort, stiegen mit ihm über die Mauer, und brachten ihn Bahram in aller Eile und schrieen: »Kapitän, dein Tamburin schlägt und deine Flöte bläst (d. h. du hast viel Glück). Hier ist dein Gefangener, den die Königin Murdjane dir entrissen hat«, und warfen ihn vor ihn hin. Da hüpfte ihm das Herz in die Brust, und er kam fast von Sinnen vor Freude, und er ließ alle Segel aufspannen und steuerte wieder dem Feuerberge zu.

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Die Königin war indessen, als sie eine Weile vergebens die Rückkehr Asads erwartet hatte, aufgestanden, um nach ihm zu sehen und als sie keine Spur von ihm fand, fing sie an, unruhig zu werden. Sie befahl ihren Frauen, ihn mit Lichtern zu suchen. Dann machte sie sich selbst auf, und da sie die Türe des Gartens offen stehen sah, trat sie hinein. Als sie an dem Springbrunnen vorüberging, sah sie einen Pantoffel liegen. Von Asad fanden sie aber keine Spur, obgleich sie die ganze Nacht ihn aufsuchten. Sie fragte nach dem Schiffe Bahrams und erfuhr, dass er im ersten Dritteil der Nacht wieder abgesegelt und sie zweifelte nicht mehr daran, dass er Asad wieder mitgenommen. Dies tat ihr wehe und brachte sie sehr auf. Sie ließ alsbald zehn große Schiffe segelfertig machen und schiffte sich selbst mit ihren bewaffneten Mamelucken und Sklavinnen ein, und sagte dem Kommandanten: »Wenn ihr das Schiff des Magiers einholet, so habt ihr ein schönes Ehrengeschenk und viel Geld zu erwarten; holt ihr's aber nicht ein, so lass' ich euch alle ohne Ausnahme hinrichten.« Die Schiffleute schrien nun einander Mut zu, und verfolgten das Schiff des Magiers den ganzen Tag, die Nacht und den zweiten ganzen Tag, ohne es zu erblicken. Am dritten Morgen aber sahen sie das Schiff in weiter Ferne, und so gut segelten die Schiffe der Königin, dass sie noch vor Mittag Bahrams Schiff umringt hatten. Bahram hatte eben Asad aufs Verdeck bringen lassen, und ihn so derb geschlagen, dass er vor Schmerzen um Hilfe schrie. Als aber die Schiffe herankamen und das Fahrzeug Bahrams umzingelten, sah dieser seinen Tod vor Augen. Er schrie Asad an: »Wehe dir, du bist schuld an allem meinem Unglück!« Mit difassteWorten fasste er ihn an der Hand und befahl seinen Leuten, ihn ins Meer zu stürzen. Asad aber tauchte unter, kam wieder in die Höhe und arbeitete mit Händen und Füßen, bis eine Welle ihn ans Land trieb, denn der erhabene Gott hatte beschlossen, ihn zu retten. Er stieg ans Land und konnte kaum an seine Rettung glauben. Dann zog er seine Kleider aus, drückte und breitete sie auf einem Felsen aus, setzte sich nackt hin und weinte über die vielen Unglücksfälle, die ihm zugestoßen. Er brachte zehn Tage in einem öden Lande zu und aß von den Kräutern der Erde und trank vom Wasser der Bäche. Endlich kam er an eine Stadt, die er für die Stadt der Magier erkannte, in welcher sein Bruder Amdjad Vezier war. Er freute sich sehr darüber; aber die Nacht überfiel ihn, und die Tore der Stadt waren schon geschlossen. Das Schicksal wollte es, dass Asad wieder umkehren mußte; er ging nach den Gräbern, um dort zu schlafen, fand ein Grabmal ohne Türe, ging hinein und schlief dort bis Mitternacht. Dies geschah mit Asad; was aber Bahram angeht, so fragte ihn die Königin Murdjane, als ihr Schiff das seinige eingeholt hatte, nach Asad, und er schwor ihr, dass er sich nicht bei ihm befinde, auch gar nichts von ihm wisse. Murdjane ließ nun das Schiff durchsuchen, aber man fand ihn nicht. Sie ließ ihn ergreifen und wieder nach der Zitadelle bringen und wollte ihn, um Asad zu rächen, töten, er kaufte sich aber durch seine ganze Habe los, und er wurde mit seinen Sklaven freigelassen. Bahram und seine Leute wanderten zehn Tage, bis sie wieder nach Hause in die Stadt der Magier kamen. Weil das Tor schon geschlossen war, denn es war schon Nacht, sahen sie sich auch genötigt, auf dem Begräbnisplatz ein Grabmal aufzusuchen. Bahram sah auch das Grabmal, das keine Türe hatte, trat ein und fand einen schlafenden Mann, welcher laut schnarchte, und den Kopf auf der Brust liegen hatte. Bahram ging auf ihn zu, hob seinen Kopf in die Höhe und rief, ihn erkennend: »Ha! Ha! Du bist's, wegen dessen ich mein Schiff und all mein Gut verloren habe.« Ohne ein weiteres Wort band er ihn und verstopfte ihm den Mund. Als der Morgenstern sich zeigte, und die Tore der Stadt geöffnet wurden, ließ er ihn durch seine Sklaven in sein Haus tragen. Seine Tochter Bostane und seine Sklavin kamen ihm alsbald entgegen, und er erzählte ihnen, was er wegen dieses Gefangenen gelitten und verloren habe, und wie er ihn auf einem Grabmal wieder gefunden und nun hergebracht. Er befahl dann seiner Tochter, ihn wieder in das unterirdische Gemach bringen zu lassen, und ihn zu schlagen und zu peinigen, noch ein Jahr lang, bis zum nächsten, wo er bei dem Besuche des Feuerberges geopfert werden solle. Man trug Asad hinunter, und als er erwachte, fand er sich wieder an demselben Orte, wo er früher gewesen war. Bostane ging auf ihn zu, entkleidete ihn, und schlug ihn. Sein Jammern und seine Tränen machten aber solchen Eindruck auf Bostane, dass sie sich des Mitleids nicht länger erwehren konnte. Ihr Herz wurde erweicht und sie fragte ihn: »Wie heißest du?« Er sagte: »Fragst du mich nach meinem frühem oder nach meinem jetzigen Namen?« Sie versetze: »Hast du denn zwei Namen?« - »Ja«, antwortete er, »einst hieß ich Asad, und jetzt heiße ich Akasch (der Gefallene).« Tränen rollten über seine Wangen. Bostane weinte mit ihm und sagte: »Bei Gott! mein Herz hat Erbarmen mit dir. Halte mich nicht länger für eine Ungläubige, meine Erzieherin hat mich heimlich, ohne Wissen meines Vaters, zum Islamismus bekehrt. Zwar muß ich meinen Glauben noch verbergen, ich bete aber zu Gott, dass er mir alle die schweren Mißhandlungen, die ich dir zugefügt habe, vergebe. So Gott will, werde ich ein Mittel finden, dich aus deinem Gefängnisse zu retten.«

Diese Rede Bostanens gereichte dem Prinzen Asad zu nicht geringem Troste und er dankte dem allmächtigen Gott. Bostane verließ ihn dann und holte einen Becher Wein und gab ihm zu trinken und kochte ihm eine Hühnersuppe und stellte sie ihm vor. So kam sie jeden Tag zu dem Prinzen Asad und brachte ihm Wein, Suppen und Hühner und betete mit ihm.

Eines Tages stand Bostane an der Haustüre, als sie einen öffentlichen Ausrufer etwas verkündigen hörte, und siehe da! Sie erblickte hinter dem Ausrufer den Vezier Amdjad, von vielen Mamelucken umgeben. Der Ausrufer verkündete folgende Bekanntmachung: »Ihr Bewohner dieser Häuser! Der Großvezier, der in eigener Person hier gegenwärtig ist, befiehlt, wenn jemand seinen Bruder, der so und so aussieht, bei sich hat, und ihm Anzeige davon macht, so erhalte er ein Ehrenkleid und viele Reichtümer, wer aber seinen Aufenthaltsort verheimlicht, dem wird, wenn es herauskommt, sein Haus geplündert, sein Harem geraubt und sein Blut preisgegeben, wer vorher droht, den trifft nachher keine Schuld, und wer warnt, handelt gerecht.« Als Bostane diese Worte hörte, eilte sie zu Asad und benachrichtigte ihn von dem, was sie gehört. Er erwiderte. »Das ist mein Bruder Amdjad.« Er stieg dann mit dem Mädchen hinauf, ging zur Türe hinaus und sah seinen Bruder Amdjad zu Pferd, und warf sich über ihn. Amdjad, der ihn auch wieder erkannte, drückte ihn an sich, ließ ihn dann ein Pferd besteigen und führte ihn, umgeben von einer Menge Mamelucken und Dienern, in den Palast, wo er ihn dem König vorstellte.

Als er dem König seine Erlebnisse erzählt hatte, befahl dieser, dass man Bahrams Haus ausplündere, ihn selbst aber vor den König bringe. Dieser Befehl wurde vollzogen, Bostane aber mit Ehrerbietung behandelt. Bahram wurde zum Tode verurteilt. Da rief er: »Mächtiger König, kann mich nichts vom Tode retten?« Der König erwiderte: »Es gibt keine Gnade für euch, wenn ihr euch nicht zu der muselmännischen Religion bekehrt.« Bahram neigte den Kopf zur Erde, hob ihn dann wieder in die Höhe und sprach das Glaubensbekenntnis aus und ward ein guter Muselmann. Als Bahram die Geschichte Amdjads und Asads erzählen hörte, ging er zu ihnen und sagte: »Ich will mir ein Schiff ausrüsten und euch zum König Kamr essaman, eurem Vater, zurückführen.« Am folgenden Morgen gingen die Prinzen zu dem König, um Abschied zu nehmen. Da erhob sich plötzlich in der ganzen Stadt ein großer Lärm; zu gleicher Zeit eilte ein Offizier herbei und rief: »Wisse, König der Zeit, es ist eine starke Armee mit entblößten Waffen vor die Stadt gedrungen, und niemand weiß, was sie beabsichtigt.« Amdjad sagte: »Ich will nachsehen, wer dieser Feind ist.« Er eilte fort. Bald erblickte er die Armee, die ihm sehr mächtig erschien. Als man Amdjad erblickte, den man für einen Gesandten hielt, führte man ihn vor den König. Als Amdjad vor ihm stand, erkannte er in ihm eine verschleierte Frau. Er beugte sich vor ihr zur Erde und sagte: »Königin! was bedeutet dein Zug, ist er friedlich oder feindlich?« Die Prinzessin erwiderte: »Gesandter! ich habe kein Verlangen nach eurer Stadt, der Grund meines Kommens ist mein Sklave, Namens Asad, der, wie ich gehört habe, sich hier aufhält, es soll euch gar nichts zuleid geschehen.« Sie erzählte dann ihre ganze Geschichte mit Asad, wie sie ihn Bahram entrissen hatte, und was sich von Anfang bis zu Ende ereignet hatte. Endlich sagte sie auch: »Ich bin die Königin Murdjane.« »Herrin!« versetzte hierauf der Prinz Amdjad, »die Freude ist nahe, denn ich bin der Bruder dieses Sklaven.« Er erzählte ihr dann seine ganze Geschichte und sie war sehr erstaunt darüber und freute sich, Asad wieder gefunden zu haben, und erteilte Befehl, ihre Zelte aufzuschlagen. Amdjad begab sich dann zum König und erstattete ihm Bericht von den Worten Murdjanes. Der König und Asad bestiegen Pferde, um die Königin zu begrüßen, da erhob sich auf einmal ein mächtiges Lärmen und ein Staub, der die ganze Luft erfüllte. Als er sich legte, erblickte man ein Heer, das sich wie ein Meer über das ganze Land ergoß; es umgab die Stadt, wie das Weiße das Schwarze vom Auge, und der König sagte zu Amdjad: »Was will diese zweite Armee? Das sind gewiss Feinde, die uns überfallen.«

Amdjad eilte fort, stieg zu Pferde, und nachdem er das Heer der Königin Murdjane unter Waffen gerufen, ritt er als Gesandter dem Heere entgegen, trat vor den König, warf sich mit dem Gesicht zu Boden, und fragte, warum er gekommen? Der König erwiderte: »Ich bin der König Ghejjur, Herr der Inseln und Meere. Ich wandere umher, meine Tochter Bedur zu suchen, die ich mit dem Prinzen Kamr essaman, Sohn des Schah Gema, Königs der Kanarieninsel, vermählt habe. Sie hat mich verlassen und ich habe nichts mehr von ihr gehört.« Als Amdjad diese Rede des Königs hörte, beugte er den Kopf gegen die Erde, und als er erkannte, dass er der Vater seiner Mutter, fiel er über ihn her und küsste ihm die Hand und sagte ihm: »Ich bin ein Sohn Kam essamans und der Königin Bedur.«

Als der König dies hörte, drückte er ihn ans Herz, und beide weinten. Amdjad erzählte ihm dann seine und seines Bruders Asad Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als er geendet hatte, sprach der König von China: »Gelobt sei Gott für eure Rettung! ich werde dich und deinen Bruder mit eurem Vater versöhnen.«

Amdjad eilte zu seinem Bruder und erzählte ihm, wie er seinen Großvater getroffen, und erstattete auch dem König von allem Bericht und der König erteilte die nötigen Befehle zur Bewirtung des Fürsten Ghejjur. Da erhob sich auf einmal wieder eine Staubwolke, die die ganze Luft verfinsterte. Der König sagte: »Dies ist gewiss ein segensreicher Tag; geht und seht, was diese frischen Truppen wollen.« Asad und Amdjad gingen hinaus, nachdem sie die zwei ersten Armeen gemustert hatten. Als sie die neuen Truppen sahen, erkannten sie dieselben sogleich für die der Ebenholzinseln, mit ihrem Vater, dem König Kamr essaman, an der Spitze. Sie warfen sich über ihren Vater und küßten ihm die Hände und er umarmte seine beiden Söhne, indem er viele Tränen vergoß, und entschuldigte sich bei ihnen über sein Verfahren gegen sie, und teilte ihnen mit, was er nach ihrer Trennung gelitten. Die Prinzen sagten ihm dann, dass der König von China, sein Schwiegervater, angekommen sei, um seine Tochter zu suchen. Kamr essaman machte sich mit einem kleinen Gefolge auf, ihn in seinem Lager zu besuchen und zu begrüßen. Asad und Amdjad ritten voran zu ihrem Großvater und meldeten ihm die Ankunft ihres Vaters. Er bestieg auch ein Pferd, sprengte ihm entgegen und schloss ihn fest in seine Arme. Kamr essaman erzählte ihm alles, von Anfang bis zum Ende. Während sie so beisammen waren, und der König vor freudigem Erstaunen sich kaum fassen konnte, sah man wieder eine Staubwolke, größer noch, als alle vorhergehenden; sie kam von der Seite Persiens her. Der König sprach: »Das ist ein wundervoller Tag; gehet und seht, was es gibt!« Asad und Amdjad ritten durch die drei Armeen und erkannten persische Truppen. Sie ließen sich vor dem König führen, grüßten ihn und fragten nach der Ursache seiner Ankunft. Der Vezier sprach: »Der König, vor dem ihr steht, ist Schah Geman, der König der Kanarieninseln: er hat seinen Sohn Kamr essaman verloren und sucht ihn nun in allen Ländern.«

Die Prinzen kehrten zu Kamr essaman zurück, um ihm zu melden, wer angekommen. Als Kamr essaman dies hörte, stieß er einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, weinte er sehr heftig, bestieg sogleich ein Pferd und eilte zu seinem Vater. Als er ihn erblickte, stieg er ab und küsste ihm die Hand. Nach gegenseitiger Begrüßung erzählten sie einander, was sie durch die Trennung erlitten und Schah Geman sagte: »Gelobt sei Gott, der ein so gutes Ende herbeigeführt. Alles, was geschehen, war vom erhabenen Gott beschlossen.«

Die drei Könige und die Königin Murdjane blieben drei Tage am Hofe des Königs der Magier, der große Mahlzeiten und Festlichkeiten veranstaltete. In diesen drei Tagen wurde auch die Hochzeit Asads mit der Königin Murdjane und die Amdjads mit Bostane gefeiert. Jener ward Sultan der Ebenholzinseln und dieser Sultan des Landes der Magier. Die Magier wurden aufgefordert, sich zum Islamismus zu bekehren, wer ihn annahm, ward geschont, wer sich weigerte, verlor das Leben. Dann bereitete sich Kamr essaman zur Abreise mit seinem Vater Schah Geman vor und nahm Abschied von seinen Kindern; der König Ghejjur aber verließ sie mit seiner Tochter Bedur. Kamr essaman, dessen Vater und der König Ghejjur wurden bei ungetrübter Heiterkeit alt, und besuchten einander von Zeit zu Zeit, bis sie der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen, der Tod, überfiel. Sie starben als gute Muselmänner. - Gelobt sei Gott, der Herr aller Welten!

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Die Sultanin Schehersad fuhr fort, den Sultan mit ihren schönen Geschichten zu unterhalten und begann nun die

Die Geschichte vom Zauberpferde

Herr! man erzählt: Es herrschte einmal vor undenklichen Zeiten ein König in Persien, Namens Sabur, der war der größte und mächtigste unter allen Herrschern seiner Zeit und besaß unermessliche Länder und Reichtümer, die von einer zahllosen Armee verteidigt wurden. Er war aber ebenso berühmt wegen seiner schönen Tugenden, als wegen seiner furchtbaren Macht und Größe, denn er war nicht allein ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen, gewandt und voll Unternehmungsgeist, sondern sein Herz war auch ebenso weich und teilnahmsvoll, als sein Verstand scharf und durchdringend; seine Hand war ebenso mildtätig und freigebig gegen die Armen, als für den Bösen furchtbar und strafend. Er war ein Trost für den Unglücklichen und Beladenen, und der Verstoßene und Verfolgte fand stets eine Freistätte bei ihm. Seine Verwandten liebte er zärtlich, gegen die Fremden war er milde, und nie wurde ein Fall bekannt, dass ein Unterdrückter ihn vergebens um Recht gegen die Gewalt angefleht hätte. Er war Vater von drei Mädchen und einem Sohne. Dieser König feierte jährlich zwei Feste, Niradj und Mihrdjan. An diesem Festtage pflegte er alle seine Paläste zu öffnen, Geschenke zu machen, Amnestien zu veröffentlichen, Pförtner und andre Aufseher zu entfernen, so dass alle seine Untertanen freien Zutritt zu ihm hatten, um ihn zu begrüßen, zu beglückwünschen und Geschenke darzubringen. Dieser König war ein großer Liebhaber von Philosophie und Geometrie. Nun traf es sich an einem dieser Festtage, dass drei äußerst gelehrte und erstaunlich weise Männer mit kostbaren bewunderungswerten Geschenken in seine Stadt kamen. Sie waren alle drei aus verschiedenen Ländern und sprachen auch verschiedene Sprachen. Der eine war ein Inder, der andere ein Grieche und der dritte ein Perser. Der Inder ging zuerst zum König, warf sich vor ihm nieder und übergab ihm, indem er zum Feste Glück wünschte, ein höchst bewunderungswürdiges Geschenk. Es war eine mit kostbaren Edelsteinen verzierte goldene Bildsäule, die ein goldenes Horn in der Hand hielt. Nachdem der König dasselbe von allen Seiten genau betrachtet hatte, sagte er zu dem Inder: »Weiser Mann, zu welchem Zweck soll dies dienen?« - »Herr«, erwiderte der Inder, »dies Bildnis hat die Eigenschaft, dass, wenn ein Spion in die Stadt kommt, es sogleich in das goldene Horn stößt. Der Spion wird sogleich zu zittern anfangen und tot niederfallen.« Der König, im höchsten Grade überrascht von den Worten des Indiers, sagte zu ihm: »O Weiser! bei Gott! wenn du wahr sprichst, so werde ich all deine Wünsche erfüllen.« Hierauf trat der griechische Weise vor, warf sich dem König zu Füßen und überreichte ihm ein silbernes Becken, in dessen Mitte ein goldener Pfau saß, rund herum umgeben von 24 Jungen. Nachdem der König es betrachtet hatte, fragte er den Weisen, was der Zweck dieses Werkes sei. »Herr!« erwiderte der Grieche, »dieser Pfau hier wird nach Verfluss jeder Stunde eines seiner Jungen picken und so die Tageszeit anzeigen. Nach einem Monat aber wird er jedesmal den Schnabel öffnen, und darinnen wird der Mond erscheinen.« Als der König das hörte, sagte er: »O Weiser, sprichst du wahr, so soll jeder deiner Wünsche erfüllt werden.« Sodann trat der persische Weise hervor, beugte sich zur Erde und überreichte dem König ein Pferd aus Ebenholz, mit Gold und Edelsteinen beschlagen, vollkommen ausgerüstet, mit prächtigem königlichem Sattel, Zaum und Steigbügeln, und dem nur die Sprache fehlte. Der König war sehr erstaunt beim Anblick dieses kunstreich gebildeten Pferdes und fragte, wozu dieses leblose Pferd diene. »Mein Gebieter!« antwortete der Weise, »dieses Pferd legt mit seinem Reiter in einem Tag eine Strecke von einem Jahre zurück, denn es fliegt durch die Luft.« Der König war im höchsten Grade erstaunt über das Zusammentreffen dieser drei Wunder an einem Tage und sagte zu dem Perser: »Bei dem erhabenen Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Menschen durch Getränke und Nahrung, wenn du die Wahrheit gesprochen hast und deine Rede sich bewährt, so gewähre ich dir im voraus jede Bitte, die du an mich stellen magst.« Er bewirtete dann die Weisen drei Tage lang, um ihre Gaben zu prüfen. Jeder brachte sein Werk mit und machte den König mit dessen Bewegungen bekannt. Das Bildnis stieß alsbald ins Horn, der Pfau pickte die Jungen und der Weise schwang sich aufs Pferd, stieg in die Höhe und ließ sich wieder herunter. Der König geriet beinahe außer sich vor Freude und sagte zu den Weisen: »Ihr habt eure Versprechen erfüllt und die Wahrheit eurer Worte durch die Tat bewiesen; nun ist es an mir, auch mein Versprechen in Erfüllung gehen zu lassen. Fordere jeder von mir, was er will, er soll es auf der Stelle haben.« - Die Weisen hatten aber schon von den drei Prinzessinnen gehört, sie sagten daher: »Wenn der König unser Herr, mit uns zufrieden ist, unsere Geschenke annimmt und uns erlaubt, etwas zu erbitten, so möchten wir, dass der König, der doch gewiss sein Wort nicht brechen wird, uns seine drei Töchter gebe und uns zu seinen Schwiegersöhnen annehme.« Der König sagte: »Ich werde eurer Bitte willfahren«, und er ließ sogleich beim Kadi die Ehe-Kontrakte abfassen.

Die Prinzessinnen hatten aber hinter einem Vorhange dem Schauspiele zugesehen, und als die jüngste ihren künftigen Gemahl, den Perser, betrachtete, entdeckte sie, dass er ein hundertjähriger Greis war, mit einer Stirne voll Runzeln und Falten, mit borstigem Haupthaare, während die Haare der Augenbrauen und des Bartes ausgefallen waren. Seine Augen waren rot und triefend, und seine Wangen so abscheulich gelb und eingefallen, dass man jeden Knochen seines Gesichts sehen konnte. Er hatte eine Nase wie Bedindjan ; seine paar Zähne waren teils ausgefallen, teils locker; seine Lippen blau und lappig, wie Kamelnieren, und seine ganze Haut eingeschrumpft und lederfarben. In der Tat, er war ein Wunder von Hässlichkeit und von einer ganz unbekannten Rasse; der abscheulichste unter allen Menschen, glich er ganz und gar einem Teufel, so dass selbst die Vögel vor ihm in ihr Nest flohen. Das Mädchen aber war das schönste und liebenswürdigste ihrer Zeit; niedlicher als eine Gazelle, zarter als ein Zephyr, übertraf sie den Mond an Glanz und milder Schönheit; sie beschämte alle Baumzweige, wenn sie sich sanft wiegte, und keine Gazelle kam ihr gleich in der Geschwindigkeit und Kühnheit der Wendungen. Sie war schöner und anmutiger als ihre Schwestern.

Als diese Prinzessin nun ihren Bräutigam sah eilte sie in ihr Gemach, streute Erde auf ihr Haupt, zerriss ihre Kleider und fing an unter lautem Weinen und Wehklagen sich Gesicht und Brust zu zerschlagen. Ihr Bruder, der sie weit mehr als seine anderen Schwestern liebte, kam eben von der Reise zurück. Wie er nun ihr Geschrei und Weinen hörte, eilte er zu ihr hinein, schlug sich an die Brust und fragte sie, was ihr denn zugestoßen sei, sie solle ihm die Wahrheit sagen und nichts verhehlen. Sie brach in die Worte aus: »Mein teurer Bruder! Gewiss, wenn deinem Vater durch mich das Schloss zu eng geworden, will ich es gerne verlassen. Hat er an mir etwas seiner Tochter Unwürdiges gesehen, will ich mich von ihm entfernen oder will er nicht länger mehr für mich sorgen, so gibt es für mich ja einen Gott, der mich führen und nicht verlassen wird.« Ihr Bruder, der den Sinn dieser Reden nicht recht begreifen konnte, bat sie, ihm das alles deutlicher zu sagen, denn noch wisse er den Grund nicht, warum sie so bewegt und betrübt sei. Sie antwortete: »Wisse, teurer Bruder! mein Vater hat mich mit einem Zauberer verlobt, der ihm ein schwarzes hölzernes Pferd geschenkt und ihn mit seiner Zauberkunst überlistet hat. Ich aber mag diesen Alten nicht, ich will nicht seinetwillen auf die Welt gekommen sein.« Ihr Bruder sprach ihr Trost und Mut ein, verließ sie dann und eilte zu seinem Vater, den er fragte: »Wer ist der Zauberer, mit welchem du meine jüngste Schwester verlobt hast, und was hat er dir für ein Geschenk gemacht, dass du seinetwillen deine Tochter vor Gram sterben lassen willst? Das soll nicht sein!« Der Weise, der diese Rede mit anhörte, ergrimmte in seinem Herzen über den Prinzen. Der König aber sprach zu seinem Sohne: »Wenn du das Pferd und seine Kunst gesehen haben wirst, so wirst du vor Erstaunen fast den Verstand verlieren. Er befahl dann den Dienern, es herbeizuführen, und als der Prinz es sah, gefiel es ihm, und da er ein guter Reiter war, schwang er sich sogleich in den Sattel und stieß ihm die Steigbügel in den Leib. Als sich aber das Pferd nicht von der Stelle bewegte, sprach der König zu dem Weisen: »Geh und zeige ihm, wie man es in Bewegung setzt, dann wird er sich wohl deinem Wunsche nicht mehr widersetzen.« Der Weise, der schon einen tödlichen Hass auf den Prinzen geworfen hatte, ging zu ihm hin, und zeigte ihm einen Wirbel an der rechten Seite des Pferdes, welcher dazu diente, das Pferd steigen zu machen, und verließ ihn. Der Prinz rieb den Wirbel und nun stieg das Pferd mit ihm in die Höhe und flog mit so reißender Schnelligkeit dahin, dass er bald gar nicht mehr gesehen wurde. Der König ward besorgt um seinen Sohn und fragte den Weisen: »Wie kann er nun aber das Pferd wieder zur Erde lenken?« »Herr«, versetzte der Weise, »diese Kunst besitze ich nicht, auch ist's seine und nicht meine Schuld, wenn du ihn bis zum Auferstehungstag nicht mehr wieder siehst. Aus Dünkel und Hochmut verschmähte er, mich zu fragen, auf welche Weise das Pferd dahin gebracht wird, wieder niederwärts zu fliegen, und ich selbst dachte im Augenblick nicht daran, es ihm zu sagen.« Der König geriet über diese Worte in so heftigen Zorn, dass er den Weisen schlagen und einsperren ließ. Er selbst riss die Krone von seinem Haupte, schlug sich ins Gesicht und auf die Brust, jammerte und weinte. Die Tore des Palastes wurden geschlossen und alle Festlichkeiten eingestellt; nicht allein der König, seine Gemahlin und Töchter waren von diesem großen Unglück so schmerzlich berührt, sondern auch alle Stadtbewohner teilten ihren Kummer über den Verlust des Prinzen. So war auf einmal Lust in Trauer, und Glück in Unglück verwandelt, und aus einem Freudentage ein Trauertag geworden.

Der Prinz ward indessen von dem Pferde bis in die Nähe der Sonne emporgetragen, er war dem Tode nahe und war darauf gefasst, zwischen den Himmelskörpern umzukommen. Da dachte er: wenn ich doch sterben muss, so will ich wenigstens sehen, ob der, welcher den Wirbel zum Aufsteigen gemacht, nicht auch einen gemacht hat, durch welchen das Pferd dazu gebracht wird, dass es sich wieder herablasse. Der Prinz war nämlich ein kluger, scharfsinniger und entschlossener Mann. - Er streckte daher seine Hand nach der linken Seite des Pferdes aus und fand einen zweiten Wirbel, den er sogleich rieb. Augenblicklich bemerkte er auch, dass das Pferd sich niedersenkte: und als er wieder rieb, erblickte er bald die Erde und so näherte er sich der Erdoberfläche immer mehr und er war außer sich vor Freude und dankte Gott für seine Rettung. Dann rieb er wieder den rechten Wirbel ein wenig und flog in geringer Höhe weiter. Als es Abend war, erblickte er ein hohes Schloss, mitten in einer blühenden Ebene, durch die murmelnde silberklare Bäche flossen, wo herrliche Blumen standen und muntere Gazellen umhersprangen. Gleich darauf sah er eine große Stadt, mit einer festen Zitadelle, Türmen und hohen Mauern, und auf der anderen Seite der Stadt war ein sehr hohes und festes Schloss, um welches er vierzig bepanzerte Sklaven mit Schwertern Bogen und Lanzen bewaffnet, umhergehen sah. Er dachte bei sich selbst: o wüsste ich doch nur, in welchem Lande ich mich befinde; nach einigem Nachdenken aber entschloss er sich, die Nacht auf der Terrasse des Schlosses zuzubringen und sich nach und nach mit den Bewohnern desselben zu befreunden. Sogleich bemühte er sich nun, das Pferd nach dem Schlosse hinzulenken und es auf die Terrasse niederzulassen. Die Nacht war schon hereingebrochen, als ihm dies gelang und er, äußerst hungrig und durstig, abstieg. Er untersuchte die Terrasse von allen Seiten, bis er endlich eine Treppe fand, die in das Innere des Schlosses hinabführte. Er stieg die Treppe hinunter, und kam auf einen Platz vor der Türe des Schlosses, dessen Boden mit weißem Marmor gepflastert, vom Monde beleuchtet war; hier sah er sich überall um und bemerkte ein Licht, das aus dem Inneren des Schlosses schimmerte. Als er darauf zuging, kam er an eine Türe, vor welcher ein Sklave schlief, gleich einem von Solimans Geistern, lang wie ein Baum, und breit wie eine steinerne Bank. Zu seiner Seite brannte ein Licht und lag ein Schwert, das wie eine Feuerflamme funkelte; nebenan aber stand ein Tischchen mit steinernen Pfeilern. Der Prinz zauderte einige Augenblicke, bald aber fasste er sich und sprach: »Ich rufe Gott um Hilfe an! Du, o Gott, der du mich soeben vom Untergang befreit hast, gib mir nun auch die Kraft, mir über dieses Schloss Auskunft zu verschaffen.« Mit diesen Worten streckte er die Hand nach dem Tischchen aus, ergriff es und ging damit auf die Seite, hob die Decke weg und fand herrliche Speisen, und aß und trank, bis er satt war. Dann ruhte er ein wenig aus, trug das Tischchen wieder an seinen vorigen Platz, nahte sich auf den Zehen dem Schlafenden und zog ihm das Schwert aus der Scheide. Damit ging er vorwärts, ohne zu wissen, was die Bestimmung über ihn verhängen werde; bald erblickte er wieder eine Türe, welche mit einem Vorhang bedeckt war. Er ging darauf zu, hob den Vorhang auf und trat in das Zimmer, wo ein Thron aus weißem Elfenbein stand, mit Perlen, Rubinen und anderen Edelsteinen besetzt, und an dem Fuße desselben lagen vier schlafende Sklavinnen; er näherte sich dem Throne, um zu sehen, wer auf ihm liege, und fand ein schlafendes Mädchen, schön wie der leuchtende Mond, von ihren langen Haaren umwallt. Er bewunderte ihre Schönheit und Anmut, ihren Wuchs und ihr Ebenmaß. Ihre Stirne leuchtete wie der Mond, ihre Wangen, von einem zarten Male angehaucht, glichen Anemonen. Als der Prinz sie sah, kümmerte er sich nicht mehr um Gefahr und Tod. Er nähert sich ihr zitternd und bebend und küsste sie auf ihre rechte Wange. Sie erwachte sogleich und öffnete ihre Augen und blicke den Prinzen an, der ihr zu Häupten stand und sagte zu ihm: »Wer bist du, Jüngling, und wo kommst du her?« Er antwortete: »Ich bin dein Sklave und dein Geliebter.« »Wer aber hat dich hierher gebracht?« sagte die Prinzessin weiter. »Mein Gott und mein Schicksal«, erwiderte der Prinz.

Die Prinzessin, welche ihr Vater mit einem der vornehmsten Männer der Stadt verlobt hatte, glaubte, der Prinz sei ihr Verlobter. Sie betrachtete ihn näher und da er schön wie der leuchtende Mond war, breitete sich über ihr Herz das Netz der Liebe wie ein flammendes Feuer aus und sie begann sich mit ihm traulich zu unterhalten. Plötzlich erwachten die Sklavinnen und als sie den Prinzen neben ihrer Herrin sitzen sahen, riefen sie: »O Herrin! wer ist denn der junge Mann, der bei dir ist?« - »Ich weiß es nicht«, antwortete die Prinzessin; »ich habe ihn so bei mir gefunden, als ich erwachte. Ohne Zweifel ist es mein Verlobter.« Die Sklavinnen aber sagten: »O Herrin, beim erhabenen Gott! dein Verlobter kann nicht einmal dieses Mannes Diener sein.« Und mit diesen Worten gingen sie zu dem noch immer schlafenden Sklaven, weckten ihn auf und riefen ihm zu: »So bewachst du das Schloss, dass Leute hereinkommen, während wir schlafen?« Als der Sklave dies hörte, sprang er erschrocken auf und wollte nach seinem Schwert greifen, da er es aber nimmer fand, ging er voll Angst und Betäubung zu seiner Herrin. Sowie er den Prinzen neben der Prinzessin sitzen sah, rief er ihm entgegen: »Wer hat dich hierher gebracht, du Betrüger! du Dieb! du niedrig Geborener!« Bei diesen Schimpfreden sprang der Prinz mit dem Schwerte in der Faust wie ein Löwe auf; aber der Sklave entfloh und eilte zitternd und bebend in die Gemächer des Königs und erzählte ihm, was vorgefallen. Der König erschrak, machte sich auf, ergriff sein Schwert und sagte zu dem Sklaven: »Wehe dir! du Hund, was ist das für eine schlimme Nachricht?« »Herr«, erwiderte der Sklave, »der Schlaf hat uns überwältigt und als wir erwachten, sahen wir auf einmal einen Mann von vornehmem Aussehen und schöner Gestalt neben meiner Gebieterin sitzen; weder ich noch eine der Sklavinnen konnten begreifen, wie er hereingekommen, ob er von oben oder von unten gekommen ist.« Der König eilte selbst mit dem Schwerte in der Hand in die Gemächer der Prinzessin, um diesen Vorfall zu untersuchen. Als er in ihr Zimmer trat und den Prinzen neben seiner Tochter sitzen sah, geriet er In eine unglaubliche Wut; er zog sein Schwert, drang auf ihn ein und wollte ihm den Kopf spalten. Der Prinz aber hob sich von dem Throne, streckte ihm sein Schwert entgegen und sagte: »Beim erhabenen Gott! wäre mir dies Haus nicht durch meinen Eintritt heilig, so würde ich dich denen, die in deiner Väter Gruft liegen, nachsenden.«

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Der König sagte: »Wer bist du, Betrüger? und wer ist dein Vater, dass du es wagen darfst, in solchem Tone mit mir zu reden und meine Tochter in ihrem Schlosse zu überfallen? Weißt du nicht, dass ich der größte König der Erde bin? Bei dem erhabenen Gott, ich will dich der Welt zum Beispiel und Schrecken den martervollsten Tod sterben lassen, du Dieb! du niedrig Geborener!« Der Prinz lächelte und sagte: »Herr! du setzt mich in Erstaunen durch deinen schwachen Verstand und dein grobes Benehmen! Könntest du dich auch meiner bemächtigen und mich umbringen lassen, was würde es dir nützen? Würden da die Leute nicht sagen, der König hat einen jungen Mann bei seiner Tochter gefunden und ihn töten lassen. So würde Spott und Schande über dich kommen, und kein Mensch mehr Ehrfurcht vor dir haben. Übrigens sind wir auch Könige und Söhne von Königen, und wenn wir wollten, wäre es uns ein leichtes, dich vom Throne ins Verderben zu stürzen! Doch Gott sei davor, dass je etwas Böses von mir bekannt werde. Kannst du übrigens deiner Tochter einen besseren Mann wünschen? Und wenn sie Prinzessin ist, so bin ich ein Sohn des Königs von Persien!« Der König fragte ihn: »Warum aber bist du nicht, wie es Sitte ist, zu mir gekommen und hast um sie angehaltene Der Prinz erwiderte: »Was geschehen ist, ist geschehen. Doch will ich dir einen Vorschlag machen. Lass von deinen Truppen versammeln, so viel du willst, und ich will ganz allein gegen sie kämpfen; werde ich besiegt, so geschieht es, weil ich eine Schuld begangen, schlage ich sie aber in die Flucht, so wird man mich wohl nicht mehr mit Geringschätzung behandeln. Menschen kann man nicht wie Korn abmähen und messen.« Der König war sehr zufrieden mit dem Vorschlag, der ihn aus der Verlegenheit riss, wie er den Prinzen töten lassen solle, ohne sich und seine Tochter in Schande zu bringen. »Es sei so!« sprach er, versammelte, sobald der Tag anbrach, seine Truppen und stellte sie in Schlachtordnung, und befahl, den Prinzen herbeizuführen und ihm ein Pferd und Waffen zu bringen. Der Prinz aber sagte: »Ich will mein eigenes Pferd besteigen; befehle nur, dass man es von der Terrasse, wo es angebunden ist, herabhole.« Als das Pferd herbeigeführt wurde, bewunderte der König die Schönheit und künstliche Arbeit desselben. Der Prinz bestieg es, und die Truppen umringten ihn von allen Seiten, um ihn zu erschlagen. Der Prinz drehte den Wirbel an der rechten Seite des Pferdes, und augenblicklich erhob es sich in die Luft wie ein Vogel. Der König rief immer: »Ergreift ihn.« Die Soldaten aber sagten: »O König, wen sollen wir ergreifen? bei dem erhabenen Gotte! der ist ein Teufel, ein abtrünniger Geist! Gelobt sei Gott, der dich von ihm befreit hat!« Der König und seine Truppen kehrten verwirrt und betäubt ins Schloss zurück. Der König ging in die Gemächer der Prinzessin und erzählte ihr das Vorgefallene, dann schimpfte er über den Prinzen und sagte: »Gott verdamme diesen schlechten, betrügerischen Zauberer!« Der König glaubte nämlich, durch solche Reden seine Tochter trösten zu müssen und ahnte nicht, dass ihr Herz für den Prinzen in Liebe entbrannt war. Als er aber die Tränen sah, die ihren Augen entquollen, suchte er sie zu beruhigen und verließ sie. Die Prinzessin aber brach nun in lautes Weinen und Jammern aus und konnte weder essen noch trinken noch schlafen.

Der Prinz Kamr al Akmar (Mond der Monde, so hieß er) durchflog indessen die Luft, bis er in das Land seines Vaters kam. Er ließ sich auf der Terrasse seines väterlichen Schlosses nieder und stieg vom Pferde; wie er die Treppe in das Schloss hinunterging, fand er Asche auf die Pfosten des Schlosses gestreut, so dass er glauben musste, es sei jemand von seinen Verwandten gestorben; er eilte in die inneren Gemächer nach seiner Gewohnheit, und hier fand er seinen Vater, seine Mutter und Schwestern in Trauerkleider gehüllt, mit bleichen, schmerzentstellten Gesichtern. Sein Vater sah ihn zuerst; er stieß einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht; und als er nach einer Weile wieder zu sich kam, drückte er seinen Sohn an seine Brust. Die Königin und die Prinzessinnen, welche dies vernahmen, stürzten auf ihn zu, umarmten und küssten ihn und fragten ihn unter Tränen, wie es ihm ergangen sei. Er erzählte ihnen alles, was ihm begegnet war, von Anfang an bis zum Ende. Als er seine Erzählung geschlossen hatte, sagte sein Vater: »Gelobt sei Gott, der Erhabene, für deine Rettung, du Freude meines Auges und Leben meines Herzens!« Die Nachricht durchflog schnell die Stadt und verbreitete überall Jubel und Freude; man schlug Trommeln und Pauken und verwechselte die Trauerkleider mit Freudenkleidern; die Stadt wurde festlich geschmückt, und die Leute drängten sich herbei, um dem König Glück zu wünschen. Dieser ordnete große Festlichkeiten an, erließ alle Strafen, ließ alle Gefangenen frei und gab sieben Tage und sieben Nächte lang Mahlzeiten, bei denen jedermann essen und trinken und sich ergötzen konnte. Dann ritt der König mit seinem Sohne durch die Straßen, damit alle Leute ihn sehen und sich seiner erfreuen konnten. Als die öffentlichen Festlichkeiten zu Ende waren, gingen die Stadtbewohner wieder nach Hause, der König aber begab sich mit seinem Sohne ins Schloss. Da sie nun so bei Tische saßen und aßen und tranken und sich belustigten, ergriff eine schöne Sklavin, die Meisterin im Lautenspiele war, die Laute, schlug die Saiten und sang folgende auf die Trennung bezügliche Verse:

»Glaube nicht, dass ich in der Ferne deiner vergesse; denn was könnte ich noch denken, wenn ich dich vergäße? Die Zeit vergeht, aber meine Liebe zu dir ist ewig. Mit ihr werde ich sterben, und mit ihr werde ich wieder auferstehen!«

Als der Prinz diese Verse hörte, ward sein Herz ganz entzündet von der Flamme der Sehnsucht; Schmerz und Trauer überwältigten seine Seele, und er verließ seinen Vater heimlich, bestieg das Pferd aus Ebenholz und flog auf ihm in einem fort, bis er das Schloss der Prinzessin erblickte. Er ließ sich wieder auf der Terrasse nieder und stieg dieselbe Treppe wie früher hinab, wo er auch den Sklaven, wie das erste Mal, schlafend fand; leise ging er an ihm vorbei auf den Vorhang zu, der die Türe des Schlafgemachs der Prinzessin bedeckte; er blieb ruhig hinter dem Vorhange stehen und lauschte. Diese fand er laut weinend und jammernd und Verse rezitierend. Die Mädchen wurden durch das laute Schluchzen und Weinen der Prinzessin aus dem Schlafe aufgeweckt und sagten zu ihr: »O Gebieterin, warum doch grämst du dich so über einen, der deinen Gram nicht mit dir teilt?« Die Prinzessin aber sagte: »O ihr unverständigen Mädchen, ist das ein Mann, den man wieder vergessen kann?« Und nun brach sie wieder von neuem in Jammern und Weinen aus, bis sie endlich einschlief. Der Prinz hörte und sah das alles von der Türe aus mit an, und sein Herz pochte so heftig, und seine Brust war beklommen. Er trat in das Zimmer und ging zu dem Throne, wo die Prinzessin lag und zog sie an der Hand. Die Prinzessin erwachte sogleich bei dieser Berührung, und wie sie die Augen aufschlug, sah sie den Prinzen vor ihr stehen. Der Prinz sagte zu ihr: »Warum weinst du und bist so traurig?« Als sie ihn erkannte, sprang sie auf, fiel ihm um den Hals, küsste ihn und sagte: »Deinetwegen, weil ich von dir getrennt bin.« Der Prinz sagte: »Lass das Geschehene, ich bin jetzt sehr hungrig und durstig.« Sie ließ sogleich Speisen und Getränke auftragen und unterhielt sich dann mit ihm bis tief in die Nacht hinein. Als der Morgen anbrach, stand er auf, um Abschied von ihr zu nehmen, ehe der Sklave erwachte. Schems ulnahar (so hieß sie) fragte ihn: »Wohin gehst du?« - »Zu meinem Vater«, sagte er, »doch verspreche ich dir, jede Woche einmal zu dir zu kommen.« Sie aber sagte: »Ich beschwöre dich bei dem erhabenen Gott, nimm mich mit dir, wohin du auch gehen magst, und lass mich nicht ein zweites Mal die Bitterkeit der Trennung kosten.« Der Prinz sagte: »Willst du mit mir ziehen?« Und als sie mit einem Ja antwortete, sagte er: »So erhebe dich, dass wir abreisen.« Schems ulnahar eilte sogleich nach einer Kiste und zog die kostbarsten, mit Gold und Juwelen besetzten Gewänder an. Dann gingen sie leise, ohne dass die Mädchen etwas merkten, hinaus und kamen so auf die Terrasse und stiegen beide auf das Ebenholzpferd. Der Prinz rieb dann den Wirbel, worauf das Pferd wie ein Vogel durch die Lüfte flog, bis sie sich über der Hauptstadt des Königs von Persien befanden. Der Prinz ließ das Pferd in einem Garten außerhalb der Stadt langsam nieder, hob die Prinzessin herab und führte sie in ein Lusthaus und sagte: »Bleibe du einstweilen hier, ich will zu meinen Eltern gehen und sie von deiner Ankunft benachrichtigen. Die Veziere und die ganze Armee sollen dir entgegeneilen und mit Pracht und Glanz vor dir herziehen.« Hierauf eilte er zu seinem Vater und erzählte ihm sein ganzes Abenteuer. Der König und die Königin freuten sich sehr, und er gab sogleich Befehl, alles zusammenzurufen, und alle Leute strömten hinaus nach dem Garten.

Der persische Weise, den der König bei der ersten Rückkehr des Prinzen wieder in Freiheit gesetzt hatte, hielt sich gewöhnlich beim Gärtner auf und ging oft in dem Garten ein und aus. So traf es sich denn, dass er an dem Tage, wo der Prinz mit der Prinzessin ankam, sie sah und den Prinzen erkannte. Er näherte sich dem Lusthause und fand ein Mädchen, schöner als die leuchtende Sonne, und neben ihr stand das Pferd von Ebenholz. Da dachte er: »Bei dem erhabenen Gott, dieser junge Mann hat mein Herz in Flammen gesetzt wegen seiner Schwester, ich will ihm jetzt Gleiches mit Gleichem vergelten und dieses Mädchen mit seinem Pferde zugleich entführen.« Er klopfte dann an die Türe des Gemaches, und als die Prinzessin fragte, wer da sei, antwortete er: »Dein Sklave und dein Diener. Dein Herr schickt mich zu dir und lässt dich bitten, mir zu folgen; ich soll dich auf dem Pferde der Stadt näher bringen, weil meine Herrin, die Königin, nicht so weit gehen kann und sich doch so sehr darauf freut, dich zu sehen und zu begrüßen, dass sie sich niemand zuvorkommen lassen will.« Die Prinzessin zweifelte nicht im mindesten an der Wahrheit dieser Botschaft und öffnete die Türe, wie sie aber seine hässliche Gestalt, seine abscheuliche Gesichtsfarbe und Züge sah, sagte sie: »Hat meine Herrin keinen feineren Diener als dich, um mich zu ihr zu bringen?« Der Perser antwortete: »Meines Herrn Sklaven sind alle einer schöner als der andere, aber aus Eifersucht wählte er mich aus den Sklaven, den du hier vor dir siehst, denn ich bin einer seiner ältesten Diener.« Die Prinzessin fand dies alles wahrscheinlich. Sie schwang sich aufs Pferd, und der Perser saß hinter ihr auf, rieb den Wirbel, so dass sich das Pferd in die Lüfte schwang und die Richtung nach China nahm.

Zu gleicher Zeit, wo der Weise die Prinzessin entführte, brach der Zug zu ihrem Empfang von dem Palaste auf. Unter dem Schall von Trommeln, Pauken und Trompeten zog der Prinz mit seinem Vater, seiner Mutter, den Vezieren an der Spitze der Truppen in den Garten ein. Der Prinz trat zuerst in das Lusthaus, um seine geliebte Prinzessin zu holen, als er aber das Gemach leer fand, warf er seinen Turban auf die Erde und schlug sich ins Gesicht und auf die Brust. Als er den Gärtner bemerkte, schrie er ihn an: »Du Betrüger, wo ist die Prinzessin, was hast du mit ihr begonnen? Sage mir die Wahrheit oder ich schlage dir den Kopf vom Rumpfe!« Der Gärtner, der in der größten Verlegenheit war, sagte: »Mein Herr! du sprichst da von etwas, wovon ich gar nichts weiß. Bei meinem Leben und dem geehrten Barte deines Vaters! ich weiß nicht, was du meinst und habe nichts gesehen von dem, weshalb du mich in Verdacht hast.« Er fragte dann den Gärtner, wer heute in den Garten gekommen sei. Dieser antwortete: »Niemand als der persische Weise.« Der Prinz wusste, als er dies hörte, dass der persische Weise die Prinzessin entführt, er geriet ganz außer sich und schämte sich auch vor den Leuten. Nach einigem Nachdenken sagte er zu seinem Vater: »Gehe du mit den Truppen in die Stadt zurück, ich weiche nicht von hinnen, bis ich im klaren über diese Sache bin.« Sein Vater schlug sich weinend auf die Brust und sagte: »Mein Sohn! fasse dich und tröste dein Herz, und wähle dir eine Prinzessin zur Gattin von allen Prinzessinnen der Erde.« Der Prinz aber antwortete nicht hierauf, sondern ließ ihn allein in die Stadt zurückkehren. Und so ward die Freude wieder in Trauer verwandelt.

Um aber wieder auf den persischen Weisen zurückzukommen, so lenkte dieser das Zauberpferd in China zur Erde und stieg mit der Prinzessin in einer grünen Ebene unter einem Baum an einer Quelle ab. Als sie sich hier niedergelassen hatten, fragte die Prinzessin: »Wo ist dein Herr, und wo ist sein Vater und seine Mutter?« Er antwortete: »Gott verdamme sie alle; jetzt bin ich dein Herr. Dies Pferd hier gehört mir, ich habe es gemacht. Glaube nur nicht, dass du den Prinzen je wiedersehen wirst, ich bin besser als er und werde jeden deiner Wünsche befriedigen und dich kleiden, wie du es verlangst; ich bin ein reicher Mann und besitze nicht nur viele Sklaven und Sklavinnen, sondern auch viele Güter, und mein Einkommen ist unermesslich.« Er scherzte dann mit ihr und suchte sich bei ihr einzuschmeicheln, aber sie stieß ihn fünfhundert Meilen weit von sich weg und fing an zu seufzen und zu weinen. Der Weise lag zu Boden und schlief ein. (Möge Gott ihn nie wieder aufrichten!) Durch die Bestimmung des erhabenen Gottes traf es sich nun, dass der König von China gerade in jener Gegend jagte, und da ihn große Hitze sehr durstig machte, suchte er diese Quelle unter dem Baume auf, um seinen Durst zu löschen und auszuruhen. Als er hier ein weinendes Mädchen sah mit einem Pferde an der Seite, während der Weise auf einer anderen Seite hingestreckt lag, bewunderte er ihre Schönheit und ward ganz entzückt von ihr. Als er sie eine Weile betrachtet hatte, stieß er den Weisen mit dem Fuße, bis er sich erhob, dann fragte er ihn, wer das Mädchen sei, das er mit sich führe. Er antwortete: »Sie ist meine Frau.« Die Prinzessin sprang bei diesen Worten auf, küsste die Steigbügel des Königs und sagte: »Er lügt, o Herr! und ist ein listiger Zauberer, der mich durch List und Verrat gestohlen hat.« Der König von China sagte: »Gebt diesem Alten sogleich die Bastonnade und führt ihn gefesselt ins Gefängnis.« Die Diener des Königs vollstreckten diesen Befehl. Der König kehrte dann an ihrer Seite nach der Stadt zurück. Unterwegs fragte er sie, was denn das für ein Pferd sei. Die Prinzessin antwortete: »O Herr! auf dem hölzernen Pferde ritt er vor den Leuten und machte allerlei Kunststücke darauf.« Wie der König das hörte, befahl er seinen Dienern, das Pferd in die Schatzkammer zu führen. Er gab die Jagd auf und sagte: »Wir sind ausgegangen, wilde Tiere zu jagen und haben dafür eine menschliche Gazelle gefangen.« Er war sehr heiter und vergnügt; als er in seinen Palast kam, ließ er der Prinzessin sein Gemach anweisen, und noch am selben Abend ging er zu ihr, um ihr seine Hand anzubieten. Die Prinzessin stellte sich aber wahnsinnig. Sie schlug die Hände zusammen, stampfte mit den Füßen und zerriss unter wilden Schreien ihre Kleider; der Sultan verließ höchst verwirrt und betrübt über diesen Krankheitsanfall ihr Gemach, stellte Frauen zu ihrer Bedienung auf, und verschwendete viel Geld an Ärzte und Astrologen, die die Prinzessin von ihrer Verstandsverwirrung heilen sollten.

Während das mit der Prinzessin vorfiel, wanderte der Prinz von einem Land zum andern, und durchstreifte alle Städte, bis ihn das Allwissende und Allhörende wie durch einen Zufall nach China führte. Er kam in die Hauptstadt und als er die Bazare und öffentlichen Plätze besuchte, um zu hören, womit die Leute sich unterhalten, hörte er mehrere Leute auf dem Bazar von dem König und einem Mädchen sprechen, das man allgemein bedauerte. Er näherte sich den Leuten und ersuchte sie, ihm diese Begebenheit auch mitzuteilen. »Wisse«, sagte der eine von ihnen, »unser König ging vor einiger Zeit auf die Jagd, da sah er ein schönes Mädchen mit einem alten Manne und neben ihnen stand ein Pferd von schwarzem Holze. Als der König den Alten nach dem Mädchen fragte, sagte dieser: »Sie ist meine Frau.« Das Mädchen aber schrie: »Bewahre Gott, er lügt und ist ein Zauberer, der mich listigerweise aus meines Vaters Hause entfernt hat.« Der König ließ den Alten ins Gefängnis werfen; das hölzerne Pferd befahl er in seine Schatzkammer zu führen; das Mädchen aber nahm er mit sich ins Schloss und wollte sie heiraten. Da ward das Mädchen plötzlich verrückt und besessen. Seit einem Jahre wendet der König alles für Ärzte und Astrologen auf, aber noch hat sich keiner gefunden, der ihr hätte helfen können.« Als der Prinz diese Erzählung hörte, war er außer sich vor Freude und rief: »Gott sei gelobt und gepriesen! Es bringt dir jemand Neuigkeiten, die du nicht gesucht hast.« Der Prinz kleidete sich als Astrologe, machte sich weite herabhängende Ärmel, setzte einen großen Turban auf, färbte seine Augenbrauen und kämmte seinen Bart. Dann nahm er eine Schachtel mit einer Hand voll Sand und ein altes Buch von feinem Pergament unter den Arm; in die eine Hand nahm er einen Stock, in die andere einen Rosenkranz und ging, wie die Astrologen pflegen, die Perlen des Rosenkranzes abzählend, langsam einher und schrie: »Glück unserm Quartier und dem eurigen!« So kam er an das Tor des Palastes, wo er zu dem Pförtner sagte: »Ich möchte, dass du dem König sagest: Ein weiser Sterndeuter ist aus Persien gekommen, hat die Geschichte deiner Sklavin gehört und will sie heilen.« Der Pförtner eilte schnell ans Tor, führte den Prinzen zum König. Dieser benahm sich ganz wie ein echter Sterndeuter, sprach vieles Vernünftige und Verständliche, und murmelte eine Menge Worte unter einander her, die keiner der Anwesenden verstehen konnte, er grüßte dann den König und neigte den Kopf zur Erde. Der König sagte zu ihm: »O Weiser, ich habe ein Mädchen, das seit einem Jahre mit den Händen schlägt und mit den Füßen stampft, wenn du sie heilst, so gebe ich dir, was du begehrst.« Der Prinz sagte: »Lass mich zu ihr führen, dass ich die Ursache ihrer Krankheit erforsche und sehen kann, zu welcher Klasse von Geistern der gehört, der in ihr haust.« Der König befahl sogleich dem Oberstkämmerer, den verkleideten Prinzen in die Gemächer der Prinzessin zu führen, damit er ihren Zustand untersuche. Als der Prinz vor die Türe ihres Zimmers kam, hörte er, wie sie unter vielen Tränen Verse rezitierte. Sein Herz entbrannte um ihretwillen und er trat schnell in das Zimmer, in welchem sie mit geschlossenen Augen ganz entstellt von brennender Liebe lag und sagte: »Gott möge dich aus diesem Zustande retten, Schems ulnahar! mit der Hilfe des Allmächtigen ist die Erlösung da! Ich bin Kamr al Akmar!« Als sie seine Stimme hörte und ihn erkannte, erhob sie sich, schlang ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn, dann fragte sie den Prinzen, wie er denn zu ihr habe kommen können. Er aber antwortete ihr. »Es ist jetzt keine Zeit zu langen Gesprächen, denn der Oberstkämmerer steht im Vorgemache, und noch weiß ich nicht, auf welche Weise ich dich befreien soll. Indessen will ich einen Versuch machen, ob es nicht durch List geschehen kann; ist das nicht möglich, so eile ich zu meinem Vater zurück und werde dann an der Spitze aller Truppen nach China kommen und Krieg mit ihm führen, Gott wird dann nach seinem Willen beschließen.« Er verließ sie dann, ging zu dem König zurück und sagte: »Herr! ich will dir ein Wunder zeigen!« Der König erhob sich sogleich und ging mit Kamr al Akmar zu der Prinzessin. Diese fing sogleich an zu schreien und zu schäumen, stampfte mit den Füßen und schlug mit den Händen. Hierauf ging der Prinz auf sie zu, murmelte seine Beschwörungen her und schäumte und blies ihr ins Gesicht, biss sie ins Ohr und flüsterte ihr zu: »Stehe jetzt mit Würde auf, gehe zum König hin, küsse ihm die Hand und zeige dich ihm gefällig.« Als der verkleidete Prinz das Ohr der Prinzessin losließ, sank sie wie ohnmächtig nieder und blieb einige Augenblicke so liegen, dann stand sie auf wie eine vom Schlaf erwachte, und näherte sich dem König, küsste voll Ehrerbietung seine Hand und sagte: »Willkommen, mein Herr und König! Ich bin erstaunt darüber, dass du deine Sklavin heute besuchst.« Der König war außer sich vor Freude, als er diese Worte hörte, welche mit einer süßen Stimme gesprochen wurden. Er wendete sich dann zu dem Prinzen und sagte: »Wünsche dir etwas, ich gewähre dir deine Bitte im voraus.« Der Prinz entgegnete: »Herr! die Zeit der Wohltat ist noch nicht da, denn ich fürchte sehr, dass die Krankheit des Mädchens wieder ausbreche. Ich wünschte«, fuhr der Prinz fort, »dass sie von zehn Sklavinnen ins Bad getragen werde; sie darf aber nicht mit dem Fuß den Boden berühren. Dann lass ihr den kostbarsten Schmuck von Edelsteinen umhängen, damit ihr Herz seinen Kummer vergesse und ihr Gemüt sich erfreue. Ist das alles geschehen, so lass sie außerhalb der Stadt an den Ort bringen, wo du sie gefunden hast; denn dort ist der böse Geist in sie gefahren.« Als der König diese Worte des Prinzen hörte, sagte er ihm: »Gott grüße dich, o Künstler, o Philosoph, ich habe noch keinen so geschickten Arzt gefunden, wie mochtest du nur wissen, dass ich das Mädchen außerhalb der Stadt gefunden.« Er ließ sogleich die Befehle des Prinzen vollziehen und kleidete sie mit Schmuck, der eine ganze Schatzkammer wert war, dann trug man sie unter den Baum, wohin sich auch der König mit den Vezieren und seinen Truppen sowie mit dem Prinzen begab. Dieser murmelte Beschwörungen her, blickte bald gen Himmel, bald zur Erde, und ließ Räucherwerke bereiten. Nach einer Weile hob er den Kopf in die Höhe, trat zu dem König und sagte: »Herr! mir ist klar geworden, dass der Teufel, der in dieses Mädchen gefahren, seinen eigentlichen Sitz im Leibe eines Tieres aus schwarzem Ebenholze hat. Wird nun dieses Tier nicht gefunden, dass ich dem bösen Geiste auflauern kann, so wird das Mädchen jeden Monat von ihm befallen werden.« Bei diesen Worten des Prinzen sagte der König: »Du bist ein göttlicher Mann und Meister aller Weisen und Philosophen! Du hast bei Gott recht, denn ich sah mit eigenen Augen, wie neben dem Mädchen und dem alten Räuber ein Pferd von schwarzem Ebenholze stand, das vielleicht das Tier ist, von dem du sprichst.« Der König gab sogleich die nötigen Befehle, und nach kurzer Zeit ward das Pferd herbeigeführt, Der Prinz untersuchte es aufs Genaueste, um sich zu überzeugen, dass es unbeschädigt sei, dann befahl er das Räucherwerk anzuzünden. Hierauf zog er eine Handvoll zerschnittenes Papier aus seinem Turban und sagte: »Sobald ich auf dem Pferde sitze, so setzet das Mädchen hinter mich und werfet dies Papier in die Flammen. Wenn dem Pferde dieser Geruch in die Nase kommt, wird es das Maul und die Nüstern aufsperren, um ihn einzusaugen, und dann wird der Teufel aus seinem Leibe fahren, sobald ich diesen Wirbel drehe.« Man befolgte genau seine Befehle und sobald das Mädchen hinter ihm saß, drehte er den Wirbel, und das Pferd erhob sich mit ihm und der Prinzessin wie ein Vogel. Der König rief seinen Leuten: »Haltet sie an! haltet sie an!« Als sie ihn aber davonfliegen sahen, sagten sie: »O Herr! was ist da zu tun, das ist ein Teufel oder ein böser Geist!« Der König aber, der noch in die Luft starrte, als schon längst jede Spur von dem Pferde verschwunden war, schrie plötzlich laut auf und fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, sagte er: »Es gibt keine Macht und keinen Schutz, außer bei Gott, dem Erhabenen! Hat jemals einer einen Menschen fliegen sehen? Bei Gott, das ist höchst wunderbar!« Dann kehrte er mit seinen vor Erstaunen ganz erstarrten Vezieren und Truppen in die Stadt zurück, ließ den weisen Perser aus dem Gefängnisse holen und schrie ihn an: »Elender Betrüger! Warum hast du mir die wunderbare Eigenschaft dieses hölzernen Pferdes nicht gesagt, so dass es einem nichtswürdigen Landstreicher gelungen ist, mir dieses Mädchen zu entführen, das noch einen ganzen Schatz an ihrem Körper hängen hat?« Als der Weise diese Worte hörte, schrie und weinte er laut und schlug sich in das Gesicht und sagte: »O Herr! Wisse, ich habe dieses kunstreiche Pferd gemacht und es Sabur, dem König von Persien gebracht, der mir dafür die Hand seiner jüngsten Tochter versprach. Sein Sohn aber ist der Räuber des Mädchens und des Pferdes, und es sieht so und so aus.« Hierauf erzählte er ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, und der König geriet darüber in solchen Grimm, dass er dem Bersten nahe war, und er betrauerte sein ganzes Leben hindurch den Verlust des Mädchens und des Pferdes. Der Prinz aber durchflog die Luft, bis er der Residenz seines Vaters nahe war, dann ließ er sich im Schlosse seines Vaters nieder; denn das Sprichwort sagt: »Durch häufiges Fallen lernt man gehen«, und wäre er gleich anfangs vorsichtig gewesen, so wären ihm alle diese Unglücksfälle nicht zugestoßen. Seine Eltern waren über seine Ankunft mit dem Mädchen und dem Pferde nicht wenig erfreut. Diese glückliche Nachricht durchflog schnell die ganze Stadt, und alle, die es hörten, lobten und dankten Gott dem Allmächtigen. Das ganze Volk, die Veziere und die Truppen versammelten sich, um dem König Glück zu wünschen. Auch dein großen König, dem Vater der Prinzessin, schickte man Boten mit Briefen und dieser sandte die herrlichsten Geschenke an seine Tochter und an seinen Schwiegersohn. Nun ließ der König die Stadt festlich schmücken; sieben Tage und sieben Nächte dauerten die Festlichkeiten, und eine Menge Geldes ward unter die Armen ausgeteilt. Das Zauberpferd ward in die Schatzkammer gestellt, und ihr ganzes Leben war nur eine fortlaufende Kette der süßesten Annehmlichkeiten, bis auch sie der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Bündnisse, der Tod, überfiel.

G

Schehersad begann hierauf folgende Erzählung:

Die Geschichte Sindbads, des Seefahrers 

 

E C F

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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